Vom zarten Flaum zum Bart
Das Wachsen der Haare im Schambereich beginnt heute oft bereits vor dem 10. Lebensjahr. Später setzt die Achselbehaarung meist parallel mit der Bildung eines Oberlippenflaums ein. Das Sprießen der Haare wird als unangenehm empfunden. Es juckt, die Haut ist gereizt und empfindlich. Erwachsene kennen den Vorgang vom Rasieren der Achsel- oder Beinhaare. Doch während hier der Vorgang bereits bekannt ist, überfällt er Jungen unverhofft und zum ersten Mal.
Nicht selten tauchen auch zuerst Fragen auf, ob man nicht krank sei oder Ähnliches. Erst mit der Aufklärung des Phänomens können Jungen gelassener damit umgehen und den Vorgang als lästig, aber natürlich hinnehmen. Wird aus dem ersten Flaum sukzessive ein Bart, wird dies sogar oft mit Stolz beobachtet. Ein erstes gemeinsames Rasieren unterstützt das Selbstbewusstsein. Wir Eltern sollten jedoch auch akzeptieren, wenn Jungen das Bartwachstum für sich ablehnen und ihre zugeschriebene Sexualität infrage stellen und hier ebenso mit Enthaarungsmöglichkeiten unterstützen.
Breite Schultern oder lang und dünn?
Die Veränderungen des eigenen Körpers durch das Wachstum können verschiedene Reaktionen auslösen, die widersprüchlich sein können. Wie im gesamten Prozess der Pubertät gibt es die Tendenz zum Verharren-Wollen in der Kindheit und zum lang ersehnten Aufbruch. Das Widersprüchliche spiegelt sich auch im Verhältnis zum Wachstum.
Einige Jungen wollen heute noch Kind sein und morgen schon ganz erwachsen. Einige geben sich großspurig gereift und sehen sich bereits im Bereich der Erwachsenen.
Das Selbstbewusstsein hält nicht unbedingt mit dem Wachsen des Körpers mit. Oft ist die scheinbare Selbstsicherheit gespielt. Wird unbeabsichtigt am Lack gekratzt, reagiert der Heranwachsende mit Trauer oder Zorn.
Wichtig ist es, den eigenen Sohn in diesem Prozess sensibel zu begleiten und die eigenen Erwartungen zurückzustellen. Mancher sportliche Vater wünscht sich einen dynamischen Recken an seiner Seite und schaut unbewusst auf seinen schmalbrüstigen Vierzehnjährigen herab. Das sollte nicht sein. Findet als Erwachsene eine tolerante, unterstützende Haltung eurem Sohn gegenüber. Sport kann stabilisierend wirken, ist aber auch nicht immer die optimale Lösung. Man sollte immer besonders achtsam und rücksichtsvoll mit einem heranwachsenden jungen Mann umgehen, um ihn nicht zu verletzten. Das Burschikose, mit dem das Bild eines Jungen oft verbunden wird, ist nicht immer geeignet, um in Phasen der Neufindung wirklich zu unterstützen.
Fettiges Haar und erste Pickel
Durch die hormonelle Umstellung kommt es vermehrt zur Bildung von Fetten und einer Veränderung des Körpergeruchs. Pickel, Pusteln und Akne sind typisch für die Pubertät. Nicht nur Mädchen leiden unter fettigen Haaren und unreiner Haut. Auch Jungen empfinden diese Veränderungen als unschön und entwickeln Schamgefühle. Immer noch wird das äußere Erscheinungsbild von jungen Männern mit anderen Kriterien bewertet als das Bild junger heranwachsender Frauen.
Während hier eine ganze Kosmetikindustrie Mädchen mit Pflegeprodukten überschüttet (und unter Druck setzt), gibt es bei Jungen oft Vorbehalte. Um hier das richtige Maß und den richtigen Weg zu finden, solltet ihr euren Sohn genau im Blick haben und euch fragen, was er möchte. Das gilt auch beim Kauf von Pflegepräparaten. Wir können unser Kind unterstützen, eine solide Basis zur Gesundheitspflege und zum achtsamen Umgang mit sich selbst zu entwickeln, wenn wir die Zusammenhänge zwischen Ernährung, Umstellung des Körpers und Hygiene darlegen und unserem Sohn helfen, ein positives Selbstbild zu entwickeln.
