„Was will er?“, fragte Leo.
„Keine Ahnung. Er hat offenbar eine Frage gestellt, auf die er eine Antwort erwartet.“
„Yes“, sagte Leo schließlich lachend und zuckte mit den Schultern, als Georg ihn anstarrte. Sharif lächelte und fuhr von der Straße ab.
„Hoffentlich kommen wir irgendwann im Hotel an“, maulte Georg, der keine Lust auf eine Tour durch die karge Landschaft hatte.
„Sei kein Spielverderber, alter Freund. Wir haben Urlaub! Was spricht dagegen, sich etwas umzusehen? Ich war noch nie in Ägypten und bin gespannt, was uns der Mann zeigen möchte.“ Leo hatte beste Laune und sah sich interessiert um. Schon wie Sharif den Wagen wendete, war lustig, denn ihn schienen die anderen Verkehrsteilnehmer nicht zu interessieren.
Georg musste schmunzeln. Leo war stockbesoffen und er musste zusehen, dass er starken Kaffee für ihn fand. Was soll’s, dann gab es eben heute eine Touristentour. Die karge Gegend wurde bewohnter, bis sie schließlich eine Stadtgrenze passierten. Welche Stadt das war, war Leo gleichgültig. Georg war klar, dass das Hurghada sein musste. Leo sog die Luft durch das offene Fenster ein und ließ sich den Fahrtwind um die Nase wehen.
„Hier riecht es fantastisch“, rief er laut. Der Fahrer verstand zwar kein Wort, lachte aber dennoch. Er fuhr geschickt durch die belebte Stadt, in der es von Einheimischen und Touristen nur so wimmelte. Dann stoppte er, drehte sich grinsend um und forderte die beiden auf, ihm zu folgen.
„Sharif ist wohl der Meinung, dass wir einen Markt besuchen möchten. Sieh dich um, Georg, das ist doch der Wahnsinn!“ Leo war begeistert und stieg aus. „Komm schon, sei kein Spielverderber und gönn mir diesen Spaß.“
„Meinetwegen! Aber zuerst gibt es Kaffee, damit du wieder nüchtern wirst. Ich habe keine Lust darauf, den ganzen Tag eine Attraktion nach der anderen ansehen zu müssen, nur weil du nicht ganz klar in der Birne bist.“
Georg machte Sharif klar, dass sie Kaffee trinken wollten. Dieser verstand und ging einfach los, Georg und Leo folgten ihm. Leo hatte noch niemals vorher solch einen vollgestopften und lebhaften Markt gesehen. Überall standen Menschen, die wild gestikulierend miteinander sprachen. Es war offensichtlich, dass man nicht den Preis bezahlte, der auf der Ware angebracht war. Leo war ein leichtes Opfer für die Händler. Er blieb überall stehen und ließ sich bequatschen. Sharif kümmerte sich um ihn und zog ihn einfach weiter, wobei er dem einen oder anderen Einheimischen der Klangfarbe der Stimme nach zu urteilen Schimpfworte an den Kopf warf. Oder ging man hier so miteinander um? Leo amüsierte sich köstlich, während Georg die Menschenmassen mehr und mehr auf die Nerven gingen.
Endlich gab es starken Kaffee, den Leo widerwillig trank. Georg bestand darauf, dass er einen weiteren herunterschluckte, auch wenn der noch widerlicher schien, als der erste. Da Leo keine Lust darauf hatte, sich jetzt schon mit Georg anzulegen, fügte er sich. Dann ging es erneut mitten ins Getümmel des Marktes.
Leo und Georg wurden immer wieder von Händlern angesprochen, aber das würgte Sharif mit kurzen Worten ab, wenn sie ihr Desinteresse zum Ausdruck brachten. Sie aßen an einem Stand, an dem es verführerisch duftete. Sharif übernahm die Bestellung und war fast beleidigt, als Leo die Rechnung übernehmen wollte. Georg kaufte ein T-Shirt für seine Tochter, mehr fand er nicht. Leo erstand ein Tuch für Tante Gerda und Honig für die Kollegen. Ob das das richtige Geschenk war? Leo musste schmunzeln und freute sich jetzt schon über die dummen Gesichter der Kollegen, wenn jeder ein Glas Honig in die Hand gedrückt bekam. Leos Laune war bestens. Gerade, als er erneut von einem Tuchhändler angesprochen wurde, lief ihm eine Frau vor die Füße. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätte ihn umgerannt. Leo konnte sich selbst und die Frau gerade noch festhalten. Sie sah ihn an und Leo konnte die Angst in ihren Augen sehen.
