Dion Fortune
Die Seepriesterin
Mystic Fantasy
Aus dem Englischen neu bearbeitet von
Mara Ordemann
Smaragd Verlag
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Originaltitel: „The Seepriestess“
Erstauflage Dion Fortune 1938
© Smaragd Verlag, 56269 Dierdorf
Deutsche Erstausgabe September 1989
Vollständig überarbeite Neuauflage Januar 2017
© Cover: kevron2001 - fotolia.com
Umschlaggestaltung: preData
Satz: preData
ISBN (epub) 978-3-7418-8120-6
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1
Ein Tagebuch zu führen ist für die meisten unserer Zeitgenossen eine schlechte Angewohnheit, jedoch eine Tugend in den Augen unserer Vorfahren. Ich muss mich zu dieser Untugend bekennen, wenn es überhaupt eine Untugend ist, denn eine ganze Reihe von Jahren habe ich recht ausführlich Tagebuch geführt. Ich liebte die Beobachtung, aber es fehlte mir an Fantasie. Ich wäre lieber der Chronist einer großartigen Geschichte gewesen, aber eine solche ist mir leider nicht untergekommen. Ich mache mir keinerlei Illusionen, mein Tagebuch sei Literatur, aber es hat mir als Ventil gedient zu einer Zeit, als ein Ventil dringend nötig war. Ich glaube, ohne dieses wäre es mehr als einmal zu einem Skandal gekommen.
Man sagt, Abenteuer seien für die Abenteuerlustigen, aber man kann schlecht auf Abenteuersuche gehen, wenn es Menschen gibt, die von einem abhängig sind. Hätte eine junge Frau sich auf das Abenteuer, mit mir zu leben, eingelassen, wäre diese Geschichte anders verlaufen; aber meine Schwester war zehn Jahre älter und meine Mutter behindert, und das Familienunternehmen brachte gerade genug ein, uns alle drei in meinen wilden Jugendjahren über Wasser zu halten. Abenteuer waren daher nichts für mich, es sei denn, mit einem Risiko für andere, was, wie ich meine, nicht vertretbar gewesen wäre. Daher also die Suche nach einem Ventil.
Die alten Tagebücher liegen Band für Band in einer Blechkiste auf dem Dachboden. Ab und zu habe ich hineingesehen, aber sie sind langweilig; meine einzige Freude lag darin, sie zu schreiben. Sie sind eine objektive Chronik von Ereignissen, durch die Brille eines Geschäftsmannes aus der Provinz gesehen, und daher sehr dünnes Bier, wenn ich das mal so sagen darf.
Aber an einem gewissen Punkt gibt es eine Wendung. Das Subjektive wird objektiv. Aber wo und wie, kann ich nicht genau sagen. Bei dem Versuch, Klarheit in die Angelegenheit zu bringen, begann ich, die späteren Tagebücher systematisch durchzulesen und schließlich abzuschreiben. Es ist eine seltsame Geschichte daraus entstanden, und ich behaupte nicht, sie zu verstehen. Ich hatte gehofft, beim Schreiben mehr Klarheit zu gewinnen, aber das war unmöglich: im Gegenteil, die Sache ist noch verwirrender geworden, und hätte ich nicht die Angewohnheit mit dem Tagebuch gehabt, wäre vieles in Vergessenheit geraten. Das Gedächtnis hätte dann die Geschehnisse nach dem eigenen Gutdünken betrachtet, um den bereits bestehenden Vorstellungen zu entsprechen, und das Unverständliche wäre unbeachtet ad acta gelegt worden.
Aber da die Dinge schwarz auf weiß vor mir lagen, war dieses nicht möglich, und ich musste ihnen als Ganzes gegenübertreten. Ich halte sie fest, so, wie sie sich wirklich zugetragen haben. Ich selbst kann ihren Wert nicht beurteilen. Auch wenn es nicht Literatur ist, so erscheint mir das, was geschehen ist, alleine von den Tatsachen her schon ein interessantes Kapitel unserer Geistesgeschichte zu sein, und wenn ich aus dem Nach-Erleben so viel lerne, wie ich aus dem Erleben selbst gelernt habe, hat es sich für mich gelohnt.
