1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 Dann fielen mir die Szenen der vergangenen Nacht mit einem Schlag wieder ein und ich sprang putzmunter und äußerst beherzt auf. In Sekundenschnelle hatte ich mein Handy in der Hand und erschrak beim Blick auf die Uhrzeit. Es war schon beinah Mittag. Kein Wunder also, dass die Mittagssonne mich aus dem Winterschlaf geholt hatte.
„Dann ist das wohl die Stunde der Wahrheit“, flüsterte ich, als ich das Online-Banking gespannt öffnete. Es lud und lud, bis … „Ich glaub es nicht.“
Ich hatte doch tatsächlich das Geld erhalten, stellte ich an meinem Kontostand fest. Glaubte man sowas? Ich war reich. Wie hieß es doch so schön? Pech in der Liebe, Glück im Spiel? Wer nicht wagt, der nicht gewinnt?
Vor lauter Freude hüpfte ich ungestüm in meinem ehemaligen Kinderzimmer auf und ab, warf Britney an den Wänden Kussmünder zu (die hing ja eh nur ab) und kreischte wie ein verliebter Teenie während eines Justin-Bieber-Konzerts. Offenbar veranstaltete ich solch einen Lärm, dass es keine zwei Sekunden dauerte, bis die Tür aufgerissen wurde und meine Mutter atemlos auf der Schwelle stand.
„Katharina, was ich denn los, um Himmels Willen“, rief sie verärgert.
Ertappt hielt ich inne.
„Ich hoffe, du hast nicht deine alten CDs entdeckt und führst einen Tanzwettbewerb auf. Unten bebt ja die Lampe an der Decke. Du weißt, wie ich das finde.“
Peng, fühlte ich mich sofort in meine Jugendzeit zurückversetzt. Es bedeutete nie etwas Gutes, wenn Eltern dich bei deinem vollen Namen nannten. Jedoch erhellte sich Mutters eben noch vorwurfsvoller Gesichtsausdruck, als sie meine freudige Miene sah. Das konnte aber auch daran liegen, dass ich aufgehört hatte zu zappeln.
„Hat Mike sich etwa gemeldet? War alles ein Missverständnis“, forschte sie neugierig nach und streckte das Kinn vor.
Naja, nee. Was dachte sie denn? Was konnte an dem Gesehenen ein Missverständnis sein? Die Lage war eindeutig. Eindeutig nicht zu Gunsten meines Verlobten. Und warum musste sie davon eigentlich wieder anfangen.
Meine Mundwinkel sanken um sage und schreibe dreißig Zentimeter nach unten. „Nein und nein. Natürlich nicht“. Fest nahm ich mir vor, meine Laune nicht beeinträchtigen zu lassen und ab heute auf der Glückswelle zu schwimmen. Ich setzte ein gekünsteltes Lächeln auf und zog die Schultern zu den Ohren. „Mike Wer?“
Dafür erntete ich einen todernsten Blick.
Ich strich mir die vom Hopsen wild gewordenen Haare hinter das Ohr, obwohl sie sofort in ihre Ausgangsposition zurücksprangen.
„Mutti, Planänderung für heute. Hast du nochmal Klamotten für mich?“ Ich klatschte in die Hände, voller Tatendrang und Euphorie. Ich war reich!
Eine Hand noch auf der Türklinke, betrat meine Mutter nun doch den Raum und blieb unmittelbar vor mir stehen. „Katharina, hast du etwa wieder getrunken? Hauch mich mal an.“
Manchmal musste man sich doch echt fragen! Beschwichtigend streckte ich beide Hände vor mir aus und versicherte ihr: „Stocknüchtern. Hör mal, ich mache mich jetzt fertig und dann müssen wir eiligst zur Post, frühstücken und shoppen gehen“. Damit scheuchte ich meine verwunderte Mutter aus dem Zimmer.
„Ich verstehe nicht…“, startete sie einen zweiten Versuch, mich zu durchschauen.
„Wir treffen uns gleich unten. Ich erzähle dir alles, wenn wir unterwegs sind, OK? Wir sind etwas spät dran.“
Dann düste ich in Windeseile in Richtung Badezimmer an ihr vorbei.
Meine Mutter wartete mit säuerlicher Miene bei einer Tasse Kaffee in der Küche auf mich, als ich frischgeduscht und in ihrer Jeans und ihrem Sweatshirt wiederauftauchte. In diesem Augenblick war ich froh, dass wir die gleiche Kleidergröße besaßen und ich nicht nackt oder in den stinkenden Klamotten von vorgestern vor die Tür musste.
Da ich nur mit dem Fahrrad hier war, stellte sich gar nicht erst die Frage, wer heute Chauffeur sein würde. Meine Mutti war an der Reihe, diese Aufgabe zu übernehmen.