Und plötzlich kippt die Stimme weg
Der Stimmbruch erfolgt bei manchen Jungen fast unmerklich, andere erleben ihn als deutliche Herausforderung. Das Wegbrechen der Stimme kann bereits ab dem 11. Lebensjahr einsetzen. Die Stimme wird mit dem Hervortreten des Adamsapfels, dem Wachstum der Stimmlippen und der Verknorpelung um etwa eine Oktave tiefer.
Während der Absenkung kann es immer wieder zu einem spontanen Wegbrechen der Stimme kommen. Auch die Lautstärke kann sich dem bewussten Einsatz entziehen. Jungen empfinden es oft als peinlich, wenn dies im Gespräch oder auch bei Vorträgen in der Schule passiert.
Manche Jungen haben diese Phase in wenigen Monaten hinter sich gelassen, andere kämpfen etwa ein Jahr lang mit dem Stimmwechsel.
Auch hier ist Unterstützung gefragt. Keinesfalls sollte man die Situation ins Lächerliche ziehen, sondern sensibel auf die individuelle Situation eingehen.
Der erste Samenerguss kann einen Jungen erschrecken. Meist erfolgt er bereits vor dem 13. Lebensjahr nach dem Beginn der Pubertät. Der spontane Erguss resultiert aus dem Hodenwachstum und der beginnenden Spermienproduktion. Oft passiert es nachts und wird schamhaft mit spontanem Urinabgang gleichgesetzt.
Je informierter ein Junge ist, desto besser kann er mit der Situation umgehen. Herausforderungen entstehen nur, wenn die Ejakulation fälschlich als mögliches Symptom einer Krankheit gewertet oder mit einer falschen Scham als unmoralisch eingestuft wird.
Aufklärung schafft die Grundlage für ein Verständnis der natürlichen Vorgänge.
Um einen Jungen nicht zu bedrängen, sollte man ihm Fragen beantworten, doch keine Diskussionen aufzwingen. Herrscht ein offenes, verständnisvolles Klima in der Familie, das von gegenseitiger Achtung und Respekt getragen wird, gibt es Raum für vertrauensvolle Gespräche und auch Toleranz der eigenständigen Entwicklung gegenüber.
Ein Junge hat so die Möglichkeit, seine Orientierung selbst zu wählen und sich zu entscheiden, wer er selbst sein und wen er lieben möchte: Frauen, Männer oder beide.
Leben mit einem neuen Körper
Das „Eingewöhnen“ in den neuen Körper ist eine Herausforderung, die junge Menschen physisch und psychisch beschäftigt. Zum einen laufen die physischen Veränderungen nicht immer komplikationslos ab: Wachsen kann mit Schmerzen verbunden sein, der Kreislauf wird stärker beansprucht, der Schlaf-Wach-Zyklus ändert sich und auch die physische Leistungsfähigkeit schwankt. Zum anderen kommt es durch hormonelle Umstellungen zu Stimmungsschwankungen, die einen Jungen bedrücken können. Er fühlt sich schlapp oder reagiert besonders sensitiv mit Trauer oder Aggression.
Gleichzeitig wachsen die Anforderungen: Der Junge steht vor dem Abschluss, soll eine berufliche Laufbahn einsteigen und muss sich auch sozial verorten. Ein Erkennungszeichen ist das Äußere. Darum verwenden manche Jungen viel Zeit darauf, einen eigenen Stil zu finden, mit Kleidung die gewünschte Gruppenzugehörigkeit zu signalisieren, für sich selbst ein schönes Äußeres zu schaffen, das sie bei ihrem Auftreten in der Welt unterstützt.
Als Erwachsene haben wir bereits Erfahrungen gesammelt und wissen, wie man sich zu kleiden und zu geben hat, damit man akzeptiert und anerkannt wird. Euer Sohn muss das erst lernen und für sich ausprobieren.
Ein weiterer Aspekt ist der Umgang mit physischer Stärke und Schwäche. Jungen müssen auch hier für sich verbindliche Entscheidungen treffen und sich positionieren. Das Beste, was ihr als Eltern tun könnt, ist, euren Sohn zu bestärken und ihm Rückhalt zu geben. Dadurch kann er Selbstsicherheit aufbauen, seine Ich-Kräfte stärken und an Selbstvertrauen gewinnen.
Als Eltern sind wir in einer schwierigen Situation: Einerseits ist es wichtig, die Pubertät als Ablösungsphase zu begreifen und unserem Jungen Schritt für Schritt mehr Freiheiten zu geben. Andererseits stehen wir als Eltern juristisch, ethisch und emotional in der Verantwortung, unseren Sohn vor Schaden zu bewahren, ihm Richtlinien zu vermitteln und ihn aufzufangen.
Читать дальше