„Mit der Haarfarbe sollte der nicht so eine bunte Mütze tragen“, meinte eine kleine alte Dame, offensichtlich vom Land, zu dem plumpen Grünschnabel an ihrer Seite, der ein Diplom hätschelte, das ihm die Erlaubnis gab, von jetzt an seinen Mitmenschen das erdenklich Schlimmste anzutun.
„Er hat keine Wahl. Es ist die Studentenkappe seiner Universität.“
„Dann sollte ein Mann mit der Haarfarbe eine andere Universität mit seiner Gegenwart beehren.“
Die Mischung aus Magenta und Scharlachrot war sicherlich eine unglückliche Kombination für einen rothaarigen Mann, aber das kantige Gesicht mit den granitgrauen Augen unter dem zurückgekämmten roten Haar, dessen Schläfen bereits Geheimratsecken zierten, starrte gleichgültig und dumpf in die Gegend.
„Er sieht aus wie ein Metzger“, sagte die kleine alte Dame. „Stimmt! Er ist einer unserer Ärzte.“
„Von dem möchte ich aber nicht kuriert werden!“
„In seiner Abteilung wird nicht ‚kuriert’!“
„Was dann?“
„Nichts. Jedenfalls nicht kuriert. Manchmal können die Chirurgen kurieren, manchmal nicht. Er sagt ihnen, ob man operieren kann oder nicht. Er ist der Einzige, von dem sie Anordnungen akzeptieren. Wenn er sagt, „tu es“, tun sie es; und wenn er sagt, „lass es“, dann lassen sie es.“
„Ich hoffe nur, er lässt mich“, meinte die kleine alte Dame. „Das hoffe ich auch, Mutter“, sagte der freche Sohn mit einem Glucksen und nahm sich vor, sich den Witz für den Gemeinschaftsraum der Studenten aufzuheben.
Die Hymne ,God save the Queen‘ brachte die Veranstaltung zum Abschluss. Das Objekt ihres Interesses nahm seine Position am äußeren Rand des Halbkreises wahr und schlüpfte vom Podium, dem Gedränge seiner Kollegen zuvorkommend.
Das Ende der Tribüne, wo er gesessen hatte, bildete das äußere Ende des Ankleideraums, und so fand er sich in dem Durchgang wieder, der zum Speisesaal führte, immer noch in seinem farbenfrohen Aufzug und inmitten eines Meeres von Menschen, die auf der Suche nach Erfrischungen hereinschwappten. Die Menge hatte ihn gegen eine kleine alte Dame gedrückt, die ihn mit demselben unpersönlichen Interesse anstarrte, das den Horse Guards, die in Whitehall Wache schieben, zu eigen ist.
Eine solche Aufmerksamkeit nicht gewöhnt, hielt er sie für eine ehemalige Patientin.
„Guten Tag, wie geht es Ihnen?“, fragt er mit einem kurzen Nicken.
„Sehr gut, danke“, antwortete sie mit dünner, etwas verwunderter Stimme. Offensichtlich hatte sie nicht erwartet, angesprochen zu werden.
„Meine Mutter“, sagte der junge Mann neben ihr.
„Huh“, sagte der ältere Mann unfreundlich und zog plötzlich, zur Verwunderung aller Anwesenden, seine riesige Robe aus und stand in Hemdsärmeln da, wickelte die wunderschönen Kleider zu einem Bündel und drückte sie dem erstaunten Studenten in die Hände.
„Bring sie in den Gemeinschaftsraum für die höheren Semester, ja?“, sagte er, und bahnte sich, gnadenlos seine Ellbogen gebrauchend, einen Weg durch die Menge.
„Was für ein komischer Kerl!“, sagte die kleine alte Dame.
„Du kannst es dir leisten, komisch zu sein, wenn du einen Ruf hast wie er“, sagte ihr Sohn.
„Ich glaube nicht, dass ich ihn mag“, sagte sie. „Niemand mag ihn“, sagte ihr Sohn, „aber wir vertrauen ihm.“ Zwischenzeitlich eilte das Objekt ihrer Missbilligung einen Aufgang hinauf, drei Steinstufen auf einmal nehmend, stürzte in ein leeres Labor, riss eine alte Tweedjacke vom Haken und flüchtete, unpassend gekleidet und hutlos, durch eine Seitentür in einen dunklen viereckigen Hof. Er überquerte ihn mit schweren Schritten, sodass eine Schwester aus einem Krankenzimmer hinausschaute, und fügte ein weiteres Stück der Legende über die Exzentrizität des berühmten Dr. Malcolm hinzu. Dann ging er blicklos weiter, durch Hinterstraßen bis zur U-Bahn-Station. Dort angekommen, stieß er einen Fluch aus – sein Notizbuch mit Brieftasche und Zeitkarte steckte in der Brusttasche des Jacketts, das er im Ankleideraum gelassen hatte. Das Sammelsurium in seinen Hosentaschen brachte drei Kupfermünzen zum Vorschein.
