»Mach einfach das, was wir bereits besprochen haben«, erklärte er, während er den Honig mit einem großen Holzlöffel in sich hinein schaufelte. »Such deinen Bruder, er ist wahrscheinlich der Schlüssel zu allem. Wenn du ihn findest, werden wir mehr in Erfahrung bringen. Sei unbesorgt, die Ahnen konnten mir versichern, dass er noch am leben ist.«
Stehender Gaul öffnete gerade den Mund, um noch etwas zu sagen, als plötzlich ein hoch gewachsener, dünner Elf mit ungewöhnlich blasser Hautfarbe in den Wigwam gestürmt kam.
Es war Finstere Krähe, der Wächter über die Begräbnisstätten der Moonytoads.
Wie natürlich jeder weiß, begraben die Elfen ihre Toten nicht. Sie bauen hölzerne Gerüste, auf denen sie die einbalsamierten Leichname mit einigen Habseligkeiten aufbahren. Der Verwesungsprozess geht trotz des Balsams nicht ohne Geruchsentwicklung vonstatten, weshalb die Bestattungsorte meist weit außerhalb der Dörfer liegen. Auch der Totenacker der Moonytoads lag weit vom Dorf entfernt und nach seinem Keuchen zu urteilen, hatte Finstere Krähe den Weg von dort wohl rennend zurückgelegt. In seinem Blick war von großer Beunruhigung und einem gewissen Entsetzen zu lesen.
»Die Toten«, stammelte er nach Atem ringend. »Sie sind verschwunden.«
Stehender Gaul stand auf und legte dem atemlosen Elf eine Hand auf die Schulter. »Ganz ruhig. Komm erst mal wieder zu Atem und dann erzähle uns was los ist.«
Finstere Krähe holte ein paar Mal tief Luft, schluckte dann und begann nochmal von vorn. »Die Toten sind verschwunden, zumindest einige von ihnen. Gestern waren sie noch alle da. Ich habe es nachgezählt, so wie jeden Abend.«
»Du zählst jeden Abend die Toten?«, wunderte sich der Greifenreiter. Die Notwendigkeit einer solchen Tätigkeit erschloss sich ihm nicht so ganz. Aber er war ja auch kein Totenwächter.
Finstere Krähe richtete sich zu voller Größe auf, so als wollte er vor jemandem salutieren. »Natürlich tue ich das! Ich nehme meine Aufgabe sehr ernst! Die Inventarisierung und Kontrolle der Bestände ist ein wesentlicher Teil meines Jobs, auch wenn die Fluktuation normalerweise eher gering ist!«
»Gut«, mischte sich der Häuptling nun wieder ein. »Es sind also einige Tote verschwunden. Wie kann so etwas geschehen? Glaubst du, jemand hat sie gestohlen?«
»Das weiß ich nicht«, gestand Finstere Krähe. »Wer sollte so etwas tun? Ich habe jedoch alles nach Spuren abgesucht und auch einige gefunden.« Er zögerte ein wenig, als würde er das Folgende nicht wirklich sagen wollen. »Ich habe nur Spuren gefunden, die von den Totenstätten fort führen, aber keine einzige, die zu ihnen hinführt. Es ist so, als wären die Toten von ganz alleine fortgegangen.«
»Au Weia«, bemerkte der nackte Schamane nun, mit Honig verschmiertem Mund. »Da kommt was auf uns zu – und zwar ganz krasser Scheiß!«
Schon als mir die beiden Reiter entgegenkamen, ahnte ich, dass dies nichts Gutes zu Bedeuten hatte.
Dabei war meine Reise bislang so schön ruhig und ohne Zwischenfälle verlaufen. Mein namenloser Gaul hatte wie erwartet keinerlei Probleme gemacht und die fünf Feldflaschen voller Whisky, welche ich als Proviant bei mir führte, hatten es mir ermöglicht, den Alkoholpegel in meinem Blut auf einem angenehmen Niveau zu halten. Das Wetter war gut und ich hatte während einer Rast unter sternenklarem Himmel ausreichend Schlaf bekommen. Aus diesem war ich sogar ohne Elsas schmerzhafte Präsenz erwacht. Nur mein Gesäß schmerzte ein wenig, da ich es nicht mehr gewohnt war, so lange im Sattel zu sitzen. Doch auch dieses Ungemach war mit etwas hochprozentigem Beistand gut zu ertragen.
Recht angenehm war mein Ausflug also gewesen, bis ich die ersten umzäunten Weideflächen der Tolemak-Ranch erreichte und die zwei Gestalten erblickte. Alles Mögliche weckten diese, aber auf gar keinen Fall das Vertrauen in mir.
