Die beiden Trottel sahen sich ratlos an.
»Der Mensch ist schlau«, äußerte der Ork dann eine Vermutung, »und schlaue Leute sind gefährlich! Der will uns übers Ohr hauen!«
Wieder erntete er die Zustimmung seines Kollegen.
»Stimmt! Und der Colonel wäre bestimmt nicht erfreut darüber, wenn wir so ein gerissenes Kerlchen auf seinem Land herumlungern ließen. Wir sollten ihn vorsichtshalber umlegen. Da er unbefugt in dieses Gebiet eingedrungen ist, haben wir das Recht dazu.«
Der Ork reagierte begeistert auf diesen Vorschlag. »Oh ja, wir sollten ihn wegballern!«
In mir wuchs das Bedürfnis, eine meiner Feldflaschen mit nur einem Zug zu leeren. Stattdessen erklärte ich die Verhandlungen für gescheitert.
»Na dann versucht es mal, ihr zwei Vollpfosten!«
Nahezu zeitgleich - der Ork vielleicht den Bruchteil einer Sekunde schneller - zogen beide Kerle ihre Kanonen.
Ungeschickt stellten sie sich dabei nicht an, das musste ich ihnen lassen. Dennoch zog ich natürlich um ein Vielfaches schneller. Einen Wunsch in meinem Kopf formuliert, der Rest geschah blitzschnell und wie von selbst – so lief das bei mir immer ab.
Kurz nachdem sie ihre Waffen aus den Holstern befreit hatten, schoss ich ihnen selbige aus den Händen. Da ich gerade dabei war, schoss ich dem Zwerg auch noch den Daumen ab.
Grausam? Hey, die beiden wollten mich umlegen!
Der Zwerg heulte sofort los wie ein Baby, während sich aus dem Stumpf an seiner rechten Hand fröhlich ein kleiner Bach aus Blut ergoss.
»Du hast mir meinen Daumen abgeschossen«, jammerte der frisch gebackene Linkshänder, während er auf seinen Sattel blutete. »Du hast mir meinen verdammten Daumen abgeschossen.«
»Erstaunlich gute Auffassungsgabe«, stellte ich fest, weiterhin mit meinem Revolver auf die beiden zielend. »Wie sieht es aus, wollt ihr euch noch von anderen Körperteilen trennen, oder bringt ihr mich jetzt zu Don Athuro?«
»Nix mehr wegballern!«, bat der Ork sichtlich beeindruckt von der Schnelligkeit und Präzision meiner Schüsse. Dann wandte er sich an seinen wimmernden Kollegen. »Du musst das schnell verbinden und 'ne Salbe drauf schmieren, sonst wächst es nicht nach!«
Der Zwerg bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick. »Du bist so ein Vollidiot! Daumen wachsen nicht nach! Ich werde nie wieder mit dieser Hand richtig schießen können.« Er holte ein Taschentuch aus seiner Hosentasche und wickelte es sich um den blutenden Rest seines Daumens. »Aber ich muss das tatsächlich versorgen lassen, also begleite ich den Typen zur Ranch. Du bleibst hier und wartest. Vielleicht taucht der richtige Zwerg aus Copperhole ja doch noch auf!«
Pustelvisage, dessen Akne wohl momentan sein geringstes Problem war, sah mich voller Hass an. »Nun gut, Fremder, ich bringe dich zu Don Athuro. Hoffentlich lässt dich der Colonel dann sofort abknallen. Er hasst es nämlich, wenn jemand uneingeladen auftaucht. Und wenn man seine Leute verstümmelt, das hasst er auch!«
Er wendete sein Pferd in Richtung Ranch und endlich konnte auch ich meinen Weg fortsetzen.
Gemeinsam ritten wir den breiten Weg entlang, der zwischen den Weideflächen hindurchführte. Während ich die unglaublich vielen Longhorn-Rinder bestaunte, die hier grasten, schimpfte und heulte mein Begleiter abwechselnd vor sich hin.
Meine nun wieder gute Laune beeinträchtigte das nicht im Geringsten. Da ich ein netter Kerl bin, begann ich ein Gespräch, um den Zwerg von seinen Schmerzen abzulenken.
»Was meinst du, wie viele Rinder gibt es hier insgesamt?« fragte ich. »Nur so über den Daumen gepeilt.«
Statt einer Auskunft erhielt ich nur ein zorniges Knurren.
»Hast keine Ahnung, was?« fuhr ich fort. »Na, dann will ich mal die Daumen drücken, dass es irgendjemand auf der Ranch weiß.«
Ich streckte ihm meine zwei erhobenen Daumen entgegen. »Ich habe nämlich zwei Stück davon, weißt du?«
Wieder blieb eine Antwort aus. Scheinbar war mein Gesprächspartner ein wenig verstimmt.
