Damir Skenderovic - Die 1968er-Jahre in der Schweiz

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Die 1968er-Jahre in der Schweiz: краткое содержание, описание и аннотация

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Lange Zeit hat sich die schweizerische Geschichtsforschung kaum mit den Ereignissen um das Jahr 1968 befasst. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern hielt sich hartnäckig die Meinung, «1968» habe in der Schweiz nicht stattgefunden. Erst seit kurzem existieren Studien, historische Darstellungen und insbesondere Zeitzeugenberichte, welche ein buntes Panorama der Akteure, Ausdrucksformen und Auswirkungen jener Aufbruchszeit entwerfen und einen Eindruck davon vermitteln, wie kreativ und provokativ die verschiedenen kulturellen und politischen Gruppen damals auftraten, wie herausfordernd ihre Äusserungen, Proteste und Kunstformen auf die damalige Gesellschaft wirkten. Das Buch präsentiert erstmals eine konzise Gesamtsicht auf die Ereignisse in der Schweiz in den Jahren um 1968 sowie deren Vorläufertrends seit 1950er Jahre nach. Mit dem über die urbanen Zentren und Sprachgrenzen hinaus reichenden Blick schliesst es eine Lücke in der bisherigen, vor allem lokal und regional ausgerichteten Forschung.

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Inhaltsverzeichnis 1968 global und lokal I Ruhe und Unruhe vor dem - фото 1

Inhaltsverzeichnis

«1968» – global und lokal

I. Ruhe und Unruhe vor dem Sturm

Erfindung der Jugend

Vorgeschichte(n)

Beatniks und Provos

Hochkonjunktur in der Schweiz

Babyboom und Massenkonsum

Soziale Stabilität und politischer Konsens

Jugend- und Popkultur

Nonkonformisten

Avantgarde in Kunst und Kultur

Opposition von links

Erste Aktionen von Studierenden

II. Ein transnationales Ereignis

Anhaltende Proteste in den USA

Ausweitung und Radikalisierung in Westeuropa

«1968» als globale Bewegung

Bewegung an Westschweizer Universitäten

Deutschschweizer Universitäten: ein Blick über die Grenzen

Mehr Reform als Revolte

Proteste auf den Strassen von Zürich und Genf

Ausweitung auf andere Städte

Popkultur, Flower Power und Psychedelika

Wandel und Wirkung der Westschweizer Theaterszene

Untergrundpresse: lokal produziert, global vernetzt

Subkultur und Neue Linke: ein gespanntes Verhältnis

Filmszene – zwischen Politik und Experiment

Politik und Avantgarde in Kunst und Literatur

III. Deutungsmuster, Forderungen, Strategien

Antiimperialismus und Antimilitarismus

Antikapitalismus und Antifaschismus

Demokratisierung und Selbstbestimmung

Vielfalt der Aktionsformen

Sit-ins, Go-ins und Teach-ins

Gegeninformation und Provokation

Versuche zur translokalen Vernetzung

Neue Lebensstile und Lebensformen

IV. Zersplitterung, Rückzug, Fortsetzung

Die Jahre nach 1968

Konflikte und Zersplitterung in der Schweiz

Parteipolitische Aufbauarbeit

Die Spontaneisten

Militanz und Gewalt

Kulturelle Nachbeben

Verhärtung des Klimas an Schulen und Universitäten

Aufkommen der neuen sozialen Bewegungen

V. Wirkungen und Interpretationen

Was war «1968»?

Helvetische Schwierigkeiten und Besonderheiten

Frage nach Folgen und Wirkungen

Kampf um Erinnerungen und Deutungen

Auswahlbibliografie

«1968» – global und lokal

Im Herbst 1969 verteilen fünf Schüler des Lehrerseminars Hitzkirch im Kanton Luzern anlässlich einer Veranstaltung der Sanitätsrekrutenschule Flugblätter mit kritischen Fragen über Inhalt und Sinn des Armeebetriebs. In der Folge werden sie in der lokalen Presse als «Charakterlumpen» bezeichnet. Der Erziehungsrat des Kantons Luzern beschliesst, dass die Schüler von der Schule zu verweisen seien und zwei Jahre lang nicht als Lehrperson wählbar sein sollen. Vertreter der Jungen Linken Luzern und des Autonomen Forums Beromünster solidarisieren sich in einem weiteren Flugblatt mit den fünf Schülern, woraufhin einige von ihnen ebenfalls auf die Rektorate ihrer Schulen zitiert werden.

