Wie viele Gütertransporte genau verlagert werden müssen und wie stark der Güterverkehr zurückgehen müsste, um die Ziele zu erreichen, ist sehr schwierig abzuschätzen. Dies muss auch gar nicht genau bestimmt werden, da es der Umwelt letztlich egal ist, wie hoch der Modalsplit ist: Aus Sicht der Umwelt ist es nicht relevant, wie die negativen Auswirkungen reduziert werden, sondern dass sie reduziert werden.
Wie der SGV in der Fläche von den EVUs weiterentwickelt und verbessert werden kann und welche politischen Massnahmen möglich sind, um die Ziele zu erreichen, wird in den Kapiteln 9und 10 aufgezeigt und diskutiert. Es geht dabei nicht darum, eindeutig festzulegen, was genau zur Zielerreichung notwendig ist, da dies aufgrund der Komplexität und den verschiedensten Wirkungszusammenhängen sehr schwierig abschätzbar ist. Aus demselben Grund werden in dieser Maturaarbeit auch keine Verlagerungsziele oder sonstigen Zahlenwerte definiert. Vielmehr werden nur Möglichkeiten der EVUs und Politik aufgezeigt, analysiert und vorgeschlagen, die zur Zielerreichung beitragen können und die zeigen, in welche Richtung die Weiterentwicklung nach der Meinung des Autors gehen sollte.
8.4 Methodenbeschreibung
Bevor auf die einzelnen Weiterentwicklungsmöglichkeiten des SGV-Systems eingegangen wird, beschreibt dieses Kapitel, wie methodisch vorgegangen wurde, um die Fragestellungen dieser Maturaarbeit zu beantworten.
Zur Erarbeitung des Grundlagenwissens und weiterführenden Informationen, sowohl zum heutigen Güterverkehr wie auch zur Weiterentwicklung, wurde eine umfassende Literaturrecherche durchgeführt (vgl. Kapitel 13). Es wurden Studien, Berichte und Positionspapiere verschiedenster Autoren vom Bund, über private Forschungsbüros und Hochschulen bis zu Interessengruppen gelesen, ausgewertet, im Hinblick auf die definierten Ziele analysiert und miteinander verglichen.
Nach der Recherche wurden fünf Interviews mit Experten aus dem Bereich des SGVs durchgeführt. Es wurde insbesondere darauf geachtet, dass die Interviewpartner einen unterschiedlichen beruflichen Hintergrund und somit einen unterschiedlichen Bezug zum SGV haben. Im Folgenden sind Namen und Beruf der interviewten Experten nach Namen geordnet aufgelistet:
Peter Füglistaler |
Direktor des Bundesamtes für Verkehr (BAV) |
Fabio Gassmann |
Koordinator Bundespolitik des Vereins Alpeninitiative |
Philipp Hadorn |
Gewerkschaftssekretär SEV Bereich SBB Cargo |
Albert Mancera |
Postdoktorand an der ETH Zürich (L2-FTS) 84 |
Nicolas Perrin |
Verwaltungsrat der SBB Cargo, bis 2020 CEO |
Tabelle 3: Interviewpartner
Ziel der Interviews war, die Einschätzung der Experten zu den vergangenen Entwicklungen wie auch zu den verschiedenen Weiterentwicklungsmöglichkeiten einzuholen und um ihre Vorstellungen, Ideen und Vorschläge zur Zukunft des SGVs in der Fläche. Ausserdem ging es um ihre persönlichen Meinungen zu verschiedenen politischen Massnahmen und deren Auswirkungen. Die Interviews sind zusammengefasst im Anhang aufgeführt.
Die gesammelten Informationen aus der Literaturrecherche und den Interviews habe ich ausgewertet, in dieser Maturaarbeit zusammengeführt und in Folge eine eigene Meinung dazu gebildet, wie der SGV in der Fläche und der Güterverkehr allgemein von den EVUs und der Politik weiterentwickelt werden sollte.
9 Weiterentwicklung des Schienengüterverkehrs in der Fläche
Nachdem bekannt ist, im Hinblick auf welche Ziele der SGV in der Fläche weiterentwickelt werden soll, geht es nun in diesem Kapitel um die Weiterentwicklungsmöglichkeiten, die von den Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) umgesetzt werden können. Dies betrifft vor allem die SBB Cargo, da sie als grösster Anbieter alle Bereiche vom EWLV über die Ganzzugsverkehre bis zum KV abdeckt. Aus dem Ziel eines nachhaltigen Umgangs mit der Umwelt lässt sich für die EVUs folgende Zielsetzung ableiten:
Das Schienengüterverkehrssystem in der Fläche soll so weiterentwickelt und verbessert werden, dass möglichst viele Gütertransporte von der Strasse auf die Schiene verlagert werden.
