Die Miene des Typs erhellte sich, wobei sich auf seiner linken Wange ein kleines Grübchen bildete. Wie niedlich. Und wirklich heiß.
„Dann komme ich ja wie gerufen“, sagte er lässig. „Du weist den Weg, ich folge.“
Flirtete der etwa mit mir oder bildete ich mir das nur ein?
Ruckizucki drehte ich mich um und stolzierte befangen zu den Joghurtbechern. Dass er mir mit langen Schritten auf den Fersen war, spürte ich nur allzu deutlich. Nur nicht stolpern, dachte ich, bleib cool.
Abrupt blieb ich stehen.
„Da wären wir. Diesen nehme ich immer.“ Ich zeigte mit dem Finger in die vage Richtung, während meine Augen weiter den Typen anstarrten.
Als er nach oben langte und den Becher umgriff, rutschte sein olivgrünes T-Shirt etwas nach oben und entblößte die nackte, glatte Haut darunter.
„Hmm, Vanille“. Mit dem Joghurt in der Hand drehte er sich zu mir um und ertappte mich dabei, wie ich die blonden Härchen an seinem flachen Bauch zählte. Hoffentlich bemerkte er nicht, dass ich mich fragte, wie es wohl einige Zentimeter tiefer aussah.
„Wie ich sehe, stehst du auf Süßes“, grinste er und deutete auf seine perfekte Körpermitte.
Ja, er flirtete definitiv mit mir. Himmelherrgott, wie peinlich! Vermutlich sah man mir genau an, was ich dachte. Aber frau durfte ja wohl auch ab und an Kopfkino haben?
Mein Gesicht wurde heiß vor Scham. Ein sicheres Indiz dafür, dass es knallrot leuchtete. Ich blickte schnell zu Boden und drehte mich von ihm weg.
„Danke“, presste ich zwischen rauen Lippen hervor und knüllte den Einkaufszettel in meiner Faust zu einem klammen Ball zusammen, während ich auf dem Absatz kehrt machte und den Mann einfach stehen ließ. Er nahm es mit einem leisen Kichern auf die leichte Schulter.
Wenige Augenblicke später, meine Gesichtsfarbe hatte sich inzwischen normalisiert, konzentrierte ich mich an der Gefriertruhe auf die Eissorten, als Mister Zweimeter zielgerichtet auf mich zukam.
„Du hast mich vorhin einfach mit deinem Joghurt stehen lassen. Hast wohl das Interesse verloren“, sagte er mit diesem ganz bestimmten Unterton, der dazu führte, dass eine stinknormale Aussage zweideutig klang.
Wieder schoss mir die Röte mit voller Wucht ins Gesicht.
Er drückte mir den Joghurtbecher in die Hand, während ich meine Augen umherschweifen ließ, um ihn bloß nicht anzustarren.
„Super. Ähm, danke“, bedankte ich mich zum zweiten Mal bei ihm und entfaltete und faltete weiter meinen lädierten Einkaufszettel. Ich durfte bloß nicht vergessen, Toilettenpapier zu kaufen, dachte ich.
„Kein Ding, hübschen Mädels hilft man doch gerne.“ Er lachte aus vollstem Herzen und deutete eine minimalistische Verbeugung an. „Die Wahrheit ist, ich hätt‘ ihn dir auch gekauft, aber mein Kontostand lässt das nicht zu“.
Mit einem Kopfnicken verabschiedete er sich und ging entspannten Schrittes, die Arme voller Lebensmittel, in Richtung Kasse davon.
Auch Tage später dachte ich noch immer permanent an die außergewöhnliche Begegnung.
Der Mann gefiel mir. Und das, obwohl er viel zu kleine T-Shirts trug. Oder gerade deshalb?
Hoffnung machte sich breit. Würde ich ihn vielleicht in der kommenden Woche wieder im Supermarkt sehen? Das sollte eigentlich ein Klacks sein. Ich müsste nur zur selben Zeit wieder dort sein. Und super aussehen und lustig und toll sein.
Doch wie es das Hollywood-Drehbuch wollte, musste ich gar nicht so lange warten.
Als ich nämlich eines darauffolgenden Abends meinen leckeren Vanillejoghurt löffelte, wunderte ich mich, dass ich plötzlich Tinte an den Fingern hatte. Ich wusch alles ab und widmete mich anschließend wieder dem Joghurt.
Nur, um ein weiteres Mal überall Farbe zu entdecken.
Mit gerunzelter Stirn inspizierte ich den Joghurtbecher genauer und wurde tatsächlich fündig. In hohen, eng stehenden Buchstaben stand dort gekritzelt „ Willst du teilen? M. “. Darunter war eine Handynummer angegeben.
