Er vollführt einen weiteren Schritt in die Kirche hinein. Jetzt trifft ihn das helle Licht und Pfarrer Francesco kann seinen ungebetenen Besucher endlich richtig sehen.
Aber der Geistliche wünscht sich nichts sehnlicher, als das er das nicht könnte, dass er jetzt nicht erkennt, WER ihn da heimsucht. Mit zitternden Lippen betet Francesco das Vater Unser und wünscht sich blind zu sein.
»Guten Abend, Pater«, sagt der Fremde und zieht den Hut von seinem Kopf.
Darunter kommen blonde, feine Haare zum Vorschein, die seinen schmalen Kopf wie eine Gardine umgeben. Sie fallen ihm über die glutroten Augen und verbergen sie beinahe. Dennoch erkennt der Pfarrer, durch die blonden Strähnen hindurch, das Feuer.
Er blickt rasch zu Boden, kneift die Lider fest zusammen, um nur nicht in diese grausamen und alles verschlingenden Augen sehen zu müssen.
»Wisst Ihr wer ich bin?« fragt der Eindringling. Francesco hört, wie er langsam auf ihn zukommt, doch er ist unfähig, sich zu bewegen, geschweige denn wegzurennen, oder etwas zu erwidern.
Kurz ist es still in der kleinen Kirche, Francesco ist schon versucht, seine Augen zu öffnen, um nachzusehen, ob der Dämon verschwunden ist.
Vielleicht war das ja alles nur ein böser Traum, überlegt der Pfarrer, möglich, dass ich in den letzten Tagen einfach dem Whisky zu sehr vertraut habe. Genau in der Sekunde, als der Geistliche schon seine Lider einen Spalt breit öffnen will, ertönt erneut das seltsame Klirren, wie von Sporen, unmittelbar vor ihm.
Rasch kneift er die Augen noch fester zusammen.
Bedauernd schnalzt der Fremde dreimal mit der Zunge.
»Was sind denn das für Sitten?«, fragt er leise, seine Stimme bohrt sich regelrecht in Francescos Ohren. Lässt ihn den Kopf noch weiter zwischen die Schulter ziehen. Er wünscht sich, der Boden würde sich unter ihm auftun, um ihn zu verschlingen.
»Heißt es nicht, die Kirche steht jedem offen?« Die Worte dringen in den Pfarrer ein, er ist jedoch nicht fähig, darauf zu antworten.
Francesco fühlt, wie sich eine Hand auf seine linke Schulter legt, er stößt ein erschrecktes Keuchen aus.
»Wieso also schließt Ihr dieses Gotteshaus ab?«
Die Hand presst die Schulterknochen zusammen.
»Was fürchtet Ihr so sehr, dass Ihr Eure Kirche verschließt?«
Der Druck auf Francescos Schulter wird unerträglich, der Daumen des unheimlichen Kerls, drückt gegen das Schlüsselbein. Der Pfarrer stöhnt laut auf, er erwartet jeden Moment, dass seine Schulter wie ein trockener Ast einfach bricht. Ich darf nicht schreien, ermahnt sich Francesco selbst, ich darf nicht zeigen, dass er mir Schmerzen zufügt, das darf ich nicht. Ich nähre nicht seine Gier nach Leid.
»Oder sollte ich besser sagen: WEN fürchtet Ihr?«
Es erschallt ein hohles Knacken.
Auch wenn Francesco sich noch so sehr vorgenommen hat, nicht zu schreien, dieser Schmerz ist mit nichts zu vergleichen. Der Pfarrer reißt die Augen auf, lässt sich fallen und brüllt seinen Schmerz, seine Qualen hinaus. Als er auf dem harten Steinboden landet, durchzuckt ihn eine erneute Schmerzenswelle. Er greift mit der Hand an seine Schulter, der Schmerz rast durch seinen Körper, konzentriert sich in der linken Schulter und scheint dort, wie eine Bombe, einfach zu explodieren. Das Echo von Francescos erstem Schrei ist noch nicht ganz verklungen, als er bereits weitere Schmerzenslaute ausstößt. Sie prallen von den Wänden ab, kommen vervielfältigt zu ihnen zurück, um sofort wieder auf die Reise geschickt zu werden.
Es dauert ein paar Minuten, bis Francesco sich etwas beruhigt hat. Er hat gehofft, durch die Qualen ohnmächtig zu werden, um sich so weiteres Leid zu ersparen, aber dieser Gefallen wurde ihm nicht gewährt.
Die linke Schulter fest umklammert, öffnet der Pfarrer langsam die Augen.
