Sehr individuell muss hier austariert und ausdiskutiert werden, was euer Sohn bereits schafft und für sich beanspruchen kann. Mehr Freiheit ist immer auch mit einem Mehr an Verantwortung verbunden und oft mit Pflichten gekoppelt. Ziel sind das verantwortungsbewusste, selbstständige Handeln und die Fähigkeit, alleine Entscheidungen für sich zu treffen und auch die Konsequenzen zu tragen.
Für uns als Eltern bedeutet das, loslassen zu können. Das sollte nicht abrupt erfolgen, sondern sich als Prozess schrittweise vollziehen, der von vielen Gesprächen und gemeinsamen Erfahrungen begleitet wird. Damit wird die Pubertät zu einer Übergangsphase für Eltern und Kind, die damit abschließt, dass aus dem Jungen ein Mann geworden ist. Aus der Erziehung wird eine Beziehung zwischen Erwachsenen.
So schwer es auch manchmal fällt – positiv bleiben
Die Pubertät löst Stress bei Eltern aus. Doch dabei sollte genau hingeschaut werden: Sind die Ängste berechtigt oder macht euch die Idee Angst, dass euer Sohn erwachsen wird? Habt ihr wirklich Grund zur Sorge oder ist es die Angst vor dem, was alles passieren könnte (aber in Wirklichkeit in eurem speziellen Fall gerade gar nicht passiert).
Die Pubertät kann zu einer Phase der Herausforderung werden, in der es vermehrt zu Verletzungen, Rechtsstreitigkeiten und Auseinandersetzungen mit Grenzerfahrungen im Bereich von Alkohol und Drogen kommt, sie muss jedoch keine solche sein.
Setzt euren Sohn (und euch selbst) also nicht unter Druck, indem ihr ihn von vornherein unter Generalverdacht stellt und ihm damit das Leben schwer macht, sondern seht die Zeit als eine Phase des Abschlusses, in der etwas wunderbares Neues beginnt.
Unbenommen können aber auch extreme Ereignisse eintreten, mit denen wir als Eltern umgehen müssen. Ein eigenes Versinken in Aggression, Trauer oder Apathie hilft dann nicht. Steht die Polizei vor der Tür, müssen wir als Erwachsene handeln. Sich positiv zu verhalten bedeutet dann nicht, lächelnd alle Probleme zu negieren, sondern situationsspezifisch zu reagieren und gemeinsam mit eurem Sohn Lösungen zu finden. Schwänzt euer Kind die Schule, muss geschaut werden, was wirklich dahintersteckt und welche Alternativen es gibt. Prügelt sich euer Sohn, hilft es nichts, zu brüllen, sondern es müssen die Zusammenhänge aufgedeckt und Regularien gefunden werden.
Atmet auch immer einmal tief durch und nehmt euch Zeit für euch, um wieder Kraft zu tanken. Tretet innerlich einen Schritt zurück, um neue Möglichkeiten sehen zu können und auch das Positive nicht aus den Augen zu verlieren.
Steht euch die Phase noch bevor, bewahrt Ruhe und bleibt gelassen: Die Pubertät kann, aber sie muss nicht zwangsläufig mit Extremerfahrungen verbunden sein. Schürt keine Ängste in euch, die ihr auf euren Sohn übertragt: Er steht an der Schwelle zum Erwachsenwerden, spürt die Veränderung, hat mit Herausforderungen auf vielen verschiedenen Gebieten zu kämpfen und möchte aber auch das Leben und die Welt kennenlernen.
Um ihn zu unterstützen, hilft eine Familie, die zu ihm steht, ihn akzeptiert und ohne Bedingungen liebt. Damit Familie als Basislager für junge, hinausstrebende Forscher funktionieren kann, braucht ihr Familienregeln, die von allen akzeptiert und eingehalten werden. Setzt euch mit eurer eigenen Geschichte und dem Prozess der Pubertät auseinander, erhöht sich die Chance zu einer toleranten und dennoch konsequenten Haltung, an der sich euer Sohn orientieren kann.
In den folgenden Kapiteln wird es um Schule, Sexualität, Medienkonsum und Drogen gehen. Mit diesen Themen kann man angstbesetzt, offensiv oder beobachtend steuernd umgehen, es sollte uns Erwachsene jedoch nicht davon abhalten, den Selbstständigkeitsdrang unserer Kinder als etwas Positives zu erleben.
Pubertät – was ist das eigentlich?