Diese kleine Episode gehört nicht zu den einschneidenden Ereignissen, die mit «1968» in der Schweiz in Verbindung gebracht werden. Es sind andere Ereignisse, Momentaufnahmen und Akteure, die sich ins kollektive Gedächtnis eingegraben haben. Für die Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer ist es der sogenannte Globuskrawall im Juni 1968 in Zürich, der paradigmatisch für die 68er-Bewegung steht. In der französischen Schweiz erinnert man sich im Zusammenhang mit dem Jahr 1968 vor allem an die Aktivitäten und Demonstrationen gegen die Journées genevoises de la Défense nationale im Mai 1968. Und im Kanton Tessin gilt die Besetzung im März 1968 der Aula des Lehrerseminars Locarno durch 200 Schülerinnen und Schüler als Schlüsselereignis von «1968».

Wenn die Episode von Hitzkirch dennoch am Anfang des vorliegenden Buchs steht, dann deshalb, weil sich daran aufzeigen lässt, dass sich «1968» in der Schweiz nicht allein auf einige zwar spektakuläre und weitum bekannte, doch insgesamt wenige Ereignisse beschränkt. «1968» war ein viel breiter gefächertes Phänomen, das oftmals durch kleine, örtlich begrenzte Ereignisse von der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde, sich aber noch viel mehr in alltagskulturellen Erscheinungen, sozialen Umgangsformen oder gar einzig und allein in neuen Klängen aus dem Transistorradio oder der bunteren Mode manifestierte. Um auch methodisch diesen multiperspektivischen Blick zu ermöglichen, verbinden sich in diesem Buch politik- und sozialgeschichtliche Zugangsweisen mit kultur- und alltagsgeschichtlichen Annäherungen.

Bislang ist die Geschichte von «1968» in der Schweiz vor allem als Lokalgeschichte geschrieben worden. Es liegen Studien zur 68er-Bewegung und ihren Mobilisierungen in Zürich, Bern, Basel, Lausanne und Genf vor. Bisweilen werden auch die französische Schweiz, die Deutschschweiz oder das Tessin als Ganzes erfasst, doch gibt es bis heute keine Darstellung zu «1968» aus gesamtschweizerischer Perspektive. Diese Lücke will das vorliegende Buch schliessen. Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit und systematische Erfassung sämtlicher Ereignisse und Akteure zu erheben, ermöglicht es der hier angewandte translokale und transregionale Blick, trotz Unterschieden und phasenverschobenen Entwicklungen Parallelitäten und Synchronitäten wie auch gegenseitige Beeinflussungen und Kooperationen darzustellen.

Doch «1968» war auch ein transnationales, ja ein globales Ereignis. Von den USA ausgehend breitet sich in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre weltweit eine Proteststimmung aus, die die Leute auf die Strassen treibt, um gegen die herrschenden Verhältnisse, gegen die Obrigkeiten oder den US-amerikanischen Vietnamkrieg zu demonstrieren. Nicht nur in Mexiko City, Berlin, Tokio, Buenos Aires, Berkeley und Belgrad, auch in Genf, Lausanne und Neuenburg demonstrieren Menschen für Solidarität mit der französischen 68er-Bewegung. Die Bewegungen inspirieren und beeinflussen sich gegenseitig, wobei die Medien, insbesondere das Fernsehen, eine wichtige Rolle spielen. Neue Protestformen wie Sit-ins, Go-ins oder Teach-ins werden weltweit erprobt, und die Protestierenden sind überall zum Teil massiven Repressionen von Seiten staatlicher Behörden ausgesetzt. Wie dieses Buch zeigt, lässt sich «1968» demnach auch für die Schweiz nicht allein aus dem lokalen, regionalen oder nationalen Kontext erklären, sondern muss in den grösseren Zusammenhang eines globalen «1968» eingebettet werden. Diese Sichtweise erlaubt es, «1968» in der Schweiz als Teil transnational vermittelter Prozesse zu verstehen und hiesige Ereignisse und Handlungen mit globalgeschichtlichen Interpretationen zu deuten.

Schliesslich nimmt das Buch eine zeitliche Perspektive ein, die sich nicht auf das Jahr 1968 beschränkt, sondern in der Tradition der angelsächsischen «sixties» und der frankofonen «années 68» steht. Aus diesem Blickwinkel stellen das Jahr 1968 und die folgenden zwei, drei Jahre zwar einen Höhepunkt an Mobilisierungen und Aktivitäten dar, allerdings ist diese eruptive Phase im Sinn der «longue durée» Teil von langfristigen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen der Nachkriegsschweiz wie auch der westlichen Industriegesellschaften insgesamt zu sehen. Es geht sozusagen darum, «1968» mit Hilfe des Blicks auf die langen «1968er-Jahre» zu erklären. Denn auch die Akteurinnen und Akteure selber haben eine Vor- und eine Nachgeschichte und machen einen Wandel durch, der sich nicht nur in ihren Einstellungen und Handlungen, sondern auch in ihren Ideen und Referenzsystemen zeigt.

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