Es begann mit einer Auseinandersetzung über Geld.
Unser Unternehmen ist ein Immobilienbüro, das ich von meinem Vater geerbt habe. Ich war stets ein guter Geschäftsmann, aber bei Spekulationen geriet ich regelmäßig in Schwierigkeiten. Mein Vater hatte niemals dem Versuch widerstehen können, ein Geschäft zu ergattern. Wenn also ein Haus, von dem er wusste, dass der Bau zehntausend Pfund gekostet hatte, für zweitausend wegging, musste er es haben. Aber niemand wollte diese großen weißen Elefanten haben, und so erbte ich eine ganze Herde von ihnen. In meinen Zwanzigern und auch noch weit über die Dreißiger hinaus mühte ich mich mit diesen Biestern ab, ging mit ihnen Stück für Stück hausieren, bis das Geschäft wieder gesund war und ich in der Lage, das zu tun, was ich schon lange hatte tun wollen – es verkaufen, – denn ich hasste es und das ganze Leben in dieser todlangweiligen Stadt; ich wollte das Geld verwenden, um mich in einen Verlag in London einzukaufen. Das, so dachte ich, würde mir den Einstieg in ein Leben verschaffen, das mich faszinierte. Außerdem schien mir dieser Plan keine wilde Spekulation zu sein, denn Geschäft ist Geschäft, ob man nun Ziegelsteine oder Bücher verkauft. Ich hatte jede Biografie gelesen, derer ich habhaft werden konnte und die sich mit der Welt der Bücher beschäftigte, und glaubte, dies könnte etwas für jemanden sein, der mit Geschäftsdingen vertraut war. Es mag natürlich sein, dass ich mich irrte, hatte ich doch keinerlei Erfahrung mit Büchern und ihren Machern aus erster Hand, aber so sah es damals für mich nun einmal aus.
Ich gab die Idee an meine Mutter und Schwester weiter. Sie waren nicht dagegen, vorausgesetzt, ich wollte nicht, dass sie mit mir nach London kämen. Das war eine Gunst, die ich gar nicht erwartet hatte, fürchtete ich doch, ein Haus für sie mieten zu müssen, denn meine Mutter würde sich nie mit einer Wohnung zufriedengeben. Ich sah meinen künftigen Weg vor mir, so, wie ich ihn mir nie zu erträumen gewagt hätte – ein Junggesellenleben in Künstlerkreisen, als Clubmitglied und Gott weiß nicht was alles. Aber dann kam der große Knall: Die Geschäftsräume unseres Unternehmens lagen in einem Teil des alten georgianischen Hauses, in dem wir immer gelebt hatten. Es war unmöglich, das Geschäft ohne das Grundstück zu verkaufen, denn es war die beste Lage in der Stadt, aber die beiden Damen wollten nicht zustimmen.
Ich denke, ich hätte es durchboxen und das Haus über ihre Köpfe hinweg verkaufen können, aber das wollte ich nicht, da mich meine Schwester, aber auch meine Mutter hinreichend bearbeiteten, und so gab ich schließlich nach und beschloss, zu bleiben, wo ich war.
Und so gelang es schließlich Mutter und Schwester, mich zum Blieben zu ‚überreden‘.
Mein eigentliches Problem war, dass mir gleichgesinnte Freunde fehlten, und die Aussicht, diese jemals zu bekommen, hatte mich auf die Verlagsidee gebracht. Dennoch, Bücher sind kein schlechter Ersatz, und vielleicht wäre ich sehr enttäuscht worden, wenn ich nach London gegangen wäre und versucht hätte, Freunde zu gewinnen. Schließlich stellte es sich heraus, dass es gut gewesen war, dieses Abenteuer nicht zu wagen, denn kurz darauf brach mein Asthma aus, und ich wäre wahrscheinlich nicht in der Lage gewesen, den Trubel in London zu ertragen.
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