Sandra Kudernatsch
Pralinen unter Palmen
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Inhaltsverzeichnis
Titel Sandra Kudernatsch Pralinen unter Palmen Dieses ebook wurde erstellt bei
27. Februar
28. Februar
1. März
2. März
3. März
4. März
5. März
6. März
7. März
8. März
9. März
10. März
11. März
12. März
13. März
14. März
15. März
16. März
17. März
18. März
Epilog
Impressum neobooks
„Hände hoch oder ich schieße.“
Das war eine ernst gemeinte Aufforderung, denn ein Revolver war direkt auf meine blasse Stirn gerichtet.
Ich war umzingelt von furchterregend angemalten Indianern, Cowboys in fransigem Leder und diversen maskierten Superhelden, die ein irres Geschrei verursachten. Es war ein kalter Tag und die trockene Heizungsluft stand unangenehm im Zimmer. Staubkörnchen tanzten im schwachen Sonnenlicht, das durch das Fenster zu uns hereindrang.
Meine Situation war ausweglos. Die kleinen Gestalten liefen wild durcheinander und die Geräuschkulisse erinnerte stark an den bevorstehenden Weltuntergang.
„Bitte nicht“, sagte ich mit furchterfüllter, zittriger Stimme und hob wie befohlen brav meine Arme über den Kopf. Dabei blieb ich an meinen drahtverstärkten roten Pippi-Langstrumpf-Zöpfen hängen und fluchte leise. Wieder ein Kratzer mehr.
Aus dem Augenwinkel beobachtete ich mindestens fünf anmutige Prinzessinnen in langen rosafarbenen, salbeigrünen und azurblauen Gewändern. Dazwischen befand sich ein Frosch. Die Edeldamen flüsterten verschwörerisch hinter vorgehaltenen Händen und zeigten immer wieder auf den Frosch. Irgendwann nahm eine von ihnen all ihren Mut zusammen und trat aus dem Kreis ihrer Freundinnen hervor. Sie spitzte ihre feuerrot angemalten Lippen und kniff ihre heftig geschminkten Augenlider zusammen. Ich hörte den lauten Schmatzer des Kusses, den sie dem Frosch aufdrückte, deutlich – sogar über die Siegesfreude hinsichtlich meiner Gefangennahme hinweg.
„Warum ist er denn immer noch ein Frosch“, fragte die Prinzessin in die Runde und rieb nachdenklich ihr Gesicht. Dabei verschmierte sie erfolgreich ihre Schminke, bis sie aussah wie der Frontmann von Kiss.
Die Beistehenden schwiegen.
„Im Märchen funktioniert das doch jedes Mal.“ Sie drehte sich ratlos mehrmals um ihre eigene Achse. „Du! Küss ihn“, forderte sie dann mit erhobenem Zeigefinger eine andere aus ihren Reihen auf.
Nils blieb jedoch Nils, auch nachdem jede der fünf Prinzessinnen ihm ein Küsschen auf die Wange gehaucht hatte.
Ich lächelte in mich hinein, während mich die Indianer lautstark umtanzten. Ein Wunder, dass ich noch nicht an einen Totempfahl gefesselt war. Ach nein, wir hatten ja gar keinen. Zum Glück.
Aber nun von vorn.
Nein, ich nahm keine Halluzinogene. Ich war auch keine Prinzessin, die in einer Traumwelt voller Märchengestalten, dem Guten und Bösen, dem Schönen und Biestigen lebte. Das war mein Alltag – obwohl heute, genau genommen, ein besonderer Tag war. Wir feierten Fasching bei uns im Kindergarten und alle waren noch ausgelassener und fröhlicher als sonst. Meine liebe Kollegin Eva und ich hatten unsere Mühe, die Kinder zum Schlafen hinzulegen und danach ruhig zu halten.
„Selbst wenn ihr nicht schlaft, macht wenigstens die Augen zu und ruht“, rief Eva nach einer Weile und schmiss verzweifelt die Arme in die Luft. „Manchmal frage ich mich, warum ich nicht einfach Briefträgerin geworden bin.“ Sie ließ sich theatralisch in den nächstbesten Stuhl sinken.
„Du möchtest also bei Wind und Wetter in die Pedale treten“, erkundigte ich mich schmunzelnd, während ich einem murrenden Mädchen den Pyjama überstreifte. „Den ganzen Tag ohne Toilette auskommen und dich mit großen Hunden anlegen, die dich nicht auf ihren Hof lassen wollen?“
Eva rollte mit den Augen, weil ich einen Nerv getroffen hatte.
