Das Pferd preschte über die Wiesen. Das Wasser aus den Pfützen, die sie durchritten, spritzte auf, selbst Diethers Gesicht war bereits nass. Doch es machte ihm nichts, er genoss es. Sie galoppierten am Rande eines Waldes entlang, setzten über einen liegenden Baumstamm. Er rang schon ebenso nach Luft wie sein Hengst. Am Ende des Waldes zog er die Zügel straff und brachte ihn zum Stehen. Lobend tätschelte er den Hals des stolzen Tieres, während beide wieder zu Atem kamen.
Es würde gleich beginnen, dunkel zu werden. Er sollte sich auf den Heimweg machen. Dafür wollte er eine andere Route einschlagen. Er zog am linken Zügel und wendete sein Pferd, um gemäßigter zurück zu reiten.
Etwa eine Stunde später ritt er in seine Stallungen und übergab den Hengst zum Abzäumen und zur Pflege an Klatti, seinem Stallknecht. Er selbst begab sich ins Haus, um sich frisch zu machen. Bald würde das Abendessen gereicht werden. Sicherlich würde es wieder Braten geben, von dem Fleisch des Hirsches, den er vor einigen Tagen erlegt hatte.
Als er kurze Zeit später den Speiseraum betrat, kam ihm der köstliche Duft der Speisen entgegen. Im Kamin loderte ein schönes Feuer, was bei dem recht fortgeschrittenen Herbst wohl angebracht war. Alheyt und Herold saßen bereits an der langen Tafel und erwarteten schweigend seine Ankunft.
»Ah, ihr wartet schon auf mich«, sagte Diether gut gelaunt zur Begrüßung.
Sein Sohn lächelte ihm zu, aber seine Frau zeigte keine Regung.
Diether ging an der Tafel entlang und strich dabei mit den Fingern über die weiße Tischdecke. In der Mitte standen dampfend große Porzellanplatten mit verschiedenen Gemüsen und Kartoffeln. Als er an Herold vorbeikam, strubbelte er ihm über das Haar. Zu Alheyt bückte er sich zum Kusse und sie hielt ihm ihre blasse Wange entgegen. Sie saß nicht sehr dicht am Tisch, weil ihr dicker Bauch es unmöglich machte. Nicht mehr lange bis Diether das zweite Mal Vater werden würde.
Er schritt an der anderen Seite der Tafel entlang, zurück zu seinem Platz, und kaum hatte er sich niedergelassen, betrat Duretta mit der Bratenplatte den Raum. Sie begrüßte ihn, stellte die Platte ab und begann damit, die Speisen und den Wein zu servieren.
Der Hirschbraten schmeckte vorzüglich. Diether ließ sich zwei Mal nachgeben. Die Nachspeise war eine Kombination aus geschlagener Sahne und Äpfeln. Eine sehr süße Angelegenheit, die er kaum anrührte, dem Rest seiner Familie aber zu schmecken schien. Sollte Herold doch seine Schale bekommen.
»Wie war der Unterricht heute?«, fragte er seinen Sohn, den stummen Teil des Abends beendend.
»Hervorragend!« Herold strahlte über das ganze Gesicht. »Jedenfalls nachdem wir mit dem leidigen Lesen fertig waren und uns der Mathematik zugewandt hatten.«
Ja, dachte Diether, ein Dichter würde sein Sohn wohl nicht werden, dann schon eher ein Wissenschaftler. Aber er musste nichts von beidem. Irgendwann würde er das Vermögen erben, von dem seine Familie seit Generationen lebte. Nichtsdestotrotz war Bildung wichtig, weshalb Diether den besten Privatlehrer beschäftigte, den er finden konnte.
Herold berichtete weiter vom Unterricht und davon, was er am Nachmittag draußen unternommen hatte, was er geschnitzt hatte, dass er in den Stallungen geholfen hatte und was ein Zehnjähriger sonst alles erlebte. Diether hörte ihm wohl zu, aber seine halbe Aufmerksamkeit galt Alheyt. In ihrer Schwangerschaft war sie sogar schöner als ohnehin schon. Er musste sie fortwährend anschauen, doch sie erwiderte seinen Blick nicht ein einziges Mal. Die ganze Zeit waren ihre Lider gesenkt und die Augen auf den Teppich gerichtet, als hätte sie dessen Muster zuvor nie gesehen. So verhielt sie sich nicht erst seit heute, sondern bereits eine geraume Weile. Das tat Diether weh. Sicher, sie wurden sehr früh verheiratet, Alheyt war sechzehn und er zwanzig Jahre alt. Aber er hatte sie damals schon geliebt und er liebte sie immer noch, wenn auch auf eine andere Weise. Heute war die Liebe nicht mehr leidenschaftlich, sie war zur Gewohnheit geworden. Seit vielen Wochen hatten sie nicht das Bett geteilt. Er nahm sich vor, das heute Abend zu ändern. Die Schwangerschaft machte ihm dabei nichts aus.
