Dion Fortune
Mondmagie
Das Geheimnis der Seepriesterin
Mystic Fantasy
Aus dem Englischen übersetzt und neu bearbeitet von
Mara Ordemann
Smaragd Verlag
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Originaltitel: „Moon Magic“
Erstauflage England 1956
© Smaragd Verlag, 56269 Dierdorf
Deutsche Erstausgabe Oktober 1990
Vollständig überarbeite Neuauflage Januar 2017
© Cover: marcel - fotolia.com
Umschlaggestaltung: preData
Satz: preData
ISBN (epub) 978-3-7418-8121-3
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Vorwort von Dion Fortune
Es heißt, wenn ein Schriftsteller eine bestimmte Situation vor Augen hat, dann wird er diese irgendwann zu Papier bringen.
Wie dem auch sei – als ich für meinen ersten Roman, „Die Seepriesterin“, die Figur der Vivian Le Fay Morgan erdachte, – oder Lilith Le Fay, wie sie sich gelegentlich selbst nannte – schuf ich eine Fiktion.
Im zweiten Roman, den Sie jetzt in Händen halten, hat sie sich weiterentwickelt und ist alles, nur keine Marionette in meiner Hand – im Gegenteil: Sie hat selbst die Regie übernommen. Und das ist gut so, denn Gestalten müssen lebendig werden, sonst bleibt der Roman Makulatur.
Jeder, der mit der Kunst der Schriftstellerei vertraut ist, kennt die Gefahr, dass der Autor von den Höhen des Erzählens in die Niederungen des Berichtens abstürzt oder die Höhen erst gar nicht erklimmt. Diese Gefahr ist in MONDMAGIE – DAS GEHEIMNIS DER SEEPRIESTERIN nicht gegeben, denn ich lasse sie für sich selbst sprechen.
Nach ihrem geheimnisvollen Verschwinden blieb die Seepriesterin nicht im Grab liegen, sondern ihre Seele beharrte darauf, aufzuerstehen und umherzuwandeln. Und ihr Geist ging so beharrlich in meinem Geist spazieren, dass ich diesen Roman wie unter Zwang geschrieben habe.
Eine klare Vorstellung von der Handlung hatte ich nicht. Sechsmal habe ich das Buch angefangen, und sechsmal fand es sich im Papierkorb wieder. Schließlich machten die verschmähten Kapitel den Umfang eines mittleren Romans aus. Ich wollte schon aufgeben, da geschah etwas Merkwürdiges: Lilith nahm mir die Zügel aus der Hand und erzählte die Geschichte selbst, und so war ich nur noch ihr Werkzeug. In der Terminologie des Romans ausgedrückt: Sie benutzte mich, wenn auch auf andere Weise als ihren Gegenspieler, Dr. Malcolm. Und so kann ich keine Verantwortung übernehmen, weder für die Geschichte, noch für die Personen – auch sie schufen sich selbst. Und glauben Sie mir: Das Ende der Geschichte hat mich selbst überrascht. Manch einer würde das Ganze als „automatisches Schreiben“ bezeichnen. Ich weiß nicht, ob ich es so nennen würde. Ich meine eher, es geschah das, was die Hauptperson wollte. Wie dem auch sei – ich übernehme jedenfalls keinerlei Verantwortung – weder für die Geschichte selbst, und schon gar nicht für die Romanfiguren – sie schufen sich selbst.
Unter diesen Umständen ist es für mich außerordentlich schwierig, den Wert des Romans einzuschätzen. Ich halte ihn nicht unbedingt für ‚hohe Literatur‘, was auch immer das sein mag, wohl aber für eine psychologische Rarität. Zudem passieren seltsame Dinge, von denen ich nichts ahnte, bevor ich sie dann hier las.
Die Weltanschauung von Lilith Le Fay ist als heidnisch zu bezeichnen, aber sie ist eine Rebellin mit dem Hang, die Gesellschaft zu verändern. Unumwunden gebe ich zu, dass sich viel von mir in Lilith Le Fay wiederfindet, noch viel mehr hat jedoch nichts mit mir zu tun. Mag sein, dass sie mein Freud‘sches Unterbewusstsein wachgerüttelt hat. In einem Punkt unterscheiden wir uns allerdings gewaltig: Ich bin noch keine einhundertzwanzig Jahre alt – zumindest jetzt noch nicht.