Er war zu ungeduldig, um ins Krankenhaus zurückzukehren. Das Wetter war außergewöhnlich mild für die Jahreszeit, und so beschloss er, zu Fuß am Themse-Ufer entlang zu seiner Wohnung in der Grosvenor Road zu gehen, keine große Entfernung für einen so energiegeladenen Mann, wie er es war.
Über Kopfsteinpflaster nahm er seinen Weg hinter Lagerhäusern, kletterte über den Stützpfeiler eine Brücke hinauf und gelangte schließlich zum Kai.
Es hatte geregnet: Die Gestalten, die sich sonst bei Dämmerung am Themse-Ufer herumtrieben, hatten Zuflucht in Obdachlosenheimen und bei der Heilsarmee gefunden. Zu dieser Stunde gab es nur wenige Fußgänger, und er hatte das breite Pflaster am Ufer praktisch für sich allein.
Während er in dem für ihn üblichen schnellen Tempo ausschritt, genoss er nach der stickigen Hitze der großen Halle, in der er einen langweiligen Nachmittag verbracht hatte, die frische, vom Regen gereinigte Luft. Er beobachtete den Schimmer der Lampen auf dem Wasser und das Auf und Ab der Lichter der vertäuten Boote. Ein Schlepper mit Kähnen mühte sich stromaufwärts, flussabwärts tuckerte eine Barkasse der Wasserpolizei.
Während der Mann – eine Weile die große Stadt, das riesige Krankenhaus und die tägliche Tretmühle der Routine zwischen der Wimpole Street und den Slums vergessend – den Fluss beobachtete, ging das vertraute Leben auf dem Strom weiter.
Für ihn typisch, hielt er so plötzlich an, dass ein anderer Fußgänger, der direkt hinter ihm ging, beinahe über ihn gestürzt wäre.
Die Ellbogen auf die Steinmauer gelehnt, folgte er in seiner Fantasie dem Lauf des Stroms, vorbei an den Docks und Ladestellen, und fragte sich, was geworden wäre, wenn er seinem ersten Impuls nachgegeben und die Laufbahn eines Seemanns eingeschlagen hätte. Dann wäre er jetzt Schiffsoffizier auf Wache – ein schlecht bezahlter, harter, unbequemer Job. Sein jetziger Job war auch hart, weil er sein eigener Sklaventreiber war, aber er war nicht schlecht bezahlt, und die Arbeit lag ihm.
Aber das sagte nicht wirklich etwas aus, denn er war kein Mann, der die Gabe hatte, sich und seiner Umgebung das Leben angenehm zu gestalten. Seine Frau, seit der Geburt ihres Kindes im ersten Ehejahr pflegebedürftig, lebte in einem Seebad, wo er sie häufig an den Wochenenden besuchte. Diese Besuche waren von ihr gefürchtet und von ihm gehasst. Aber als ein Mann mit unbeugsamem Pflichtgefühl fuhr er Jahr für Jahr zu ihr, bis sein feuerrotes Haar von grauen Strähnen durchzogen und lichter wurde, und sein Naturell etwas abkühlte. Er gratulierte sich zu seiner Selbstbeherrschung.
Die Jahre des Zölibats waren nicht leicht gewesen. Von Natur aus treu und aufrichtig, war die Vorstellung einer Liaison mit einer anderen Frau für ihn Horror. Außerdem war er stolz auf seinen starken Willen, der ihm die perverse Freude bereitete, mit seinen eigenen Dämonen, wilden Tieren gleich, zu kämpfen. Je mehr die Natur versuchte, die Tür zu seinem Moralkodex aufzustemmen, desto mehr klemmte sie. Ethisch war das Ergebnis bewundernswert, aber es hatte weder seine Laune versüßt, noch ihn zu einem angenehmen Kollegen oder Lebensgefährten gemacht. Rote Haare und Verdrängung passen nicht gut zusammen, und rastlose Reizbarkeit war der Lohn für seine Moral. Außerdem schlief er schlecht, und nur seine Vitalität und seine gesunde Natur brachten ihn durch das Semester.
Seine Studenten hassten ihn, denn er schikanierte sie und trieb sie unerbittlich an; andererseits konnte er einen hitzigen Streit mit einem Kollegen vom Zaun brechen, der einem seiner Schüler eine schlechte Note verpasst hatte. Und weil er ein Pedant war, mochten ihn auch die Schwestern nicht; dennoch würde er notfalls für sie Himmel und Hölle in Bewegung setzen. Mit seinem brüsken, harschen Benehmen erschreckte er die Patienten, schonte aber weder sich noch das Krankenhaus, um ihnen zu helfen. Ein großer Teil seiner Arbeit bestand darin, den an einer organischen Krankheiten Leidenden die Hysterie auszutreiben, und es trug nicht gerade zu seiner ohnehin dürftigen Popularität bei, wenn er dem notorischen Gelähmten sagen musste: „Steh auf, nimm dein Bett und wandle.“
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