Die Dame lächelte geduldig weiter.
»Sie könnten es mal im Staatsarchiv probieren. Dort gibt es über die kirchlichen Daten hinausgehend noch andere Daten für die Ahnenforschung.«
»Staatsarchiv? Und wo finde es das?«
Die Dame griff nach einem Notizzettel, gab etwas in ihren Computer ein und schrieb die Adresse auf. Editha nahm den Zettel entgegen.
»Am Damm«, las sie laut. »Können Sie mir sagen, wo das ist?«
»Im Innenstadtbereich. Dort müssen Sie sich aber auch einen Termin holen.«
»Mist! Dann kann ich ja wieder ein paar Tage warten.«
»Die Zeit können Sie aber nutzen: Sie können bereits online recherchieren, welche Dokumente für Sie interessant sein könnten.«
Am nächsten Vormittag kam sie mit ihrem Artikel für die Zeitung gut voran. Die Handwerker waren heute vergleichsweise ruhig. Die schlimmsten Arbeiten hatten sie am Vortag erledigt, weil sie da den alten Kaminschacht abgerissen hatten. Nun hatten sie anscheinend leisere Aufgaben zu erledigen. Auch Timo hatte sie weitgehend in Ruhe arbeiten lassen, sodass sie mit dem, was sie geschafft hatte, sehr zufrieden war.
Nun wollte sie die Zeit nutzen, in der Timo seinen Mittagsschlaf hielt, und sich wieder ein wenig ihrer privaten Ahnenforschung widmen. Im Internet fand sie die Homepage des Oldenburgischen Staatsarchivs und dessen Telefonnummer. Sie rief an und vereinbarte einen Besuchstermin, der leider erst am Ende der folgenden Woche war. Aber sie konnte ja schon in der Online-Recherche suchen, was sie auch sofort begann.
Als erstes stellte sie einen Benutzungsantrag, den sie für ihren Vor-Ort-Termin benötigen würde, wie ihr der Herr am Telefon sagte. Dann rief sie die Recherche-Funktion auf und fand eine Gliederung der im Archiv vorhandenen Dokumente vor mit einer enormen Anzahl von Untergliederungspunkten. Wenn sie sich dort überall durchklicken wollte, würde sie am Sonntagabend noch hier sitzen. In der Titelleiste entdeckte sie den Begriff »Suche«. Also klickte sie darauf. Es erschien ein Fenster, in das sie einen Suchbegriff eingeben konnte. Sie tippte »Riekhen« ein. Insgesamt gab es 94 Treffer, allerdings für ganz Niedersachsen. In der Navigationsleiste bestand die Möglichkeit, die Suche nach Regionen weiter einzugrenzen. Neben »Oldenburg« stand in Klammern eine 39. Also klickte sie hierauf. Und wieder erschienen viele Untergliederungspunkte, jeweils mit der Anzahl der Treffer dahinter.
Da sie nicht genau wusste, wonach sie hier eigentlich suchte, klickte sie diese der Reihe nach an. Das meiste von dem, was daraufhin auf der rechten Seite erschien, überflog sie nur kurz, bevor sie es als uninteressant einstufte und sich dem nächsten Dokument widmete. Dabei waren Dinge wie Militärsachen und Kirchensachen, ein Dokument sollte von einer Jagdverletzung eines Riekhen handeln, ein anderes von einer Zollstrafsache. Die meisten dieser Dokumente konnte sie aufgrund der nicht zutreffenden Jahreszahlen von vorneherein ausschließen.
Als sie dann bei den Untergliederungspunkten auf »Oldenburgische Vogteien« klickte, wurde rechts endlich ein Dokumenttitel angezeigt, der interessant klang. Es handelte sich um einen Übertragungskontrakt zwischen Diether von Riekhen und der Grafschaft Oldenburg aus dem Jahre 1768. Sie konnte sich dazu noch eine Detailseite aufrufen, die sie ausdruckte. Dieses Dokument wollte sie sich auf jeden Fall ansehen, wenn sie das Staatsarchiv aufsuchte.
Sie dachte über den Titel des Dokuments nach. Zum einen fiel natürlich das »von« im Namen auf. Sie holte die Kopie aus dem Kirchenbuch hervor. Tatsächlich, das hatte sie vorher übersehen: Auch hier stand »Diether von Riekhen«. Sein Sohn Herold hieß aber nur Riekhen, ohne »von«. Ungeheuerlich, welche Wandlung der Name durchgemacht hatte: Aus »von Riekhen« wurde »Riekhen und danach kamen »Riekhmüller« mit »h« und »Riekmüller« ohne »h«. Aber wie es wohl zu dem Wegfall des Adelsprädikats kam?
