Während ich so vor mich hinträumte, wurde meine Hand plötzlich von etwas Feuchtem umschlossen. Erschrocken zucke ich zurück und betrachtete verwundert Bingo, der vor mir saß und mich fordernd anschaute. „Bingo, ich habe dir doch gesagt, dass du draußen auf mich warten sollst. Hunde dürfen hier nicht hinein, hast du denn das Schild nicht gesehen?“
Der Malinois versuchte wieder meine Hand ins Maul zu nehmen und mich vom Stuhl hochzuziehen. „Was soll das, Bingo?“, fragte ich schon leicht ärgerlich. „Die Sache hier wird noch etwas dauern, der Bankmensch muss wohl noch alles überprüfen. Also warte doch draußen auf mich. Ich komme bestimmt bald dran!“
Aber Bingo ließ sich nicht fortschicken, sondern legte sich jetzt flach unter den Stuhl, der direkt neben meinem stand. Wieder sah er mich an und gab ein leises Fiepen von sich. „Du kannst nicht hierbleiben, mein Freund.“ Ein wenig schmeichelte es mir, wie sehr der Hund an mir hing. Auch wenn er den Mädels in der Detektei oftmals den Vorzug gab. Aber bei all den Bestechungen mit Knochen, Leckereien und Streicheleinheiten war das ja auch nicht verwunderlich.
Doch dann erkannte ich den wahren Grund, warum Bingo zu mir gekommen war. Leider war es da auch schon zu spät.
An der Eingangstür polterte es laut, dann fiel ein Schuss. Die Kunden vor der Theke schrien erschrocken auf und eine laute Stimme mit einem mir unbekannten Akzent rief: „Alles hinlegen, sofort. Dies ist ein Überfall.“
Wieder fiel ein Schuss. Das hörte sich nach einer neun Millimeter CZ Pistole an, einem tschechischen Produkt der Ceská zbrojovka an. Bingo zog sich noch etwas weiter unter den Stuhl zurück. Ich wurde von dem Prospektständer halb verdeckt, doch es war lediglich eine Frage der Zeit, bis der oder die Gangster mich entdecken würden. Lautlos ließ ich mich zu Boden gleiten und kroch hinter den letzten Stuhl, so dass ich eine gute Sicht auf das Geschehen in der Bank hatte.
Zwei mit Sturmhauben maskierte und bewaffnete Männer hielten die Angestellten und die Kunden in Schach. Ein dritter verriegelte gerade die Eingangstüre und spähte angestrengt nach draußen. Alle drei Männer trugen lange, schwarze Mäntel unter denen sie wohl ihre Waffen verborgen hatte. Ich konnte neben der Pistole, die ich am Klang schon erkannt hatte, eine Maschinenpistole und eine abgesägte Schrotflinte ausmachen.
„Verhalte dich ruhig“, wisperte ich Bingo zu, doch das brauchte ich ihm wohl nicht extra zu sagen. Der Hund lag mucksmäuschenstill und ohne eine Bewegung unter dem Stuhl. Lediglich seine wachen Augen ließen die drei Männer nicht aus dem Blick.
Innerlich fluchte ich, dass meine Pistole bei Bernd im Waffensafe lag und nicht hier in meinem Schulterholster. Sicher, dies war mein Urlaub und wer rechnet schon mit einem Banküberfall in einem Ferienort, auch wenn die Sparkasse einsam neben einem Baugrundstück liegt. Doch mit der Waffe hätte ich die Situation jetzt leicht bereinigen können. Ohne irgendwelchen Kollateralschaden.
Oder zumindest nur mit geringem.
Der Mann an der Türe beobachtete immer noch die Straße, während der mit der Schrotflinte sich in den Bereich zu den beiden Angestellten begab. Die zwei Mitarbeiter konnte ich nicht sehen, da sie hinter der Theke auf dem Boden lagen.
„Du, aufstehen“, befahl der Gangster und Sekunden später erhob sich der schwitzende Dicke, der mich vorhin bedient hatte mit hochrotem Kopf. „Safe öffnen, sofort.“
Der Mann im weißen Hemd, das jetzt komplett durchgeschwitzt war, hielt die Hände neben dem Kopf in die Höhe. „Das kann ich nicht. Nicht sofort. Wir haben ein Zeitschloss, zum Öffnen brauche ich etwas Zeit.“
„Ich sagte öffnen, sofort!“ Der Gangster hielt dem Angestellten die Schrotflinte an den Kopf. „Oder ich schieße, dann öffnet dein Kollege bestimmt.“ Er stieß den Mann mit der Flinte an und scheuchte ihn zu dem Safe. „Los, öffnen!“
In diesem Moment fluchte der Mann an der Tür laut und rief seinen Kollegen etwas auf Russisch, Polnisch oder in einer ähnlichen Sprache, zu. Den Grund erkannte ich sofort, als das blaue Blinken der Lichter eines Polizeiwagens in den Raum fiel.