Verlagerung wird grundsätzlich durch attraktivere Angebote erreicht, um gegenüber der Strasse konkurrenzfähiger zu werden. Dabei geht es um Faktoren wie Qualität (z. B. höhere Zuverlässigkeit), Preis, Serviceprofil, Flexibilität oder Zugang zur Schiene. Letztlich geht es darum, Hemmnisse abzubauen, die Kunden an der Verlagerung auf die Schiene hindern. Weiter ist es für einen langfristig erfolgreichen SGV notwendig, die im Kapitel 4.3beschriebenen Probleme zu lösen und auf Herausforderungen wie den Wandel des Güterverkehrsmarkts zu reagieren. Dabei geht es insbesondere darum, Kosten zu senken und mehr Volumen auf die Schiene zu bringen.
Auch wenn der SGV viel effizienter als der Strassengüterverkehr ist, verursacht auch er negative Auswirkungen auf Mensch und Umwelt, wie etwa Lärmemissionen. Deshalb besteht ein weiteres Ziel darin, diese weiter zu reduzieren.
Attraktivere Angebote, geringere Probleme und weniger negative Auswirkungen erreicht man durch Innovationen. Doch was genau sind Innovationen? Es gibt verschiedene Definitionen, in dieser Arbeit wird folgende verwendet: «Innovation wird […] als Sammelbegriff für alles Neue und Verbesserte verwendet. Dabei kann das Spektrum […] von marginalen Detailänderung bis hin zu grundlegenden Neuerungen reichen.» 85Das heisst, bei Innovationen geht es nicht nur um komplette Veränderungen, sondern auch um kleinere Optimierungen. Dieses Kapitel behandelt also alles, was im SGV in der Fläche oder mit Auswirkungen auf diesen verbessert werden kann. Dabei erhebt dieses Kapitel nicht den Anspruch, genau zu sagen, was von den EVUs gemacht werden muss. Es geht nur darum, verschiedene Möglichkeiten aufzuzeigen, die zur Verbesserung in Frage kommen.
Die Innovationen sind in diesem Kapitel in verschiedene Bereiche unterteilt. Doch da sich Innovationen in einem Bereich auch auf die anderen auswirkt, kann eigentlich keine klare Abgrenzung gemacht werden. Zuerst geht es um Innovationen im Rollmaterial, dann um Verbesserungen der Produktionsformen wie dem EWLV und allgemein der SBB Cargo. Zum Schluss folgt ein kurzer Exkurs in den Strassengüterverkehr.
9.1 Innovationen im Bereich der Güterwagen 86
«Der SGV wird heute immer noch wie vor hundert Jahren produziert», meint Peter Füglistaler. Der Fakt, dass heute immer noch die im 19. Jahrhundert entwickelte manuelle Schraubenkupplung eingesetzt wird, zeigt, dass die Güterwagen – im Gegensatz zum Personenverkehr – auf veralteten Technologien basieren. Als Folge sind die Rangiervorgänge sehr aufwändig, insbesondere im EWLV auf der letzten Meile, verbunden mit hohen Kosten und Zeitverlusten. Die geringe Produktivität ist mit ein Grund für die finanziellen Probleme und den Mengenrückgang bei der SBB Cargo. Doch es würden viele Innovationen bestehen, die nicht erst entwickelt, sondern nur noch umgesetzt werden müssten. Beim Güterwagen wird von den meisten Experten das grösste Innovationspotenzial verortet. Es besteht ein grosser Nachholbedarf an technischen Neuerungen. Nicolas Perrin meint: «Alles nachzuholen, was man in den letzten 50 Jahren nicht gemacht hat, ist zwar keine grosse Innovation, aber grosse Arbeit.» Doch während der SGV sehr lange wenig innovativ war, habe sich in den letzten Jahren etwas geändert, meint Fabio Gassmann.
Im Folgenden werden nun die wichtigsten Innovationen im Bereich der Güterwagen beschrieben, deren Nutzen aufgezeigt und danach deren Verlagerungspotenzial abgeschätzt. In der Abbildung 22sind die einzelnen Komponenten eines Eisenbahngüterwagens beschriftet.
Abbildung 22: Aufbau eines konventionellen Eisenbahngüterwagens (hier ein Kesselwagen) 87
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