Doch in dem Zusammenhang fiel noch etwas anderes auf: Zur gleichen Zeit wurde ein Besitz Diether von Riekhens an das Herzogtum Oldenburg übertragen. Dort stand zwar nicht, um welche Art von Besitz es sich dabei handelte, aber wenn es extra eine Urkunde dafür gab, musste es einen gewissen Wert gehabt haben, wie beispielsweise Grundbesitz.
Sie rief die Suchfunktion erneut auf und gab »Herzogtum« ein, doch bereits bei der Eingabe merkte sie, dass sie damit nicht weiterkommen würde. Denn allein »Herzogtum« hatte über 13.000 Treffer, und dann gab es noch weitere Varianten, wie zum Beispiel »Herzogtums«, »Herzogthum« und »Herzogtume«. Deshalb versuchte sie es mit der Kombination aus »Herzogtum« und »Übertragungskontrakt«. Dafür gab es 12 Treffer. Danach probierte sie die anderen Varianten und kam auf insgesamt 33 Treffer, von denen 27 zeitlich nach dem Kontrakt Diether von Riekhens ausgestellt wurden. Von allen druckte sie sich die Detailseiten aus.
Sie sah auf die Uhr. Es war Zeit, Timo aus dem Bett zu holen, sonst würde er am Abend nicht müde werden.
Die Handwerker waren schon lange ins Wochenende gegangen und Editha musste langsam das Abendbrot fertig machen. Sie hatte sich von Timo dazu breitschlagen lassen, ihm Pfannkuchen zu backen. Also suchte sie die Zutaten dafür zusammen.
Das Telefon klingelte in einem ungünstigen Moment. Sie hatte Teig an den Fingern und auch von der Rührmaschine tropfte er in großen Flatschen herunter. Hastig wischte sie sich die Hände am Küchenhandtuch ab und griff zum Telefon.
»Gruning hier«, meldete sich die andere Seite.
»Oh, hallo Herr Gruning.«
Sie stellte fest, dass doch noch Teig an ihren Fingern war und sie damit das Telefon eingeschmiert hatte. Verdammter Klehkram!
»So, mein Mädchen. Die ersten 30 Seiten sind fertig und können abgeholt werden«, meinte Gruning fröhlich.
Editha riss mit der freien Hand ein Küchenkrepp ab und versuchte, den Teig vom Telefon zu wischen und gleichzeitig zu telefonieren, was sich als schwer machbar herausstellte.
»Oh, das ist schön.« Fast fiel ihr der Apparat herunter. »Äh ... was? Wir hatten doch gesagt, dass Sie erst mal nur 10 Seiten übertragen.«
Vor Schreck vergaß sie die Schmiererei und hielt sich das Telefon direkt ans Ohr.
»Ja, ja, keine Sorge. Ich werde nur 10 Seiten in Rechnung stellen. Es war einfach so interessant, dass ich nicht aufhören konnte. Ich musste zumindest die Ereignisse des aktuellen Datums komplett übertragen.«
Zum Glück, dachte Editha. Sie hatte ein klebriges Gefühl am Ohr. Mit dem Krepp von vorher wischte sie einmal zwischen Telefon und Ohr entlang.
»Weißt du«, fuhr Gruning fort, »ich liebe diese Berichte aus früheren Zeiten. Daran kann ich mich gar nicht sattlesen. Wann möchtest du denn herkommen?«
Editha ging im Geiste schnell den weiteren Tagesablauf durch. Das war zwar alles ein wenig knapp, aber er hatte sie neugierig gemacht und sie brannte darauf, den Text zu lesen.
»Würde es heute noch gehen?«
Sie vereinbarten einen Abholtermin für den Abend und beendeten das Gespräch.
Das Telefon war immer noch voller Pfannkuchenteig. Sie nahm ein neues Küchenkrepp und wischte zuerst ihre Finger und dann das Telefon sauber. Ihr Ohr fühlte sich auch noch klebrig an. Sie ging mit frischem Krepp bewaffnet auf den Hausflur, doch als sie dort ihre Haare im Spiegel sah, merkte sie, dass hier nur eine Dusche half.
Die 30 Blätter Papier, ausgedruckt mit einem Tintenstrahldrucker, der einen Patronenwechsel nötig hatte, und mit einem hellblauen Heftstreifen zusammengeheftet, lag am Samstagmorgen zuerst auf dem Küchentisch, falls Editha beim Frühstück nebenbei einen Blick hätte hineinwerfen wollen. Zwei oder drei Male hätte sie auch die Gelegenheit dazu gehabt. Doch bevor sie dazu kam, wollte Timo wieder irgendetwas.
Dann lag der Papierstapel eine ganze Weile auf ihrem Schreibtisch. Immer wieder sah sie ihn sekundenlang an, war im Begriff, darin zu lesen, aber stets fielen ihr andere Dinge ein, die sie zuerst machen wollte.
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