Leo war sofort klar, dass dieser vermeintliche Mönch Ursula gewesen sein muss. Seit er sie kannte, trug sie verrückte Klamotten und Hüte, die in seinen Augen nie zusammenpassten.
„Was ist dann passiert?“
„Die Flüchtende wurde eingefangen und in den Sportwagen gesetzt; wenn Sie mich fragen, nicht freiwillig. Dann kam ein weiterer Wagen und der Mönch wurde in den Wagen gesetzt. Ebenfalls nicht freiwillig, der Mönch hat sich ordentlich gewehrt. Für einen kurzen Moment dachte ich, dass das eine Frau sei, aber dafür habe ich einfach zu wenig gesehen. Der Sportwagen brauste mit hoher Geschwindigkeit davon. Dann fuhr der Wagen mit dem Mönch weg, zeitgleich mit dem Geländewagen. Das alles hat keine zehn Minuten gedauert. Etwa zwanzig Minuten später stoppte eine dunkle Limousine. Der Beifahrer stieg aus, setzte sich in den Kleinwagen des Mönches und beide Fahrzeuge fuhren davon.“ Konrad Häberle machte eine kurze Pause und lehnte sich zurück. „Verrückte Geschichte, nicht wahr? Wenn ich das alles nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, würde ich es selbst nicht glauben. Ich wollte die Polizei informieren, habe mich aber nicht getraut. Was hätte ich erzählen sollen? Diese irre Geschichte hätte mir die Polizei niemals geglaubt.“
„Konnten Sie ein Nummernschild erkennen? Die Farben der Fahrzeuge?“
„Nein, so gut ist mein Fernglas nun auch wieder nicht. Außerdem war es dunkel, wie hätte ich da Farben erkennen sollen? Der Sportwagen war hell, ebenso der Kleinwagen. Die beiden anderen waren dunkel, mehr konnte ich nicht erkennen.“
„Dass die Frau keine Schuhe trug, darin sind Sie sich sicher?“
„Ganz sicher. Die Frau rannte über die Fahrbahn, wobei sie fast von dem Fahrzeug des Mönches angefahren wurde. Zum Glück hatte der schnell reagiert. Im Scheinwerferlicht des Kleinwagens konnte ich deutlich erkennen, dass die flüchtende Frau keine Schuhe trug.“
„Können Sie die Personen genauer beschreiben? Bitte versuchen Sie, sich zu erinnern. Jedes Detail kann für die Polizei enorm wichtig sein.“
„Ich habe mich auf die flüchtende Frau konzentriert, die für mich im Fokus stand. Ich hatte Angst um sie. Sie schien mir sehr jung zu sein. Es sah für mich so aus, als hätte sie nicht viel an. Sie hatte langes Haar, in dem Punkt bin ich mir sicher. Bei den anderen Personen muss ich leider passen, ich habe vor allem auf die junge Frau geachtet.“
Leo hatte genug gehört. Wenn das stimmte, was Konrad Häberle von sich gab, suchten sie nach einem hellen Sportwagen. Wie hoch waren die Chancen, den zu finden? Leo bedankte sich, dann ging er zurück und setzte sich in seinen Wagen. Er rief Zeitler an.
„Wie glaubhaft ist der Zeuge?“
„Ich glaube ihm, zumindest den Kern der Geschichte.“
„Jetzt sollen wir nach allen hellen Sportwagen suchen? Mit welchem Kennzeichen?“
„Das ist sinnlos. Ich dachte an Geschwindigkeitsüberwachungen, denn laut Aussage des Zeugen fuhr der Sportwagen sehr schnell davon. Mit viel Glück könnte er irgendwo geblitzt worden sein. Wenn ich mich an meine Anfänge im Polizeidienst zurückerinnere, werden nachts kaum Blitzer aufgestellt. Es sei denn, es handelt sich um brisante Stellen. Wie viele fest installierte Blitzer gibt es entlang der Neuen Straße?“
„Für die drei Kilometer gibt es nur eine. Ich werde sofort veranlassen, dass die Fotos ausgewertet werden.“
„Wir sollten uns nicht nur auf diese Bilder konzentrieren, sondern alle Fotos, die in Ulm und um Ulm herum in der letzten Nacht gemacht wurden. Sollte der Fahrer tatsächlich auffällig geworden sein, finden wir ihn vielleicht auf diese Weise.“
„Sie haben es noch nicht verlernt, mir Anweisungen zu geben.“ Zeitler musste lachen, denn auch früher konnte sich Leo nur schlecht darin zurückhalten, seinem Chef gute Ratschläge zu erteilen. „Gute Arbeit, Schwartz. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich befürchtet, dass sie in der oberbayerischen Idylle weich und ruhig geworden seien. Ich melde mich bei Ihnen.“
Leo legte schmunzelnd auf. Das war das höchste an Lob, was er von Zeitler zu erwarten hatte.
