Griffin hingegen sah stolz aus. Aron kannte dessen Gesicht gut. Sein Freund glühte beinahe vor Aufregung und Euphorie über seine neue Situation. Aron musste lächeln. Er konnte nicht lange unglücklich sein, wenn es Griffin offensichtlich so gut gefiel. Trotzdem fühlte er sich eingeengt.
Sie standen nicht lange dort. Es kam noch eine andere Gruppe und reihte sich neben ihnen ein. Aron schätzte, dass es insgesamt etwa dreißig Männer sein durften.
Und dann sah er zwei Männer ihnen gegenüber aus dem Wald kommen. Der eine hatte ein Muskelshirt an, seine Oberarme glichen dicken Ästen. Er mochte fünfzig sein, hatte kurz geschorenes graues Haar und seine Schuhe steckten in schwarzen Springerstiefeln.
Neben ihm ging ein Mann, der nicht weniger furchteinflößend aussah. Leutnant Wu Xung. Aron erkannte ihn an seiner offensichtlich asiatischen Abstammung. Groß, Glatze, Schlitzaugen und ein Nacken wie ein Stier.
Oh mein Gott, dachte Aron nur. Das kann ja heiter werden.
»Still gestanden!«, brüllte der Fünfzigjährige und selbst Wu Xung stand gerade. Dann lockerte er seine Haltung wieder.
»Ich bin Major Krox, das ist Leutnant Wu Xung. Willkommen bei der R.P.U. Sie sind nun offizielles Mitglied der Ressource Preservation Unit, der Ressourcen-Erhaltungseinheit. In den nächsten Wochen werden Sie mehr darüber erfahren.« Er lächelte und Aron gefiel dieses Lächeln ganz und gar nicht. »Nun gibt es für Sie kein Zurück mehr. Sie bekommen drei Mal im Jahr Urlaub für jeweils drei Wochen. In diesen Wochen unterliegen Sie einer Schweigepflicht. Niemand von Ihnen darf ein Wort darüber verlieren, was hier geschieht. Wenn er es doch tut, war‘s das. Nach drei Jahren werden Sie Ihre Ausbildung beenden und in den aktiven Dienst eintreten. Dann ist es an der Zeit, sich für immer von Ihren Familien zu verabschieden.« Der Major sah sie scharf an und Aron fuhr ein Schauer über den Rücken. »Sie können sich nicht mehr umentscheiden.« Arons Herz fing wie wild an zu klopfen. »Sie sind jetzt hier, das wird Ihr Leben sein.«
Panik stieg in Aron auf. Das war nicht fair, das hatte nirgendwo so gestanden! Er war davon ausgegangen, dass man nach der Ausbildung abbrechen, sich dagegen entscheiden konnte. Was sagte der Major da? Bedeutete das nun, dass er nach diesen drei Jahren seine Familie niemals wiedersehen würde? Ängstlich versuchte er, einen Blick auf Griffin zu erhaschen, doch dieser starrte nur stur geradeaus.
Er zeigte keine Angst, natürlich nicht, warum auch. Griffin wollte zu niemandem zurückkehren.
Aron zwang sich, ebenso geradeaus zu sehen. Der Major war schon beinahe fertig.
»Sie werden Disziplin lernen, Sie werden sehr hart arbeiten. Sie werden Schmerzen haben. Aber Sie werden gut sein und Sie werden es wissen. Und dann werden Sie die wertvollste Aufgabe erfüllen, die man erfüllen kann. Leutnant Xung wird Ihre Trainingspläne erstellen. Wenn Sie zurückkehren, finden Sie in Ihren Räumen Ihre Trainingsanzüge. Sparen Sie sich die Mühe, sich mit Kollegen aus anderen Einheiten anzufreunden, Sie werden sie wahrscheinlich ohnehin nie wiedersehen. Und jetzt: Abtreten!«
Wie automatisch grüßten die Männer den Major militärisch und lösten die Reihe auf. Bernhard führte sie zurück zu ihrem Quartier. Als sie die Zimmertür öffneten, sah Aron einen anthrazitfarbenen Trainingsanzug auf seinem Bett liegen. Er konnte die Farbe schon jetzt nicht ausstehen.
Er schlief unruhig in dieser Nacht. Schreckliche Albträume quälten ihn und er schrak mehrmals auf, sein Kopfkissen nass vom Angstschweiß.
Seine Familie. Seine Mutter, sein Vater, die geliebte Schwester und sein Bruder. Er hatte drei Jahre und dann? Erwarteten sie, dass er einfach ging, ihnen Lebewohl sagte und Tiska für immer verließ? Das konnte und wollte er nicht tun. Und er schwor sich, einen Weg zu finden. Es gab immer Mittel und Wege. Immer.