Keine vierzehn Minuten später düsten wir los.
Zuerst sprang ich vor der Postfiliale aus dem Auto, während meine Mutter geduldig bei laufendem Motor auf mich wartete. Ich gab das Päckchen mit dem Ring für Herrn oder Frau Schroff als Eilsendung auf und flitzte zurück zum Auto. Es konnte weitergehen!
Jetzt begann der spaßige Teil des Tages. Meine Mutter hatte, wie immer, gut mitgedacht und fuhr extra in ein abgelegenes Lokal, wo ich sie zu einem späten Frühstück oder vielmehr Mittagessen einladen wollte. Sie wusste, dass Mike oder Anna uns an diesem Ort niemals über den Weg laufen würden.
Wir nahmen an einem winzigen Tisch am Fenster Platz.
„Such dir was Schönes aus. Ich lade dich ein“, weihte ich Mutter in meinen Plan ein.
Das kleine Café war nicht sonderlich gut besucht, sodass wir unsere Bestellung sofort aufgeben konnten und in Windeseile bedient wurden. Als die freundliche Kellnerin einen grünen Salat für meine Mutter und eine Tomatensuppe für mich serviert hatte, unterbrach mein Gegenüber sogleich die gefräßige Stille am Tisch.
„Na dann schieß mal los. Was ist der Anlass?“ Sie nahm einen Schluck aus ihrem Wasserglas. „Sonst lädst du mich nie ein. Gibt es weitere Nachrichten? Bist du zu allem Übel etwa ausgerechnet jetzt schwanger?“ Sie verschluckte sich beinah vor Schreck.
Reg dich nicht auf, dachte ich, du wolltest dir einen netten Tag mit deiner Mutter machen und sie nicht erwürgen. Angespannt entfaltete ich meine Serviette und legte sie mir auf den Schoß. Dabei ließ ich mir Zeit, um meine Antwort möglichst schonend zu formulieren. Dann blickte ich auf und sah in das Gesicht, das meinem so sehr ähnelte.
„Nein, du kannst dich abregen. Natürlich bin ich nicht schwanger.“ Sie hatte mir schließlich oft genug eingetrichtert, dass eine Verhütungsmethode nicht ausreichte. Doppelt hielt bekanntlich besser.
Ich stützte die Hände auf den Tisch.
„Ich möchte mich nur dafür revanchieren, dass ich vorerst bei euch untergekommen bin. Und ...“ Ich machte eine Kunstpause, um mir ihre volle Aufmerksamkeit zu sichern. „... ich habe gestern Abend meinen Verlobungsring verkauft. Für sage und schreibe 3.500 Euro.“
Zur Untermauerung des Gesagten klopfte ich auf die Tischplatte. Mein Gesicht glühte vor Freude und ich wurde bei dem Gedanken an so viel Geld wieder ganz aufgeregt.
Mutter jedoch sah mich an, als hätte ich von ihr verlangt, dass mich dieses Jahr der Weihnachtsmann wieder beschenken sollte.
„ Den Ring“, fragte sie mit einer extra großen Portion an ungläubigem Unterton, als sie die Sprache wiedergefunden hatte.
Sie liebte den Klunker noch mehr als ich und hatte allen Nachbarn, Verwandten, flüchtigen Bekannten und völlig Fremden lang und breit davon erzählt. Sie gehörte eindeutig zu den Menschen, die Bling-Bling mit Liebe gleichsetzten. Wenn dein Mann dich wirklich liebte, verwöhnte er dich mit materiellen Dingen. In ihren Augen war das ein Garant für seine Hingabe und eine langanhaltende Beziehung. Aber auch meine Mutter konnte sich mit Sicherheit mal irren.
„Katharina, das hast du nicht wirklich getan.“
Das war eine rhetorische Frage. Als ich nicht antwortete, setzte Gewissheit ein. Ihre Augen wurden immer runder, als sie an meinem Gesichtsausdruck keinerlei Anzeichen für einen Scherz entdeckte und realisierte, dass ich es ernst meinte.
„Nun…“, forderte sie mich zu weiteren Ausführungen auf. Dabei zog sie ihre rechte Augenbraue in die Höhe, sodass diese sich beinah in Stirnmitte befand. Ob ich ihr zum nächsten Geburtstag einen Botox-Gutschein schenken sollte? Immerhin hatte sie die Hälfte der Falten wegen mir.
Ich mochte auf keinen Fall in Erklärungsnot kommen, also fuhr ich fort: „Naja, mir fiel gestern Nacht auf, dass ich den verfluchten Verlobungsring noch trug. Also wollte ich ihn kurzerhand entsorgen, aber dann kam mir eine bessere Idee.“
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