Er schwieg auch noch den Rest des Weges.
Bald schon ritten wir unter einem großen, von zwei schlanken Holzsäulen getragenen Schild hindurch, auf dem in großen Lettern Tolemak-Ranch geschrieben stand. Eine Vielzahl unterschiedlicher Gebäude befand sich dahinter: Scheunen, Ställe, Unterkünfte für Viehtreiber sowie andere Bedienstete, eine Schmiede und sogar einen kleinen Saloon gab es hier, sodass mir die Ranch beinahe schon wie eine kleine Stadt erschien. Auch die Zahl der Personen – vorwiegend Zwerge, aber auch Orks beiderlei Geschlechts, die hier ihrem Tagewerk nachgingen - wäre wohl mit der Einwohnerzahl einer Kleinstadt vergleichbar gewesen.
Bei vielen dieser Personen erregte unsere Ankunft großes Interesse. Sie hielten in ihrer Arbeit inne, egal womit sie gerade beschäftigt waren, und starrten uns mit weit geöffneten Augen und Mündern an. Vor allem dem lauthals leidenden Zwerg galt ihre Aufmerksamkeit. Wie ein Hund der Pfötchen gibt, hielt dieser seine verwundete Hand beim Reiten vor die Brust. Angesichts der Beachtung, die ihm entgegengebracht wurde, legte der Jammerlappen noch mal an Wehleidigkeit zu. Man hätte fast schon glauben können, dass er jeden Moment tot aus dem Sattel kippen würde.
»Im Krieg habe ich Soldaten mit abgetrennten Armen oder Beinen gesehen, die nicht mal ansatzweise so laut geflennt haben wie du«, stellte ich etwas genervt fest, woraufhin er sein Klagen auch abrupt einstellte.
Vom Zentrum der Ranch – einem großen, gemauerten Ziehbrunnen – führte ein Weg direkt nach Süden zum größten und prachtvollsten Gebäude der Ranch, dem Herrenhaus. Schon als wir diesen mit Blumenbeeten gesäumten Pfad entlang ritten, erspähte ich den älteren Zwerg. Dieser saß zunächst in einem Schaukelstuhl auf der pompösen, riesigen Veranda und erhob sich dann, als er uns bemerkte.
Unverwechselbar handelte es sich bei diesem Zwerg um Don Athuro selbst. Alles an ihm strahlte Autorität und Erhabenheit aus, seine stahlblauen Augen ebenso wie seine stramme, aufrechte Haltung und sein silbergrauer Bart, der ihm bis zum Bauchnabel reichte. Zudem trug er seine alte Uniform, die ihn als Colonel kenntlich machte, obwohl er schon lange nicht mehr im aktiven Dienst der Army war. Dies war, genau wie die Pracht und die übertriebene Größe seines Hauses, eine Zurschaustellung von Reichtum und Macht, die ich nicht unbedingt sympathisch fand.
»Dieser Mensch wollte unbedingt zu Ihnen, Sir«, erklärte Pickelgesicht, als wir unsere Pferde vor der Veranda zügelten. »Er hat sich nicht davon abbringen lassen.«
Der Colonel warf einen kurzen Blick auf die verletzte Hand des Zwerges. Er ließ die Beschädigung seines lebenden Inventars allerdings unkommentiert.
»Das ist kein Mensch, du Hornochse. Das ist ganz offensichtlich der Zwerg, den ich erwarte – etwas größer als der Durchschnittszwerg vielleicht, aber ganz klar ein Zwerg.«
Er wandte sich von seinem nun doch reichlich verblüfften Untergebenen ab und mir zu.
»Seien Sie willkommen, Mister ...«, er dachte kurz nach, »Large war der Name, nicht wahr?«
»Richtig«, erwiderte ich und stieg aus meinem Sattel. »Gungo Large! Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.«
Mit einer kurzen Handbewegung gab Athuro seinem Angestellten zu verstehen, dass dessen Typ hier nicht mehr gefragt war. Dieser gab seinem Pferd daraufhin auch die Sporen. Wahrscheinlich würde er sich nun jemanden suchen, der seine Verletzung versorgen würde und ganz gewiss würde sich derjenige auch das Leid des Zwerges in allen Einzelheiten anhören müssen.
»Eine wirklich beeindruckende Ranch haben Sie, Colonel«, bemerkte ich, während ich meinen Gaul an einem Pfahl vor der Veranda festband. »Aber welche Voraussetzungen muss man erfüllen, um hier eine Anstellung zu finden? Muss man das Ergebnis generationsübergreifender Inzucht sein?«
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