Der letzte Abschnitt der Kindheit beschäftigt Menschen seit Langem. Das hat evolutionäre Gründe, denn der Nachwuchs sichert den Erhalt der Gruppe und in dieser letzten Phase vor dem Erwachsensein beweist sich, ob die Nachkommen dazu fähig sein werden. Schon immer wurde dabei männlichen Nachkommen neben der Fortpflanzung der Part zwischen Wehrhaftigkeit und Tätigkeit zum Unterhalt der Gruppe zugewiesen. Diesem Anspruch in modifizierter Form müssen sich Jungen heute auch stellen. Zunächst geht es jedoch um physische Veränderungen, die zwischen dem 12. und 18. Lebensjahr auftreten und in der Geschlechtsreife (der pubertas ) gipfeln.
Körperliche Veränderungen – geistiger Ausnahmezustand
Während der Pubertät verändert sich der Körper genetisch gesteuert unter dem Einfluss von Hormonen. Entscheidend sind nicht nur Längenwachstum und Gewichtszunahme, sondern das Eintreten der Geschlechtsreife. Gleichzeitig kommt es zu einem Umbau im Gehirn, der mit Stimmungsschwankungen, verstärktem Bewegungsdrang und einem vermehrt das Risiko suchenden Verhalten einhergehen kann.
Körperliche Veränderungen können mit Schmerzen einhergehen oder psychisch belasten. Diese Beunruhigung spiegelt sich im Verhalten. Jungen wirken verunsichert, ziehen sich zurück oder treten bewusst herausfordernd auf. Nicht selten tritt beides ein. Als Erwachsene können wir uns nur noch bedingt in diesen Zustand hineinfühlen, doch jeder weiß, wie es ist, wenn eine körperliche Veränderung eintritt, die einen beschäftigt oder wenn man sich nach einem Unfall temporär auf neue Bewegungsformen einstellen muss. Schon ein Pflaster an der rechten Hand kann einen ablenken und die Stimmung beeinträchtigen.
Jugendliche fühlen sich in diesem Zwischenstadium verloren, nur dass die Pubertät kein Unfall ist, sondern das Anbrechen des erwachsenen Lebens bezeichnet und mit einem neuen Selbstbewusstsein verknüpft werden muss. Der häufige (oder zu seltene) Blick in den Spiegel ist nichts anderes als diese Selbstvergewisserung, die gebraucht wird, um Ich-Stärke zu entfalten.
Was läuft anders bei Jungs?
Während bei Mädchen die Eierstöcke vermehrt Östrogen abgeben, sich dadurch die Brust herausbildet, die Gebärmutter sich abschließend entwickelt und das Wachsen der Schamhaare einsetzt, erleben Jungen bereits wesentlich früher angeregt über Sexualhormone einen Anstieg des Testosterons. Einerseits kommt es dadurch zu einem erhöhten Wachstum des Körpers und der Muskeln, aber auch wesentlich früher zu einer Reifung der Geschlechtsorgane und oft schon vor der eigentlichen Pubertät zu einem erstmaligen Samenerguss durch das Hoden- und Peniswachstum zwischen dem 9. und 14. Lebensjahr.
Meist beginnt die lustvolle Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper bereits früher als bei Mädchen und wird während der gesamten Pubertät beibehalten. Gleichzeitig kann dies aber auch zu inneren und äußeren Konflikten führen. Neben dem Selbstverständnis spielen die Selbstdarstellung und die Bewertung von Sexualität durch das Umfeld eine Rolle.
Längenwachstum kann eine Herausforderung sein. Ähnlich wie Alice im Wunderland geht es auch Jungen, die plötzlich in die Höhe schießen und überall anecken. Während das Wachstum der Geschlechtsorgane und der Schambehaarung in der Regel mit dem 14. Lebensjahr abgeschlossen ist, kann sich das Längenwachstum bis zum 21. Lebensjahr hinziehen.
Jugendliche erleben sich daher in einem Zwischenstadium: Sie wirken körperlich noch wie kleine Jungs, haben aber bereits erste regelmäßige sexuelle Erfahrungen mit sich selbst gesammelt. An sie werden stereotypische Forderungen gestellt, mit denen sie sich auseinandersetzen müssen.
Das Einleben in den neuen Körper sowie das Aushalten von Schwäche und Kraft sind Herausforderungen, bei denen wir Eltern unseren Jungen mit Toleranz, Achtsamkeit und Respekt unterstützen sollten. Denn nicht selten ist man plötzlich der Kleinste oder auch der Längste in der Klasse und muss seinen Platz erst wieder für sich und im Gruppenzusammenhang finden. Familie als sicherer Rückzugsort ist hier wichtig!
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