Reymar von Wedel
Durch die Mauer
Als Anwalt für die Kirche
Dieses kleine Buch ist ein Bericht
über meine Berufstätigkeit in Westberlin
und in der DDR, als Kirchenjurist und als Anwalt.
Dies beides hängt natürlich zusammen,
ist aber besser verständlich,
wenn es getrennt dargestellt wird.
Dieser Text war ursprünglich für die Familie und Freunde bestimmt. Ich nahm an, dass er für andere wenig interessant sein würde. Der frühere Redakteur und langjährige Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Berlin, Peter Jochen Winters, meinte jedoch, die Vorgänge sollten der geschichtsinteressierten Öffentlichkeit nicht vorenthalten werden.
Dieser Versuch ist keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern der Bericht eines unmittelbaren Zeitzeugen. Über die wichtigsten Personen, über die ich berichte, Bischof Kurt Scharf und Rechtsanwalt Wolfgang Vogel, sind bereits Biografien vorhanden. Diese beziehen sich jedoch auf andere Ereignisse und Zusammenhänge.
Reymar von Wedel
Kleinmachnow, 17. November 2019
Der Verfasser 1968
Inhaltsverzeichnis
I. Als Kirchenjurist I. Als Kirchenjurist 1. Ein Erlebnis 1952 wurde ich als Referendar zum Konsistorium der Evangelischen Kirche geschickt. Ich war kirchlich interessiert, hatte aber nicht die Absicht, Kirchenjurist zu werden. Mir lag ein günstiges Angebot der Firma Siemens vor. Zu dieser Zeit wurde die Synode, d.h. das Kirchenparlament, zu einer außerordentlichen Sitzung eingeladen. Es ging um Auseinandersetzungen mit Behörden der DDR. Hierüber berichtete der Bischof Dr. Otto Dibelius. Vor allem gab es Konflikte um die Jugendarbeit. Die DDR organisierte damals die FDJ (Freie Deutsche Jugend). In diesem Zusammenhang versuchte sie, die kirchliche Jugendarbeit zu behindern. So wurden kreiskirchliche Veranstaltungen unter nichtigen Vorwänden verboten. Gegenüber der Konfirmation wurde die Jugendweihe aufgebaut. Der Religionsunterricht wurde aus der Schule verdrängt. Die DDR versuchte auch, den Zusammenhalt der Kirche zwischen Ost und West zu beeinträchtigen. Sie verlangte, den Sitz der Kirchenleitung nach Brandenburg zu verlegen. Ein Pfarrer wurde verhaftet, weil er Unterlagen für seine Jugendarbeit aus Westberlin mitgebracht hatte. Auch andere Gemeindeglieder waren von den Sicherheitsbehörden festgenommen worden. Über diese Vorgänge wurde heftig debattiert. Besonders beeindruckte mich das Votum von Günter Jacob, dem Generalsuperintendenten von Cottbus. Er erklärte das konstantinische Zeitalter, d.h. die Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche, für beendet. Die Regierung der DDR sei verstockt. Diese Debatte machte mich nachdenklich. Konnte ich das günstige Angebot der Firma Siemens annehmen und meine Mitchristen in der DDR im Stich lassen? Noch am gleichen Tage sagte ich bei Siemens ab und bewarb mich bei der Kirche.
1. Ein Erlebnis
2. Grundlagen meiner Arbeit 2. Grundlagen meiner Arbeit Am 15. Mai 1954 wurde ich juristischer Mitarbeiter der Kirche. Die dominierende Figur der Kirche war damals der Bischof Dr. Otto Dibelius. Er wurde auch von den staatlichen Organen anerkannt und gewürdigt. Mit der Regierung der DDR entstanden jedoch bald heftige Differenzen. Dibelius bestritt, dass die Regierung der DDR Obrigkeit im Sinne des Neuen Testaments sei. Die Regierung der DDR wiederum nannte ihn Atombischof. Sie verbot ihm, in der Ostberliner Marienkirche zu predigen. Er hielt sich aber nicht an dieses Verbot und predigte regelmäßig dort bis zum Bau der Mauer. Kurt Scharf Das Konsistorium war in zwei Abteilungen aufgeteilt. Leiter der Abteilung Brandenburg war Präses Kurt Scharf. Er wurde so benannt, weil er in der Nazizeit Leiter der Bekennenden Kirche in Brandenburg gewesen war. Obwohl ich zunächst der Abteilung Berlin zugewiesen wurde, nahm mich Scharf bald als juristischen Mitarbeiter in Anspruch. Ich wurde Justitiar für die Ostregion der Kirche. Dafür beantragte ich auch meine Anwaltszulassung. Als Präses Scharf im Frühjahr 1961 Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland wurde, berief er mich zu seinem persönlichen Referenten. Das Verhältnis zu Scharf wurde bald zum bestimmenden Faktor meiner Arbeit. Dies hing nicht nur mit meiner beruflichen Position, sondern vor allem mit seiner Persönlichkeit zusammen. Er behandelte mich nicht wie einen Untergebenen, sondern wie einen christlichen Bruder. Er wurde mein geistlicher Vater. In unseren Gesprächen stärkte er auch meinen christlichen Glauben.