„Oh Manno man“, kreischte ich.
Aufgeregt hüpfte ich durch die Wohnung. Der Joghurt war längst vergessen. An Essen war sowieso nicht mehr zu denken, als mir einfiel, dass meine Antwort noch ausstand.
Ich tüftelte und zerbrach mir den Kopf, bis ich sage und schreibe neunzig Minuten später endlich die perfekte Nachricht zusammengestellt und abgeschickt hatte.
Seither waren Mike und ich unzertrennlich. Arsch auf Eimer, Topf mit Deckel, Kinderschokolade und Milch. Zwischen uns passte kein Blatt Papier. Hinter unserem Rücken hießen wir im Freundeskreis nur „Mika“ (MIke und KAti). Das gefiel mir, weil die Zeitungen Hollywoodpaare auf die gleiche Weise tauften. Und wer mochte sich nicht einmal in seinem Leben wie ein Star fühlen?
Exakt zwei Jahre später war es dann unverhoffterweise soweit – ich fand an einem verregneten Faulenzsonntag auf dem Sofa in einem identischen Joghurtbecher einen Ring. Einen weißgoldenen Ring mit einem überaus großen und überaus funkelnden Stein.
Als ich den Sinn dieser verrückten Aktion erfasste, legte sich meine rechte Hand geschockt auf meiner Brust ab.
„Ist es das, was ich denke“, hauchte ich, beinah sprachlos. Meine Augen füllten sich mit den ersten Tränchen.
Mike rutschte von der Couch nach unten auf den Fußboden, nahm meine linke Hand in seine Pranke und fragte: „Möchtest du meine Frau werden“.
Mein Körper bebte vor Anspannung. Mike hielt die Luft an, bis sich sein Gesicht ganz blau verfärbte, und wartete darauf, dass ich ihn erlöste. Das tat ich irgendwann auch.
„Ja, natürlich“, kreischte ich. Nun heulte ich richtig vor lauter Glück. Ich stand so unter Strom, dass ich Mike beinah umgestoßen hätte, als er mich zu sich auf den Boden zog und in seine Arme schloss.
„Das wollte ich hören.“ Er strich mir liebevoll eine zentimetergroße Freudenträne von der Wange. „Ich habe schwer geschuftet für diesen Ring. Nur das Beste für meine Kati“, grinste Mike.
Ich küsste sein niedliches Grübchen und bedeckte danach sein ganzes Gesicht mit leichten Schmetterlingsbussis.
Wer hätte das gedacht? Aus mir, Katharina Bauer, würde Kati König werden. Wie gut das klang!
Noch am selben Tag begann ich mit der Planung der Hochzeit.
Danach vergingen zwei weitere Jahre, bis jedes noch so kleine Detail festgelegt und jedes unvorhersehbare Ereignis vorhergesehen war. Es war nicht einfach, Kompromisse zu finden, mit denen alle Beteiligten leben konnten. Hinzu kam, dass wir vor der eigentlichen Trauung verreisen mussten, weil ich zu keinem anderen Zeitpunkt Urlaub bekommen hatte.
Viele Tage und Nächte hauten wir uns um die Ohren, weil wir uns ganz und gar nicht über das Ziel unserer Hochzeitsreise einigen konnten. Mich zog es nach Schottland. Ich stellte es mir romantisch vor, die Flitterwochen in alten Schlössern und umgeben von satten grünen Bergen zu verbringen. Mike wollte gerne in die USA, um auf der Route 66 das Gefühl von Freiheit zu genießen, das er bei der Trauung (vermutlich) verlieren würde.
Der perfekte Kompromiss wurde erst gefunden, als meine beste Freundin Anna uns das Traumziel Seychellen vorschlug. Da es inmitten des Indischen Ozeans lag, konnte Mike sich nach Lust und Laune im Wasser tummeln und einen Sonnenbrand holen, während ich die Tage einfach nur verschlief oder bunte Vögel zählte.
Doch auch als das Hotel ausgesucht und die Reise schließlich gebucht war, war der Hochzeitsstress lange nicht vorbei. Mike überließ mir nur allzu gern die Ehre, sich über alle möglichen ausstehenden Themen den Kopf zu zerbrechen. Die Sitzordnung, Beantragungen diverser Art, Blumen, Saalmiete, Musikwünsche sowie Speisenangebot und Brautkleid waren einfach nicht sein Ding.
Ich kam oft an meine Grenzen und war froh darüber, dass mir Anna mit Rat und Tat zur Seite stand. Bloß einer Sache war ich mir hundertprozentig sicher: komme, was wolle, ich würde Mikes Nachnamen annehmen und voller Stolz für den Rest meines Lebens tragen.
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