Mit diesen Gedanken versuchte er sich zu beruhigen. Er versuchte zu schlafen und unterdrückte immer wieder die Angst, die sein Herz umklammerte und sich in seine Lungen setzte, so dass er kaum noch atmen konnte.
Jahr 2195: Schweden
Jahr 2195
Niklas: Schweden, Umea
Fünf Jahre, nachdem der Golfstrom zum Erliegen gekommen war, hatte Niklas Lundgren noch so gut wie nichts zur Rettung der Menschheit beigetragen. Mittlerweile gab es Direktor Rüdengard nicht mehr. Er hatte es vorgezogen, in ein wärmeres Gebiet zu ziehen. Er war einfach ausgewandert. Niklas konnte ihm das nicht verübeln. Es wurde zusehends unangenehm kalt. Der Sommer existierte so gut wie nicht mehr, Frühling und Herbst kamen kaum über die Fünf-Grad-Marke und der Schnee blieb liegen.
Noch kamen die nördlichen Länder gut damit zurecht. Lebensmitteltransporte brachten Südfrüchte aus wärmeren Gebieten und jenes Gemüse, das aufgrund der Kälte nicht mehr anzubauen war. Niklas befürchtete jedoch, dass in spätestens fünf Jahren selbst die hartgesottensten Skandinavier ihre Umgebung als zu ungemütlich empfinden würden. Und das war dann erst der Anfang.
Niklas hatte sich eine Gruppe von Wissenschaftlern zusammengestellt, fünf an der Zahl, obwohl drei davon völlig untauglich waren. Es gab keine finanziellen Einschränkungen und trotzdem konnte er nur diejenigen einstellen, die bereit waren, mit ihm in der Kälte Schwedens zu arbeiten, anstatt irgendwo in New Mexico im Warmen zu sitzen. Niklas fragte sich, ob es in New Mexico tatsächlich immer noch so warm war, wie er es sich vorstellte.
Er wusste einfach nicht, wo er anfangen sollte. Und je länger er grübelte, desto öfter kam er zu dem Schluss, dass es vielleicht doch keinen so großen Unterschied machte, ob er nun an einer Lösung – für was auch immer – arbeitete oder nicht. Die erste Euphorie über die Zusammenarbeit der verschiedenen Länder war in den ersten zwei Jahren verklungen. Alles ging seinen Lauf, wie es immer ging. Die Amerikaner zogen ihr Ding durch, die Deutschen ein anderes und der Rest machte sowieso, was er wollte. Niklas hatte nur noch das Geld. Und selbst das konnte er nicht sinnvoll einsetzen. Diese Situation gab ihm auf Dauer ein sehr unbefriedigendes Gefühl, was dazu führte, dass er viel mehr Zeit zu Hause verbrachte als in der Universität.
Er bereute es nicht, oft zu Hause zu sein. Wenn er wissenschaftlich schon nichts erreichte, so konnte er doch sagen, dass wenigstens Nachwuchs dabei herausgekommen war. Die Eiszeit hatte seinem Eheleben neuen Schwung gebracht. Niklas nahm an, dass das durch das unterschwellige Gefühl des nahenden Weltuntergangs kam. Dieses Kribbeln, diese leichte Panik, ob man die nächsten Jahre noch überleben würde. Obwohl bis jetzt nicht mehr Menschen durch Erfrierungen ums Leben gekommen waren, sonst auch. Noch immer starb der Großteil der Menschheit beim Autofahren oder in der Küche.
Schwingungen, dachte Niklas. Schwingungen. Nun da er wusste, wie sich so etwas auswirkte – zumindest auf seine Ehe – hätte er nichts gegen noch ein paar weitere Eiszeitnachrichten gehabt. Kurz nachdem der Golfstrom aufgehört hatte zu fließen und die Massenpanik ausgebrochen war, hatten er und Emelie sich beinahe jeden Tag drei Mal geliebt. Bei fünf Werktagen also fünfzehn Mal in der Woche, das Wochenende gar nicht mitgerechnet.
Niklas hatte dieser Zustand gefallen. Beinahe ständig hatte jeder die fatale Veränderung der ganzen Welt gespürt, die dieses Mal nicht langsam vonstattenging, sondern sehr rasant. Man hatte es wie ein Prickeln auf der Haut wahrgenommen, wie andauernde Gänsehaut. Die Menschheit hatte pulsiert, für ein paar Monate war sie aufgewacht und hatte sich zusammengetan.
Aus diesen befriedigenden ersten Monaten der Eiszeit war ein kleiner Sohn entstanden. Lars Lukas Lundgren. Niklas hatte es eigentlich nicht so mit Alliterationen, doch Emelie bestand darauf. Ihr Vater hieß Lukas.
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