Fast schon langweilig, oder?
Ich kam mit sieben in die Grundschule. Sie machte mir zuerst Spaß. Ich konnte dem Unterricht folgen, hatte gute Noten und fand Freunde. Ich war nicht übermäßig beliebt, aber auch kein Außenseiter. Manchmal hatte ich Probleme mit den Jungs. Sie zogen die Mädchen gern an den Haaren oder Kleidern, und wenn mir das passierte, schubste ich zurück. Ich ließ mir nichts gefallen. „Auffällig“, nannten mich die Lehrer. „Wildfang“, sagte mein Vater und lächelte.
Ich habe nie verstanden, warum sich Jungs und Mädchen am Anfang immer streiten müssen, wenn sie doch später zusammenfinden sollten. Belastet so was nicht eine Beziehung? „Ich weiß noch, was du für eine Kratzbürste warst …“ Klingt irgendwie dämlich. Woran merken wir Mädchen, dass Jungs nicht bloß blöde Hunde sind? Und wann merkten die, dass nicht alle Mädchen dumme Ziegen waren? Vielleicht könnte mal jemand etwas daran ändern.
In der Mittelschule sah mein Enthusiasmus fürs Lernen schon sehr viel anders aus. Auch, weil Streber noch nie besonders gern gesehen waren. Warum hatte ich nur solchen Wert darauf gelegt, was andere von mir halten? Hatte ich es so nötig, mich nach anderen zu richten? Was war aus dem kleinen Wildfang geworden? Ein Fisch, der mit dem Strom schwamm, um nicht aufzufallen …
Den Bildungsweg über das Gymnasium schlug ich aus, weil sich bei mir die Langeweile breitmachte. Ich tat das Nötigste für meinen Zensurspiegel, um keine Versetzung zu riskieren, aber das war auch schon alles. Nach dem Unterricht erledigte ich meine Hausaufgaben schnell und unsauber, um kurz darauf auf dem Bett zu liegen, Chips und Schokolade zu futtern und die „geilen“ neuen Videos auf meinem Smartphone zu checken. Klatsch im Internet – wenn du ihn nicht kanntest, warst du unten durch. Auch zog ich mit den damaligen Freundinnen um die Häuser; wir sprachen über Mode und süße Schauspieler und zockten per App mit Leuten, von denen wir niemanden wirklich kannten.
Irgendwie ist die ganze Technik eine absolute Verschwendung von Zeit, oder? Ich dachte damals, es wäre spaßig. Cool, richtig stark und so erwachsen. Alle machten schließlich mit. Dabei hätte ich mehr auf Kieran achten müssen.
Als ich dreizehn war, bekam ich meinen ersten Kuss. Von einem siebzehnjährigen Jungen. Wenn meine Eltern das je erfahren hätten, wären sie vielleicht strenger mit mir gewesen. Mama sah es lustigerweise nicht so eng, wenn junge Mädchen ihre heimlichen Erfahrungen machten. Vielleicht hatte auch sie geheime Dinge getan, von denen Papa nichts wusste. Er wäre wohl nicht so ruhig geblieben.
Dieses Geheimnis wird meins bleiben. Nach zwei Wochen Geknutsche war eh Schluss. Teenagerliebe hält ja nie lang vor. Sie ist nur oberflächlich und leicht zu zerbrechen. Ich konnte mir zu dem Zeitpunkt nicht vorstellen, wie es wäre, jahrelang ein und denselben Partner zu haben. Was ist die Liebe überhaupt? Ich denke nicht, dass ich den Jungen sehr mochte …
Leider werde ich nie alt genug sein, um von „ Jugendsünden “ s prechen zu können. Oder um die Liebe mit dem einen Mann gefunden zu haben.
Mit vierzehn wurde ich echt ätzend und war ja so überzeugt davon, dass ich hübsch aussah. Trotz allem Süßkram war ich nicht aufgequollen wie ein Hefeteig und kein dürres Klappergerippe wie die Models in den TV-Shows. „ Kurvig“ , hatte mich ein Verehrer genannt und ich fühlte mich gut dabei, ohne mehr darüber nachzudenken, was das bedeutete.
Es war mir sehr wichtig geworden. Das Aussehen für andere. Das Ansehen bei anderen. Gerade bei den richtig coolen Jungs. Ich zählte laut einem Highscore zu den schönsten Mädchen der Schule und hatte fast täglich einen ungeschickten Liebesbrief unter meinem Schreibtisch. Meine Beliebtheit gab meinem Wort auch mehr Gewicht. Wenn ich etwas zu sagen hatte, hörte man mir zu; egal, ob es klug oder dumm war. Ich hatte mehr Beachtung als der öde Streber oder der freakige Nerd, auch wenn die mehr vom Fach verstanden als ich. Aber wer cool war, hörte nicht zu.
