Mit einem Seufzer ließ ich mich in meinen Schreibtischstuhl sinken und startete den PC. Noch einmal sah ich auf das Display meines Handys, doch es war immer noch keine Nachricht von Marc darauf. Wieso meldete er sich nicht? War ich ihm wirklich so egal? Stand seine Welt komplett Kopf, sodass er alles um sich herum vergaß?
Meine Finger zitterten, als ich mich zu meinen Mails vorarbeitete und mein Herz machte einen Sprung, als man mir anzeigte, dass ich eine ungelesene Nachricht besaß. Sofort klickte ich weiter, doch der Absender irritierte mich. Es lag wohl nur an dem Betreff, dass ich sie nicht löschte: „Aijo gib mir Darkking zurück!“
Es dauerte einen Wimpernschlag bis sich die Nachricht vor meinen Augen öffnete und ich musste trocken schlucken, als ich die ersten Zeilen las:
„Hallo Aijo,
du wunderst dich wahrscheinlich, warum du gerade diese Mail bekommst, aber ich habe das Trauerspiel nun lange genug mit angesehen. Ich habe kein Problem damit, dass du dich aus meinem Forum verpisst, nachdem du anscheinend gefunden hast, was du wolltest: Einen guten Fick und jemanden, wo du dein Herz ausschütten konntest.
Aber es ist nicht in Ordnung, dass du mir einen meiner liebsten User einfach wegnimmst. Ich weiß nicht, was du mit Darkking gemacht hast, aber seit einigen Tagen ist er einfach nur noch wie betäubt. Seine Posts sind fahrig und es tut mir in der Seele weh, wenn ich so etwas lese.
Dieses Forum dient dem Zweck, dass sich Gleichgesinnte finden und einander unterstützen können, aber ganz bestimmt nicht, dass hier der eine den anderen fertig macht. Vor allem nicht meinen Darkking!
Wahrscheinlich wirst du diese Mail lesen und dann in den Papierkorb werfen! Aber ich schwöre dir, dass dieses Spiel noch nicht vorbei ist! Du wirst mir nicht entkommen und du wirst bereuen, was du Darkking angetan hast. Darauf kannst du dich verlassen!
Schönen Tag noch
Mastermind“
Mastermind! Der Name explodierte hinter meiner Stirn und ich spürte, wie mein Körper zu zittern begann, aber warum schrieb er von seinem Darkking. Ich dachte, dass Marc kaum Kontakt zu dem skrupellosen Admin gehabt hatte. Hatte er mich etwa in jenem Moment angelogen? Wieso schrieb mir Mastermind sonst und warum sollte er ihn als sein Eigentum bezeichnen? Das machte alles keinen Sinn.
Plötzlich bekam ich einen Anruf von einem noch nicht angenommen Nutzer in Skype. Ich verstand es nicht und der Name sagte mir im ersten Moment auch nichts: Darknesswithin. Kurz flammte in mir die Hoffnung auf, dass es ja Marc sein könnte. Ich ignorierte die leise Stimme, dass es Unsinn wäre, dass er mich von einem anderem Konto aus anrief, aber wer wusste schon, was er gerade in diesem Moment durchmachte? Laut Mastermind ging es ihm wirklich dreckig, aber warum meldete er sich dann nicht?
Es klingelte schon eine halbe Ewigkeit, bevor ich aus meinen Gedanken zurückfand und hastig das Gespräch annahm. Eilig setzte ich mir mein Headset auf und begrüßte den Anrufer freundlich, doch die Stimme, die den Gruß erwiderte, war nicht von Marc. Sie ließ mir das Blut in den Adern gefrieren, denn auch wenn sie ebenfalls tief war, so war sie gefährlich dunkel.
„Hallo Aijo, schön, dass ich dich erreiche.“ Ich musste trocken schlucken, als mir bewusst wurde, wen ich mit hoher Wahrscheinlichkeit am anderen Ende der Leitung hatte. Die Vorstellung gefiel mir nicht und alles in mir verkrampfte sich schlagartig. Ich begann zu zittern und konnte nur mit Mühe ebenfalls noch einmal ein „Hi“ herauspressen.
„Hast du Angst, Junge?“ Der Kerl lachte hart auf und ich hörte, wie er sogar ein paar Mal auf einen Tisch schlug, was mich unwillkürlich zusammenzucken ließ. Gott sei Dank war das gerade kein Videochat. Ich hätte nicht gewusst, was ich getan hätte, wenn ich mein Gegenüber auch noch gesehen hätte. Wahrscheinlich hätte ich das Headset von meinen Kopf gerissen und wäre fluchtartig aus dem Zimmer gestürmt.