Dabei wusste ich noch nicht einmal genau, was mich eigentlich an diesen Burschen störte. Sehr wahrscheinlich handelte es sich bei denen nur um zwei Viehtreiber, die zur Ranch gehörten. Erst als die beiden mich erreicht hatten und sich drohend – die linke Hand am Zügel, die rechte auf den Griffen ihrer Revolver ruhend – vor mir aufbauten, wurde es mir klar: Sie rochen nicht nur nach Rinderkot, sondern auch nach Ärger.
»Wohin des Weges, Fremder?«, fragte einer der beiden. Er war ein Zwerg, so wie ich, jedoch wie die meisten anderen Zwerge wesentlich kleiner als ich. Zudem war er ein ausgesprochen unansehnliches Exemplar unserer Art. In seinem Gesicht gab es mehr Pickel und Aknenarben als freie Hautfläche. Auch sein ungleichmäßig gewachsener Vollbart konnte diese Makel nicht verbergen. Nur der direkte Vergleich mit seinem Begleiter, einem Ork, wertete seine Erscheinung ein wenig auf. Denn der war noch um ein paar Nuancen hässlicher. Neben dessen wenig ansprechenden, groben Gesichtszügen fielen vor allem die löchrigen, dunkel verfärbten Hauer auf, die aus seinem weit nach vorn gerichteten Unterkiefer emporragten. Eine Bürste oder etwas Vergleichbares hatte die garantiert noch nie berührt.
Beide trugen grobe Baumwollhemden, dreckige Jeans und lederne Chaps darüber, also die typische Arbeitskleidung eines Cowboys. Lediglich der Ork trug statt eines normalen Hutes einen viel zu bunten Sombrero, so wie es nur in Enchico üblich war.
»Zu eurem Boss«, antwortete ich und zeigte auf die Gebäude der Ranch, welche in weiter Ferne bereits zu erspähen waren. »Der Bürgermeister von Copperhole schickt mich. Ich soll mich bei Colonel Don Athuro melden.«
Der Zwerg musterte mich misstrauisch. »Wir wissen, dass jemand aus Copperhole kommen soll. Diesen Jemand sollen wir dann auch zur Ranch bringen. Nur soll dieser Jemand ein Zwerg sein.«
Ich nickte. »Jepp, genau das bin ich – ein Zwerg.«
Nun meldete sich der Ork mit stark enchicanischem Dialekt zu Wort. »Watt? Du bist doch kein Zwerg! Du bist'n Mensch, 'n öder, blöder Mensch!« Zur Bekräftigung seiner Worte rotzte er einen dicken Flatschen pechschwarzen Speichel in das Gras neben sich. Ich fand das ausgesprochen unappetitlich.
Sein Kollege stimmte ihm zu. »Versuch nicht uns zu verarschen! Du bist viel zu groß für einen Zwerg und einen richtigen Bart hast du auch nicht.«
»Jetzt hört mir mal gut zu Jungs.« Ich lächelte, darum bemüht, meine Ruhe zu bewahren. »Ich bin wirklich ein Zwerg und ich bin verdammt weit geritten, um hierher zu kommen. Also lasst den Scheiß und bringt mich zur Ranch.«
Das Pickelgesicht schüttelte den Kopf. »Wir hatten hier kürzlich ein wenig Ärger und deshalb ist es keinem Fremden erlaubt, sich hier herumzutreiben. Ausgenommen ist nur dieser Zwerg aus Copperhole.«
Er deutete mit dem Zeigefinger auf mich. »Du jedoch – Du … kannst nicht… vorbei! «
Ich stöhnte genervt auf und verdrehte die Augen. »Seht mal ihr zwei Hirnakrobaten: Euch hat Mutter Natur mit zwei außergewöhnlich ausgeprägten Hackfressen gesegnet, mich dafür mit ein paar Zentimetern zu viel an Körpergröße und einem spärlichen Bartwuchs. Das ist alles. Ich bin der Zwerg, auf den euer Boss wartet!«
»Nö!« Der Ork klang wie ein bockiges Kind. »Du bist'n Mensch und Menschen dürfen nicht weiter!«
Obwohl ich kein sehr diplomatischer Typ bin und Hindernisse, die sich mir in den Weg stellen, meistens ohne lang zu diskutieren aus dem Weg räume, versuchte ich es erst noch mal mit Vernunft. »Warum sollte ich mich denn als Zwerg ausgeben, wenn ich keiner bin?«
»Vielleicht willst du hier Rinder klauen!«, mutmaßte der pickelige Zwerg. »Oder irgendeinen Unfug anstellen!«
»Und woher weiß ich, dass der Bürgermeister von Copperhole jemanden zu Don Athuro geschickt hat, wenn ich nicht derjenige bin?«, wollte ich wissen.
Читать дальше