„Sprechen Sie deutsch?“
„Ja.“
„Kann ich Ihnen helfen?“
„Ich muss hier weg, ich werde verfolgt.“
Leo musste sich konzentrieren. Was sagte die Frau da?
„Haben Sie eben gesagt, dass Sie verfolgt werden?“
„Ja.“
Leo sah sich um. Georg war mit Sharif in Verhandlungen, wobei es wohl um Gewürze ging. Dann bemerkte er zwei Männer, die sich auffällig suchend umblickten. Das mussten die Verfolger der Frau sein.
„Kommen Sie mit“, entschied Leo und betrat den Laden, vor dem sie gerade standen und in dem sie mit offenen Armen empfangen wurden. Sofort wurden Stoffe ausgebreitet.
„Den hier“, deutete Leo auf einen pinkfarbenen Stoff und zeigte auf die Fremde. Der einheimische Verkäufer strahlte und nahm den Stoff an sich, wobei er ihn wie ein rohes Ei behandelte. Durch eine Fülle von Stoffen gab es eine schmale Stelle, durch die man nach draußen sehen konnte. Leo behielt im Auge, was sich vor dem Geschäft abspielte. Er bemerkte die Verfolger, die immer näher kamen. Er nahm dem Verkäufer den Stoff aus der Hand und hielt ihn schützend vor die Frau. Das war geschafft, die beiden Männer gingen weiter. Leo wollte den Stand verlassen, aber der Verkäufer ließ nicht locker. Er redete auf Leo ein, aber der verstand kein Wort. Der bemühte sich redlich, dann endlich verstand Leo.
„Er will Ihnen ein Kleid nähen. Und so, wie ich ihn verstehe, will er das sofort machen“, sagte er zu der Frau, die ängstlich in der Ecke stand und es nicht wagte, sich zu bewegen.
Sabine war nervös. Der fremde, freundliche Mann hatte ihr geholfen und sie war ihm unendlich dankbar. Für ein neues Kleid hatte sie jetzt keine Nerven. Sie war kurz davor abzulehnen. War es nicht klug, das Äußere zu verändern? Aber wie sollte sie das bezahlen? Darüber musste sie sich später Gedanken machen, jetzt war nicht der richtige Moment dafür. Sie nickte schließlich und der Verkäufer nahm die Frau mit nach hinten. Gerade noch rechtzeitig, denn einer der Männer betrat den Laden, sah sich um und verschwand wieder. Das war knapp.
Leo wollte in den hinteren Teil des Ladens gehen, wurde aber von dem Besitzer daran gehindert. Es blieb Leo nichts anderes übrig, als laut zu rufen.
„Die Männer sind weg, Sie sind vorerst in Sicherheit. Geht es Ihnen gut?“
„Mir geht es gut, danke. Vielen Dank für Ihre Hilfe.“
Sollte Leo gehen? Ging ihn das Problem der Frau überhaupt etwas an? Er hatte Urlaub und wollte sich entspannen.
„Was machst du hier? Wir haben dich gesucht.“ Georg und Sharif standen im Laden.
„Ich habe einer Frau geholfen, die verfolgt wurde.“
„Du darfst dich nicht einmischen! Hier gelten andere Gesetze und Regeln, Leo.“
„Das weiß ich. Die Frau ist eine Deutsche. Die Verfolger sahen europäisch aus.“
„Eine Deutsche? Wo ist sie jetzt?“
„Dort hinten. Sie bekommt ein Kleid geschneidert. Ich bin unsicher, ob ich sie allein lassen kann.“
„Du hast dich nicht verändert, Leo. Kaum ist jemand in Not, fühlst du dich verantwortlich. Wie heißt sie? Woher kommt sie?“
„Wir konnten noch nicht miteinander sprechen, es musste alles sehr schnell gehen.“
„Gut, warten wir und fragen wir sie. Wenn sich die Sache als harmlos herausstellt, geht es direkt ins Hotel. Versprochen?“
„Und wenn nicht?“
„Dann sehen wir weiter.“
Sharif verstand kein Wort. Da sich die Touristen nicht bewegten und aus einem ihm unverständlichen Grund in diesem in seinen Augen völlig überteuerten Geschäft bleiben wollten, blieb ihm nichts anderes übrig, als ebenfalls zu warten.
Die Frau erschien endlich. Sie sah wunderschön aus, die Schneiderin hatte ganze Arbeit geleistet.
„Sie haben auf mich gewartet?“
„Ja. Ich möchte sichergehen, dass Sie nicht mehr belästigt werden. Das ist mein Freund Georg Obermaier und das ist unser Fahrer Sharif.“
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