Warum habe ich nie etwas für sie getan? Warum habe ich nie etwas gesagt, wenn die anderen sie mobbten? Ich sah nur weg. Ich wollte nicht, dass die anderen dachten, ich gäbe mich mit diesen komischen Typen ab. Ich hatte einen Status zu verlieren.
Wovor hatte ich Angst?
Scheinbar vor dem Alleinsein.
Die Außenseiter sind viel mutiger als ich.
Eines Tages kam Florian in unsere Klasse. Er war vom Gymnasium abgegangen und alle Mädchen begannen gleich auf ihn zu fliegen. Groß, schlank, sportlich gebaut, denn er ging zum Schwimmen und machte außerdem Kampfsport. Intelligent, witzig, charmant. Und er schaute voll süß aus. Hellbraune Haare, erste Bartstoppeln und sanfte braune Augen wie ein Reh. Sogar eine eingebildete Kuh wie ich war hin und weg, als wir das erste Mal begegneten.
Er war damals leider auch der Grund für einen wahren Zickenkrieg, der die ganze Schule erfasste. Die Mädchen glaubten, in jeder anderen eine Konkurrenz zu sehen. Ich musste mit manchem Getratsche zurechtkommen. Zerstritt mich mit Freundinnen, verlor Bindungen. Es war die tägliche Hölle. Alle krempelten sich um.
Florian war das nicht entgangen.
Nach der Schule kam er einmal auf mich zu.
„ Irgendwie herrscht bei euch ein ganz schöner Stunk, wie?“, versuchte er ein lockeres Gespräch.
„ In letzter Zeit schon . Bei einigen kochen gerade die Hormone über … “ , scherzte ich gespielt leichthin.
„ Bei dir aber nicht, oder? “
Als ob er meinen schnellen Herzschlag spüren könnte. Meine feuchten Hände. Mein nervöses Blinzeln. Zum ersten Mal spürte ich diese wirren Schmetterlinge im Bauch, von denen die Verliebten sprachen. Er stand nah bei mir. Ich roch seinen Duft. Es war angenehm.
War das die Liebe?
„ Ich denke, das Theater ist bald vorbei “ , lächelte ich schüchtern.
Er nickte ernst. „Hoffentlich . Die sollten mal erwachsen werden. “
Erwachsen. In meinem Kopf wurde endlich mal eine nützliche Lampe eingeschaltet! Florian mochte dieses kindische, gestellte Getue nicht. Er war so anziehend, weil er anders war als andere. Seinen eigenen Weg ging. Sich nicht verbiegen ließ. Das war erwachsen.
Noch am selben Abend bat ich meine Mutter, mir die langen, mädchenhaften Haare abzuschneiden, hin zu einer modischeren, fraulicheren Frisur. Sie war sehr überrascht und lachte, ob ich denn verliebt wäre. Seitdem trug ich eine Art stacheligen Pagenschnitt und war begeistert, als man mich beim Einkaufen an der Kasse auf über achtzehn schätzte.
Die Lästerschwestern hatten natürlich nichts dafür übrig. Ich sah für sie aus wie ein Vogelnest und so …
Mir war das egal. Ich nahm mir vor, mich nicht mehr nach anderen zu richten. Und Florian grüßte mich mit einem Lächeln im Flur.
Mein letztes Jahr. Unser letztes Jahr.
Wir bereiteten uns alle auf die Abschlussprüfung vor. Der Leistungsdruck wurde durch die Reibereien untereinander natürlich nicht besser. Einige standen stark auf Kippe. Ich schlug mich so durch. Verbrachte mehr Zeit allein auf meinem Bett beim Lernen, denn nun wollte niemand mehr um die Häuser ziehen. Freunde kommen und gehen im langen, langen Leben …
Kieran kam oft zu mir ins Zimmer und wir redeten viel. Er war lieber bei mir als bei unseren Eltern. Die waren von ihm ziemlich enttäuscht, weil er an einer Tankstelle Kaugummis und einen Energydrink geklaut hatte. Sein Glück, dass er minderjährig war. Hausverbot bei der Tanke und Stubenarrest gab es trotzdem. Er war froh, dass ich ihm nicht auch noch sauer war. Dummheiten machte schließlich jeder. Bei ihm sammelten die sich allerdings schon an.
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