3. Mein erster Konflikt 3. Mein erster Konflikt Eine meiner ersten Aufgabe war es, das Protokoll der Kirchenleitung zu führen. Es ging u.a. um die kirchliche Landwirtschaft. Das Land Brandenburg hatte 1946 das staatliche Patronat für die Kirchengemeinde, zu dem auch die sogenannte Baulast gehörte, abgeschafft. Dafür hatte es der Kirche Domgüter überlassen. Aber diese erwiesen sich als ein Danaergeschenk. Die Landwirtschaft kostete viel Geld und brachte wenig ein. Dafür musste ein Soll erfüllt werden, das für die nicht zum sozialistischen System gehörende Kirche besonders hoch angesetzt wurde. Dazu mussten ständig Saatgut, Dünger, Maschinen und ähnliches eingeführt werden. Das dafür erforderliche Geld ging den Gemeinden verloren. Zwar half Bonn bei der Finanzierung, weil die Bundesregierung an einem Rest der privaten Landwirtschaft in der DDR interessiert war. Aber alles zahlten die Bonner auch nicht. Die Kirche musste erhebliche Zuschüsse leisten. Daher wollten viele kirchliche Mitarbeiter die Landwirtschaft abschaffen. Rufer im Streit war der Seelower Superintendent Siegfried Ringhandt. Mit ebenso viel Eifer wie Unkenntnis schrieb ich mein Protokoll. Eine Woche später erhob sich der besagte Ringhandt in seiner vollen Größe und erklärte: »Der Herr Assessor hat falsch protokolliert«. Wutentbrannt sprang ich auf und rief: »Das verbitte ich mir«. Die ganze Runde schmunzelte, denn – was ich noch nicht wusste – mit Ringhandt legte man sich nicht gerne an. Dibelius als souveräner Vorsitzender schlichtete den Streit, und am Schluss der Sitzung kam Ringhandt und schüttelte mir die Hand. Das war der Anfang einer 40-jährigen Freundschaft. Ringhandt hatte sich in der NS-Zeit Scharf und der Bekennenden Kirche angeschlossen. Er wurde als Gemeindepfarrer in Brandenburg eingesetzt. Er blieb aber einer der engsten Mitarbeiter von Scharf.
4. Gegen die Abgrenzung
5. Der Kirchentag und die DDR
6. Nach dem Mauerbau
7. Der Kampf für die Gefangenen der DDR
8. Freikauf durch die Kirche
9. Der Pfarrer als Fluchthelfer
10. Überleitung nach Bonn
11. Transfer im Schatten der Haftaktion
12. Angriffe gegen die Aktion
13. Familienhilfe
14. Hilfe für Kinder
15. Hilfe für die Diakonie
16. Friedensdenkschrift der EKD
17. Als Kurier zwischen den Regionen
18. Als Notar
19. Als Synodaler
20. Manfred Stolpe – Säule der Brücke über die Mauer
21. Bischofswahl durch die Mauer
II. Als Anwalt
1. Rechtshilfe für DDR-Bürger
2. Gegen den Devisenzwang
3. Verfassungsbeschwerde gegen die Bundesbank
4. Nebenklage für zwei erschossene Grenzer
5. Die Besuchsreise
6. Die gefährliche Rentnerin
7. Der angeklagte Richter
8. Spion oder Doktorand?
9. Die Studentenbewegung in Westberlin
10. Die Vietnam-Demonstrationen
11. Nach den Schüssen auf Rudi Dutschke
12. Der falsche Verdacht
13. Der Springer-Prozess
14. Gegen die Aufrüstung
15. Der verdeckte MfS-Mann
16. Seelsorge in den Gefängnissen der DDR
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