Ursula schreckte auf, sie war eingeschlafen. Nur langsam begriff sie, dass das kein schlechter Traum gewesen war. Sie stand auf und sah sich in dem Zimmer um. Das Haus war alt, sehr alt. Sie war sich sicher, dass dieses Zimmer schon lange unbewohnt war. Das kleine, schmutzige Fenster schien ihr die einzige Möglichkeit zu sein, irgendwie hier rauszukommen. Aber würde sie überhaupt durch diese Öffnung durchpassen? Ja, sie hatte in den letzten Monaten ordentlich zugenommen, was sie bisher nicht gestört hatte. Jetzt wurde ihr der Umfang zum Verhängnis. Wie sie es auch drehte und wendete: Hier passte sie niemals durch, das war, wenn überhaupt, nur für eine gertenschlanke Person zu schaffen. Trotzdem besah sie sich das Fenster genauer.
„Vergiss es, du kommst hier nicht raus“, hörte sie die dunkle Stimme hinter sich. Ursula erschrak, sie hatte den Mann nicht kommen hören. Sie zitterte und setzte sich aufs Bett. Sie musste sich zusammenreißen.
„Ich bin nicht scharf darauf, Kindermädchen für eine durchgeknallte Frau zu spielen, das kannst du mir glauben“, fuhr der Mann fort, während er das Tablett an sich nahm. Ursula beobachtete jede Bewegung des Mannes und bemerkte, dass er leicht zitterte, als er das Tablett nahm. „Ich habe weiß Gott Wichtigeres zu tun, als hier meine Zeit zu vertrödeln. Solltest du mir den kleinsten Grund geben, werde ich dich ohne mit der Wimper zu zucken einfach abknallen.“ Der maskierte Mann sprach sehr laut. Konnte es sein, dass der Mann unsicher war?
„Warum bin ich hier? Wo bin ich? Was wirft man mir vor?“
„Denkst du wirklich, dass ich dir auch nur eine Frage beantworten werde? Du hast dich selbst in diese Lage gebracht, du hättest nicht so neugierig sein sollen. Halt einfach die Klappe und verhalte dich ruhig. Wenn du brav bist, kannst du in wenigen Tagen gehen.“ Der Mann stellte zwei Flaschen Wasser auf den Tisch und ging mit dem Tablett wieder.
„Was laberst du so lange mit der Frau? Ich habe dir doch gesagt, dass wir kein Wort mit ihr reden sollen. Und du hast dich gefälligst an meine Anweisungen zu halten, wofür bezahle ich dich?“ Gregor Pauschke war sauer auf seinen nichtsnutzigen Schwager, den er für den Auftrag mitgenommen hatte. War es so klug gewesen, gerade ihn zu engagieren? Waldi Gassner war ein Tagträumer und Möchtegernganove, dem noch nie etwas gelungen war. Aber heute Nacht musste alles schnell gehen und nur sein Schwager Waldi stand zur Verfügung.
„Reg dich ab, Mann, ich habe nichts gesagt. Ich habe sie dabei erwischt, wie sie sich am Fenster zu schaffen machte. Ich dachte, eine Drohung kann nicht schaden, um sie ruhig zu stellen.“
„Was hat sie gesagt?“
„Sie hat Fragen gestellt. Sie will wissen, was los ist und wo sie ist, ist das nicht verständlich? Ist doch klar, dass die Frau jede Menge Fragen hat, die habe ich übrigens auch. Ich habe mir vorhin ihre Geldbörse angesehen und den Dienstausweis gefunden. Die Gefangene ist deine Kollegin. Warum ist sie hier? Was steckt dahinter?“
„Du bekommst gute Kohle für wenig Arbeit. Fragen zu stellen und meine Anweisungen zu ignorieren, gehören nicht dazu. Mach einfach, was ich dir sage. In ein paar Tagen ist alles vorbei.“
„Genau das habe ich der Frau vorhin auch gesagt“, lachte Waldi. „Ich werde mit der Frau nicht sprechen und ich werde auch keine Fragen mehr stellen, du kannst dich auf mich verlassen. Aber ich möchte eine Knarre haben.“
„Du möchtest was? Ich höre wohl nicht richtig!“ Gregor ging lachend nach draußen.
Waldi war sauer. Er wusste schon lange, dass ihn sein Schwager nicht ernst nahm. Er fühlte sich überlegen und behandelte ihn oft wie ein dummes, kleines Kind. Auch wenn Gregor ihn nicht informierte, würde er schon noch herausfinden, was hier ablief.
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