Dann kam der kleine Frosch Nils zu ihr herüber gehüpft.
„Ich will mich nicht umziehen“, jammerte Nils. „Ich will im Kostüm schlafen.“ Er stapfte mit seinem Plüschschuh auf den Boden vor Eva, stemmte die Hände in die Hüften und sah dabei unglaublich niedlich aus. Bis er leider von den anderen Kindern begeistert in seinem Wunsch unterstützt wurde.
Eva erhob sich mühsam aus dem Stuhl und hockte sich vor Nils auf den Boden, sodass die beiden auf Augenhöhe waren.
„Willst du wirklich auf deinen Spiderman-Schlafanzug verzichten“, fragte sie ihn mit nach oben gezogenen Brauen.
Der kleine Junge überlegte fieberhaft.
„Nein“, sagte er schließlich und begann, sich flink und noch an Ort und Stelle zu entkleiden.
„Das ging ja einfach“, formte Eva lautlos mit den Lippen in meine Richtung.
Glücklicherweise orientierten sich die anderen Kinder erneut an Nils‘ Wunsch und ließen sich bereitwillig in ihre Schlafanzüge stecken.
Keine zehn Minuten später lagen die Kleinen endlich in ihren Betten – jedoch putzmunter, flüsternd und zappelnd. In dreißig Jahren würden sie anders denken und den täglichen Mittagschlaf als puren Luxus schätzen lernen.
Eva schlief, wie jeden Tag um diese Zeit, noch vor den Knirpsen ein. Ihr Kopf rollte auf meine Schulter und blieb dort liegen, bis sie anfing zu sabbern. Sie war wirklich eine tolle Kollegin, ließ sie mich doch mit meinen Gedanken und den vereinzelt munteren Kindern allein.
Ich war hellwach und hatte gute Laune. Weil ich nichts Besseres zu tun hatte, rief ich mir die Szene mit dem Frosch und den Prinzessinnen von vorhin wieder in Erinnerung und sinnierte.
Auf meinem Gesicht richtete sich plötzlich ein meterbreites Grinsen häuslich ein, denn ich musste seit langer Zeit keine Frösche mehr küssen. Meinen ganz persönlichen Prinzen hatte ich nämlich schon vor vier Jahren gefunden! Oder besser gesagt, ich hatte mich finden lassen.
Die Geschichte unserer Begegnung könnte aus dem Drehbuch eines romantischen Hollywoodfilms stammen.
Ich bin freitags nach der Arbeit völlig gestresst und mit dumpfen Kopfschmerzen noch im Supermarkt gewesen. Wie immer ärgerte ich mich darüber, dass meine Lieblings-Joghurtsorte ganz oben im Kühlregal stand. Ganz oben hieß übersetzt außerhalb der Reichweite eines Zwerges wie mir. Also suchte ich, auch wie jedes Mal, in der Masse der Einkaufswütigen jemanden, den ich um Hilfe bitten konnte. Die Kunst bestand darin, einen großen Mann zu finden, der möglichst ohne weibliche Begleitung unterwegs war, denn ich wollte keinesfalls der Auslöser für eine Eifersuchtsszene sein.
Ich ließ den Blick über die Menschen gleiten und dachte mir hypothetische Lebensgeschichten und Beziehungen zu jedem Einzelnen aus, bis meine Augen schließlich interessiert an einem sehr langen und dünnen Mann hängenblieben. Erstaunlicherweise schaffte er es, sein Handy zu prüfen, obwohl sich in seinen Armen alle möglichen Lebensmittel türmten.
„Entschuldigung“, räusperte ich mich zaghaft und machte einige Schritte auf ihn zu. „Können Sie mir bitte kurz helfen?“
Es folgte unbändiges Wimpernklimpern meinerseits, um möglichst hilfsbedürftig und gleichzeitig liebenswürdig zu wirken. Der Mann blickte verwirrt von seinem Handydisplay auf und seine stahlgrauen Augen trafen mich.
Ich stellte das Wimpernklimpern sofort ein, denn er war deutlich jünger, als er von Weitem gewirkt hatte. Sprich: er war heiß. Warum musste ich ausgerechnet heute ungeschminkt herumrennen?
„Mein Lieblingsjoghurt steht immer so weit oben, dass ich nicht heranreiche“, brachte ich hervor, hob entschuldigend die Schultern und lächelte verlegen. Multitasking war wirklich nicht mein Ding.
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