»Wo sind die anderen?«, Griffin deutete auf den leeren Platz hinter ihm, »sind wir die Einzigen?«
Wieder verneinte Bernhard. »Das hier ist nur der Exerzierplatz, kein Aufenthaltsort. Ich soll euch hier abholen und zu den anderen bringen. Also kommt mit!«
Er wandte sich zum Gehen und den beiden Freunden blieb nichts anderes übrig, als ihm hinein in das Dickicht zu folgen. Nach einigen Metern erkannte Aron eine Struktur hinter dem Wildwuchs. Kleine Pfade schlängelten sich hindurch, er konnte ein paar Hütten sehen und sogar weiter entfernt große, rechteckige Bunker aus Stahlbeton. Er fragte sich, was sich darin befinden mochte. Das Gelände schien kein Ende zu nehmen und der Riemen seiner Tragetasche schnitt Aron bereits in die Hand. Er schwitzte und spürte ein paar Schweißperlen seine Wange hinunter laufen. Sein Atem ging heftig. Griffin schien es nicht anders zu ergehen, doch im Gegensatz zu Aron strahlte er deutlich mehr Vorfreude aus.
Sie überquerten ein paar Lichtungen, kamen an kleinen Baracken vorbei und standen schließlich vor einem Gebäude, in das wohl mehrere Familien hätten einziehen können. Es besaß kein Dach, nur ein interessantes Konstrukt aus Rädern und großen runden Schüsseln, die sich durcheinander bewegten oder einfach still standen.
Bernhard deutete darauf: »Der Grund für den das Versteck im Regenwald. Er schützt und wir haben Stromzugang. Durch den Regen und die Feuchtigkeit kann Strom erzeugt werden.«
»Was auf freier Fläche auch ginge, aber da kann es jeder sehen«, kommentierte Aron und betrachtete das äußert komplizierte Gebilde auf dem Dach.
»Richtig«, bestätigte Bernhard seine Gedanken, »und hier ist es besser, wenn man nicht gesehen wird.«
Er öffnete die schwere Tür, die aus Eisen oder einem anderen schweren Metall zu sein schien, und hielt sie für die Neuankömmlinge offen.
»Wahrscheinlich seid ihr daran gewöhnt, dass die Türen sich vor euch öffnen und von alleine wieder schließen. Nun, hier schließen sie sich nur von alleine.« Er zwinkerte.
Sie traten in einen langen Flur, an dessen Ende sich ein winziges Fenster befand. Grelle Leuchtstoffröhren hingen von der Decke und erhellten den braunen Kunststoff des Bodens. Bernhard deutete darauf. »Er soll den Waldboden simulieren, aber irgendwie funktioniert das nicht. Die beiden Türen links und rechts führen zu Trainingsraum und Holodeck. Dahinter kommt der Essens- und Waschraum. Ganz hinten die zwei Türen führen euch in die Schlafräume. Jede Einheit hat ihren Schlafsaal.«
»Wie viele Einheiten gibt es?«, fragte Aron.
»Sechs Stück, glaube ich. Ich bin mir aber nicht sicher, ob noch ein paar Leute dazukommen.«
»Und wie viele Leute sind in einer Einheit?«
Bernhard sah ihn etwas zerknirscht an. »Nur noch fünf. Deshalb wundert euch nicht, dass es doppelt so viele Betten gibt.«
»Warum sind es nur noch fünf?« Griffins Stimme hallte von den Wänden wieder.
»Ihr habt doch sicher von dem Vorfall im Sommer gehört, das Massaker im Norden?«
Die Freunde nickten.
»Man hat daraufhin beschlossen, dass zehn R.P.U.s an einer Stelle wohl zu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, weshalb es jetzt nur noch fünf sind. Und die Ausbildung ist umso härter.«
Aron zog seine Augenbrauen sorgenvoll zusammen, Griffin lächelte.
»Im Schlafraum warten schon die anderen auf euch, da könnt ihr auch eure Sachen ablegen«, fuhr Bernhard fort. Sie folgten ihm bis ans Ende des Ganges und Bernhard hielt ihnen die Tür auf.
»Willkommen in eurem neuen Zuhause.«
Zwei Männer blickten ihnen entgegen, als die drei eintraten. Der eine schien ein wenig älter zu sein, als der andere. Doch beide waren keine Jugendlichen mehr. An ihren Gesichtern konnte Aron erkennen, dass die Entscheidung, die sie alle getroffen hatten, sie reifer machte. Sie alle saßen nun hier und hatten ein Stück von sich zurückgelassen. Einen Teil ihres Lebens, dachte Aron.