„Verdammt, wer hat Polizei alarmiert?“, rief der Gangster mit der Schrotflinte und stieß dem Dicken den Lauf in den Bauch. Der sackte sofort keuchend in die Knie und verschwand aus meinem Blickfeld. Doch ich erkannte, wie der Lauf der Schrotflinte sich nach unten senkte und ich hielt den Atem an. Würde es jetzt in dem Drama hier den ersten Toten geben?
Der Gangster riss sich allerdings offensichtlich zusammen, war aber jetzt sehr nervös. Ich hoffte, dass der Mann nicht durchdrehen und die Sache hier in einem Blutbad enden würde.
„Niemand“, hörte ich den dicken Glatzkopf jämmerlich sagen. „Von uns hat niemand die Polizei verständigt. Die Filiale wird wegen der Baustelle nebenan mit Kameras von einem Sicherheitsdienst überwacht. Die Leute dort werden die Polizei informiert haben.“
„Los, mach auf Safe, sofort!“, brüllte der Schrotflintenmann erneut und der Dicke kam zitternd und mit Tränen in den Augen wieder hoch.
Mit weinerlicher Stimme sagte er: „Ich kann den Safe nicht mehr öffnen, wenn der Alarm ausgelöst wurde. Das ist jetzt nicht mehr möglich!“
Der Gangster hob die Schrotflinte und schlug dem Angestellten mit dem Flintenschaft ins Gesicht. Wie ein gefällter Baum ging der Dicke zu Boden.
Draußen vor der Filiale ertönte eine Stimme, die durch ein Megaphon verstärkt wurde. Das übliche Vorgehen der Polizei, um mit Bankräubern und Geiselnehmern zu verhandeln. Der Polizist wies darauf hin, dass sie telefonisch mit den Gangstern in Kontakt treten wollten. Im gleichen Moment klingelte auch schon eines der Telefone im Angestelltenbereich. Der Mann mit der Schrotflinte blickte die beiden anderen an und sagte etwas in der fremden Sprache. Nachdem der Mann mit der Pistole ihm geantwortet hatte, hob er den Hörer vom Telefon ab.
„Da?“, meldete er sich und lauschte angestrengt. Dann sprach er wieder seinen Kumpel mit der Pistole an, der sich jetzt zum Telefon begab. Zurück blieb der Gangster an der Tür, der nun die Kunden mit seiner Maschinenpistole in Schach hielt.
Das Telefongespräch zog sich eine ganze Weile hin, doch leider konnte ich nur verstehen, was der Bankräuber sagte. Seine Forderung beinhaltete das Übliche, so wie man es aus diversen Filmen kannte. Er verlangte zwei Millionen Euro und einen Hubschrauber für die Flucht. Wie ich den Worten entnehmen konnte, sollte im Gegenzug zunächst eine der Geiseln freigelassen werden. Der Mann mit der CZ Pistole schien damit einverstanden zu sein und wies den Gangster mit der Schrotflinte an, den Angestellten, dem der offensichtlich die Nase gebrochen hatte, vor die Tür zu schicken. Der legte die Flinte beiseite und half dem Dicken, der noch ziemlich benommen schien, zur Tür. Nachdem der Gangster mit der MP einen Flügel vorsichtig geöffnet hatte, wurde der Filialmitarbeiter ins Freie gestoßen. Er stolperte einige Schritte auf die Straße zu, strauchelte und fiel zu Boden. Sofort waren zwei Sanitäter bei ihm. Leider konnte ich die Vorgänge draußen aus meiner Perspektive nur mehr erahnen, als wirklich sehen, doch inzwischen mussten sich zu dem einen Polizeiwagen noch mehrere Fahrzeuge gesellt haben. Das ließ sich an den vielen Blinklichtern erkennen.
Inzwischen beratschlagten sich die drei Bankräuber und schließlich durchsuchte der mit der Schrotflinte die Kunden nach Schmuck und Bargeld. Ich hörte meine Vermieterin kurz aufheulen, als der Mann ihr die Geldbörse mit dem vielen Bargeld abnahm. Hoffentlich riss die Frau sich zusammen und machte jetzt keinen Fehler! Es könnte ihr letzter sein. Doch Rieke de Düün verhielt sich still. Sie würde über den Verlust des Geldes hinwegkommen.
Ich lotete derweil meine Möglichkeiten aus, die aber leider äußerst beschränkt waren. Die Erfolgschance gegen diese drei schwerbewaffneten Gangster lag nahezu bei null und mein Eingreifen würde vermutlich lediglich zu einem Blutbad führen.
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