Kurz vor der Schlafenszeit schlüpfte er zu ihr ins Schlafzimmer. Sie saß an der Frisierkommode und bürstete ihr langes blondes Haar. Überrascht sah sie auf, als sie die Tür hörte, und unterbrach das Bürsten. Sie sah ihn erst verwirrt an, doch schnell dämmerte ihr sein Anliegen.
»Was willst du denn noch hier?«, fragte sie trotzdem.
Diether hatte sich vorher nicht überlegt, wie er vorgehen wollte. Er hatte einfach den Entschluss gefasst, dass er mal wieder mit seiner Frau zusammensein wollte, und wollte diesen jetzt in die Tat umsetzen. Deshalb war er ein wenig verlegen darum, wie er antworten sollte, ohne sofort auf den Punkt zu kommen.
»Was für eine Frage. Man darf doch wohl noch seine Ehefrau besuchen.«
»Ts!«, machte sie und setzte das Bürsten fort.
Na ja, dachte Diether, leicht hatte er es noch nie bei ihr gehabt. Ein wenig sanftes Drängen war schon immer nötig gewesen.
Er ging zu ihr und umfasste von hinten ihre Schultern. Sie hatte bereits ihr Nachthemd an, ein dünner Hauch von Stoff, der sich an ihren Körper schmiegte. Mächtig trat der Bauch darin hervor. Er betrachtete sie in dem zweiten Spiegel mit dem verzierten Holzrahmen, der seitlich von ihr stand. Wie sie dort saß mit ihren offenen Haaren, zum Bürsten seitlich nach vorne geholt, war sie einfach wunderschön. Er begann, ihre Schultern zu streicheln. Ihr zarter Nacken bot sich ihm dar, sodass er nicht widerstehen konnte: Er bückte sich und hauchte einen Kuss auf ihre Haut. Alheyt wich dem nach vorne aus.
»Bitte lass mich meine Haare bürsten«, sagte sie und arbeitete sich weiter mit der Bürste vor.
Diether umrundete den Stuhl, auf dem sie saß, nahm ihr die Bürste aus der Hand und legte sie auf die Kommode. Er fasste sie unter Beine und Rücken, hob sie hoch, was aufgrund ihres Zusatzgewichts nicht einfach war, und brachte sie zum Bett. Dort legte er sie ab und schmiegte sich sogleich an ihre Seite. Er öffnete die Schleife ihres Nachthemds und küsste sie seitlich auf Hals und Schultern.
Doch dann merkte er, wie sie dalag: stocksteif, mit geöffneten Augen und zusammengepressten Lippen. Ihre Hände hielten die offenen Seiten des Nachthemds, damit sie nicht wegrutschten und ihre Brust entblößten.
»Was ist mit dir?«, fragte er.
Sie raffte das Nachthemd noch weiter zusammen.
»Glaubst du wirklich, dass das eine so gute Idee ist?«
Ihre Stimme klang schneidend.
»Was meinst du?«
»Denkst du wirklich, dass das, was du vorhast, in meinem Zustand ratsam ist?«
»Aber warum denn nicht? Wir haben es schon so lange nicht mehr gemacht. Und ich werde wirklich vorsichtig sein.« Er gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Weißt du, ich liebe dich doch, und wir waren uns in letzter Zeit nicht besonders nahe.«
»Das liegt vielleicht daran, dass ich dein Kind austragen muss«, sagte sie kalt.
Er stützte sich auf seinen Ellenbogen, um ihr ins Gesicht sehen zu können, doch sie drehte den Kopf zur anderen Seite.
»Aber was sagst du denn da? Mein Kind? Es ist doch unser Kind.« Darauf gab sie keine Erwiderung. »Unser Kind, das aus Liebe entstanden ist. Wir haben es doch gezeugt, weil wir uns lieben.«
» Du hast es gezeugt. Ich war nur dabei.«
Diether bekam einen Kloß im Hals. Er konnte nicht verhindern, dass ihm Tränen in die Augen stiegen. Er wartete einen Moment, denn er wusste, dass seine Stimme brechen würde, wenn er jetzt sprechen würde. Doch als er dachte, es ging wieder, tat sie es trotzdem.
»Liebst du mich denn gar nicht mehr?«
Er wartete ein paar Minuten vergeblich auf eine Antwort. Sie lag weiterhin steif und mit abgewandtem Gesicht da und schwieg.
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