„Das brauchst du doch nicht, solange du meine Forderung erfüllst.“ Das Lachen stoppte und die Stimme wurde gefährlich süß wie goldener Honig, was mich erneut trocken schlucken ließ. Warum konnte es nicht Marc sein, der mich anrief? Ich wollte den dunklen Bass seiner Stimme hören, der in mir ein angenehmes Kribbeln auslöste. Jetzt fühlte ich mich nur wie ein Kaninchen, das vor einer Schlange saß und sie mit großen Augen anstarrte, während es innerlich tausend Tode starb.
„Kann ich nicht.“ Meine Stimme war nur ein Flüstern und die Hilflosigkeit krallte sich fester in mein Herz, was mich erneut leicht zittern ließ. Verzweifelt klammerte ich mich an meinen Tisch fest und wünschte mir, dass dieser Alptraum aufhören würde. Erst die Sache bei Chris und nun das. Ich dachte, dass es mit dem Tod von Robert endlich aufhören würde. War das Leben ein nie enden wollender Kampf?
„Doch das kannst du. Du willst nur nicht. Darkking leidet und du bist schuld daran. Er geistert nur noch durchs Forum und verunsichert meine User. Das ist nicht gut. Du musst mit ihm reden und was auch immer zwischen euch steht ins Reine bringen, kapiert?“
„Aber woher? Warum sollte ich schuld sein? Ich habe doch gar nichts gemacht. Er will nicht mit mir reden!“ Plötzlich waren dort wieder dieser Mut und diese unbändige Wut in mir. Warum unterstellten mir alle etwas, das ich nie getan hatte? Ich versuchte schon seit Tagen Marc zu erreichen, aber er wollte nicht mit mir reden! Was erlaubte sich Mastermind überhaupt?!
Mastermind lachte erneut auf und schien von meinem Wutausbruch nur amüsiert zu sein. Es dauerte ein paar Atemzüge, bevor er sich wieder fing und auf meine Worte antworten konnte: „Wie putzig. Das Kätzchen hat ja Krallen. Mit so viel Pfeffer hatte ich auf Grund deines Avatars und deiner Beiträge eigentlich nicht gerechnet. Aber es zeigt mir auch, dass ich wohl Recht hatte. Darkking wurde mal wieder ausgenutzt von einem süßen Kätzchen.“
Seine Worte verwirrten mich. Nicht nur, dass er mir einfach einen Spitznamen gab, sondern auch dass er mir weiterhin die Schuld an Marcs Zustand gab. Schließlich wollte ich ihn treffen und mit ihm reden. Ich wollte wieder ins Reine bringen, was an dem Abend, als Robert gestorben war, kaputt gegangen war. Aber er ließ mich nicht.
„Der Kerl ist wirklich zu weich, derweil sind Kätzchen nicht dafür da, dass man sie sich ins Haus holt und dann versucht, sie dazubehalten, sondern einfach für eine schnelle Nummer. Wann er das wohl endlich mal kapiert? Kätzchen gehören in die Freiheit und sind nur fürs Bett gut. Dort ist der einzige Ort, an dem sie sich an dich kuscheln werden. Aber draußen sind sie Einzelgänger und wollen nichts von ihrem Besitzer wissen. Undankbares Pack!“
„Nein… ich… ich habe ihm ja geschrieben und auf die Mailbox gesprochen, aber er meldet sich nicht bei mir.“ Ich wusste, dass es ein Fehler war Mastermind mein Herz zu zeigen, aber es tat weh, wie er über die Beziehung von Marc und mir sprach. Schließlich wollte ich zu ihm stehen. Jeden Tag und jede Nacht. Seine Hand halten und in die Welt hinausschreien, dass er mir gehörte. Marc war derjenige, der es mir verbat und jetzt litt er wegen mir. Das war doch Schwachsinn.
Erneut lachte Mastermind auf und ich hörte, wie er sich anders hinsetzte, bevor er dann einmal mit der Zunge schnalzte und zu überlegen schien. Diese Stille war übermächtig und ich wagte es nicht, sie zu durchbrechen. Ich wusste nicht, woher diese Macht kam, die jedes weitere Wort in meiner Kehle gefangen hielt und mir verbat, auch nur ein Geräusch von mir zu geben.
„Du sagst mir also, dass du noch eine Beziehung mit ihm willst, obwohl ihr miteinander geschlafen habt?“ Ich musste mich erst räuspern, bevor ich ein krächzendes „Ja“ herauspressen konnte. Meine Zukunft existierte in meinen Augen nur mit Marc zusammen. Alles andere ergab für mich keinen Sinn und ich lebte nur dank der Hoffnung, dass sie irgendwann wahr werden würde.
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