Malcolm ist vielen Quellen entsprungen. Zu meiner Zeit kannte ich eine Reihe von Malcolms, und ich werde garantiert noch etliche kennenlernen, bevor ich mich, wie Lilith Le Fay, aus dem Staub mache und die Kraft, die mich trägt, zurückgenommen wird.
Vieles ist Fiktion, das Haus jedoch ist Tatsache; seine Türen sind vor meinen Augen geschlossen worden. Nie mehr werde ich es betreten, aber es bleibt ein geweihter Ort.
Diejenigen unter Ihnen, die diese Geschichte um des reinen Vergnügens willen lesen, kommen vielleicht nicht auf ihre Kosten, denn sie ist nicht zur reinen Unterhaltung geschrieben worden. Ich habe mich zu Liliths Handlangerin machen lassen, um herauszufinden, was es mit der Geschichte auf sich hat. Das Schreiben, wie in Trance vollbracht, war vielleicht sogar eine magische Handlung. Wenn es stimmt, dass das, was in der Fantasie heraufbeschworen wird, in der inneren Welt weiterlebt, dann frage ich mich, was ich mit Lilith Le Fay erschaffen habe? Was Malcolm betrifft, der kann in dieser Welt und der nächsten auf sich selbst aufpassen. Aber wer und was ist Lilith, und warum war sie immer noch lebendig, nachdem sie die Hülle der Seepriesterin abgestreift hatte, und was hat sie bewogen, erneut aufzutauchen und sich meiner zu bedienen? Habe ich mir eine dunkle Freundin geschaffen? Und wo ist sie jetzt, und was treibt sie?
Lilith sieht sich als Priesterin der Großen Göttin Natur und kann nach menschlichen Gesetzen göttliche Rechte beanspruchen. Das ist etwas, was ich nicht beurteilen kann. Ich weiß nur, sie lebt auf ihre eigene Art und Weise, aber nicht nur für sich, auch für andere wie mich. Vielleicht wird sie Ihnen als Schatten im Zwielicht des Geistes erscheinen, wer weiß…
Für so viele Menschen sind Konventionen und Gesetze, auch die ungeschriebenen, sinnlos und haben ihnen eher geschadet als genutzt, so wie es bei Malcolm der Fall war, und sind es bis zum heutigen Tag. Aber warum soll es für sie kein Entkommen in die Sphären der Traumwelt geben – dorthin, wo Lilith ihren Geliebten entführt hat?
Diese Fragen muss sich jeder selbst beantworten, denn so, wie Lilith für den lebensmüden Malcolm gesungen hat: „Vergessen sind die Wege des Schlafes und der Nacht!“, dürfen wir das Schlussgebet der Anrufungshymne leise wiederholen:
„Öffne die Pforte, die Pforte hat keinen Schlüssel
– die Pforte der Träume,
durch die Menschen zu dir gelangen.
Hüter der Ziegen,
oh antworte mir!“
Dion Fortune
***
Teil 1: Traum oder Wirklichkeit
1
In der imposanten Halle der Medizinischen Fakultät drängten sich die Menschen zur Preisverleihung. Auf dem Podium unter dem berühmten Fenster im Gedenken der Nächstenliebe des Gründers saßen in einem Halbkreis in Scharlachrot gekleidete Gestalten, die sich leuchtend von der dunklen Eichenpaneele im Hintergrund abhoben. Die Mützen der einzelnen Universitäten in Karminrot, Kirschrot, Magenta und verschiedenen Blautönen belebten die Farbskala noch mehr. Über den Bändern der Kappen tauchte eine Reihe Gesichter auf, Geiern oder Füchsen nicht unähnlich. In ihrer Mitte thronte der Vorsitzende, der soeben die Preise verliehen hatte. Unter der eindrucksvollen Zahl von Kopfbedeckungen, die so viele hervorragende Hirne behüteten, sah er relativ normal aus. Unten in der Halle starrte die dunkle Masse der Studenten gemeinsam mit ihren Freunden und Familienangehörigen hinauf zu dieser Kollektion Paradiesvögel.
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