Obwohl er nicht sehr groß war, standnen im Raum fünf Hochbetten. Im Gegensatz zu Arons riesigem Bett in Tiska, glichen diese Betten einem schmalen Brett. Und sie sahen auch nicht sehr bequem aus. Zwei große Schränke mit jeweils fünf separaten Spinden standen am Ende des kleinen Mittelganges. An der Decke flimmerte eine Leuchtstoffröhre. Aron nickte, das sah schon viel mehr nach Militär aus.
Einer der Männer sprang von dem oberen Hochbett, auf dem er gesessen hatte. Seine Haut war sehr dunkel, er schien afrikanischer Abstammung zu sein. Er streckte Aron die Hand entgegen. »Hey, ich bin Chibueze. Aber ihr könnt mich Chib nennen.« Aron ergriff seine kräftige Hand.
»Ich bin Aron. Das ist Griff … also Griffin.«
Chib lächelte, seine weißen Zähne blitzten. Er machte einen ruhigen Eindruck und er war ein wenig älter als Aron und Griffin. Zwanzig, vielleicht auch zweiundzwanzig.
Der Mann auf dem anderen Bett nickte ihnen nur kurz zu. »Tobin. Tobin Hobbs.«
»Er ist der Jüngste von uns«, fügte Bernhard hinzu und ließ sich auf sein Bett plumpsen. »Fünfzehn, oder?«
Tobin nickte und Aron konnte seine Überraschung nicht verbergen. »Fünfzehn? Ist das überhaupt erlaubt?«
Der junge Mann antwortete nicht, seine Augen blitzen nur wütend zu ihm hinüber, woraufhin Aron entschied, ihn nicht weiter zu belästigen. Er wollte nicht schon in seinen ersten zehn Minuten hier einen Streit auslösen.
Während sie ihre wenigen Sachen in die Spinde stopften, fragte Griffin etwas schüchtern: »Wie lange seid ihr schon hier? Schon länger als ein paar Stunden?«
Bernhard antwortete für die anderen. »Ich seit heute Morgen, Chib seit … weiß nicht. Vier Stunden? Und Hobbs, naja. Andere Geschichte.«
Aron warf einen Blick zu Tobin hinüber, der auf seinem Hochbett lag und an die Decke starrte. Er schien nicht sehr gesprächig zu sein. Ebenso wie Chib, wohingegen dieser, obwohl älter, einen weniger angsteinflößenden Eindruck machte.
»Und wann sehen wir mal einen Vorgesetzten? Einen General, oder wie man das nennt?« Griffin war offensichtlich mehr als bereit, sein neues Leben in Angriff zu nehmen. Langsam ging Aron diese Euphorie auf die Nerven.
»Unser Ausbilder ist Leutnant Wu, ihn habe ich schon kennenge-lernt.« Bernhard verzog das Gesicht. »Und dann soll es noch einen Major geben, aber den hab ich noch nicht gesehen. Das Gelände ist sehr weitläufig hier. Ich glaube kaum, dass wir die anderen Einheiten außerhalb der Exerzierzeiten zu sehen bekommen.«
»Konntest du dich schon genauer umsehen?«, fragte Aron, der gerne einmal ein paar Runden durch den Dschungel da draußen gedreht hätte, nur um sich ein Bild zu machen. Er wollte hier in Ruhe ankommen und sich nicht wie Griffin sofort in die Ausbildung stürzen.
Bernhard zuckte mit den Schultern. »Es ist ein Regenwald, da kann man sich umschauen, wie man will. Am Ende kennt man sich doch nicht mehr aus. Du hast gefragt, wann wir unsere Vorgesetzten kennenlernen«, fuhr er fort, »in einer halben Stunde werden die Neuankömmlinge auf dem Exerzierplatz begrüßt. Vielleicht sollten wir vorher noch etwas essen.«
Aron war froh, dass Bernhard das sagte, sein Magen knurrte bereits. Griffin schien es ähnlich zu gehen.
Sie saßen nur zu fünft am Tisch und aßen eine Linsensuppe, die sie sich aus großen Töpfen geschöpft hatten. Woher diese Suppe kam, konnte nicht einmal Bernhard beantworten, der noch am besten informiert zu sein schien. Während des Essens schwiegen sie und danach führte Bernhard sie zurück zum Exerzierplatz.
Dort standen bereits ein paar Männer in Reih und Glied. Jeder von ihnen trug Zivilkleidung, doch sie standen kerzengerade in einer Reihe. Die Gruppe schloss sich ihnen an und Aron fühlte das erste Mal, was es bedeutete, dass er nun beim Militär war. Er fühlte sich unwohl. Dass ihm jemand vorschrieb, wie er zu stehen und zu gehen hatte, gefiel ihm einfach nicht. Dabei stand er nur in einer Reihe.
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