Der Fremde steht über ihn gebeugt, die blonden Haare hängen wild um seinen Kopf, um den Mund spielt ein spöttisches Lächeln, mit glutroten Augen blickt er den Pfarrer an.
»Wer … sind … Sie?« Francescos Stimme ist rau und heiser vom Schreien.
»Ich heiße Gerome«, antwortet der Mann und beugt sich noch etwas tiefer. Seine blonden Haare berühren beinahe Francescos schweißnasses Gesicht. Die feurigen Augen bohren sich in den Blick des Geistlichen.
»Was ich bin, brauche ich Euch wohl nicht zu erklären.«
Gerome packt den Pfarrer mit einer Hand am Hals, zieht ihn langsam hoch. Francesco lässt seine schmerzende Schulter los, legt sie auf das Handgelenk und will so den Griff um seinen Hals ein wenig lockern. Aber der Fremde stellt den Pfarrer lediglich auf die Füße, bevor er ihn loslässt. Laut keuchend taumelt Francesco einige Schritte zurück, fasst sich zuerst an den Hals, dann an seine schmerzende Schulter. Sein linker Arm hängt wie leblos an ihm herab, er kann ihn nicht mehr bewegen und spürt ihn auch nicht mehr.
Gerome beobachtet den Geistlichen genau, beim geringsten Anzeichen einer Flucht, wird er erneut zupacken. Das wird jedoch das Letzte sein, das der Pfarrer spüren wird.
Soweit möchte es der Fremde nicht kommen lassen, zuerst benötigt er noch einige Informationen von dem Pfaffen, was dann mit ihm geschieht, wird sich zeigen.
»Was wollen Sie von mir?«
Panisch hält Francesco Ausschau nach einem Fluchtweg, obwohl er ahnt, dass ein Entkommen nicht möglich ist. Er kann sich ausmalen, dass er diesen Abend nicht gemütlich bei etlichen Gläsern Whisky beschließt, eher wird gleich sein Blut über den heiligen Boden spritzen. Mit viel Glück wird es rasch zu Ende sein. Daran glaubt Francesco, darauf hofft er. Ist sein Glaube doch das Einzige, das ihn im Moment noch aufrecht hält.
»Ich benötige einige Informationen von Euch.« Die Stimme des Fremden ist leise und beinahe freundlich.
Francesco runzelt fragend die Brauen.
»I-I-Informat-t-tionen?«, stottert er. »Was könnte ich schon wissen? Ich bin nur Pfarrer einer kleinen Gemeinde, ich weiß gar …«
»Schweig!« Unterbricht ihn Gerome mit donnernder Stimme, die sich in der Kirche sofort in ein dröhnendes Echo verwandelt. Augenblicklich presst Francesco die Lippen zusammen, zieht ängstlich den Kopf zwischen die Schultern, ignoriert dabei den grausamen Schmerz.
Gerome schließt für einen kurzen Moment die Lider, fährt sich mit beiden Händen durch die blonde Mähne, bevor er die glühenden Augen erneut auf Francesco richtet.
»Ich bin auf der Suche nach einem Abtrünnigen«, meint er mit leiser Stimme und so geduldig, als erklärt er einem Kind den Weg der Welt.
»Einem Verräter unter den Meinigen. Du verstehst?« Bedeutungsvoll sieht Gerome den Geistlichen an.
Der begreift nicht sofort, aber nach ein paar Sekunden nickt Francesco eifrig mit dem Kopf.
»E-Einem Verräter unter den … den Sensenmännern.«
»Ja, genau.« Gerome verzieht den schmalen Mund zu einem Lächeln. Das gibt seinem harten Gesicht etwas Weiches und lässt es bedeutend freundlicher erscheinen. Für den Bruchteil von einer Sekunde verändern sich seine Augen. Sie wechseln von diesem glühenden Rot zu einem schönen Dunkelblau. Es geht so rasch vor sich, dass sich Francesco nicht sicher ist, ob das gerade eine Einbildung war.
»Ihr habt es erfasst, Pater.« Seine Stimme klingt erfreut.
»Warum sollte ich etwas über einen Verräter wissen?«
Der Pfarrer versucht Zeit zu schinden, er ahnt, dass der Fremde niemand anderen als Samuel meint, dennoch befürchtet er, dass der Sensenmann kurzen Prozess mit ihm macht, sobald er die gewünschten Informationen von ihm erhält.
Gerome verschränkt die Arme vor seinem schmalen Körper, erneut hört Francesco dieses leise Geräusch, das er anfangs für das Klirren von Sporen gehalten hat. Jetzt erkennt er den wahren Ursprung des Tones.
Um Geromes Handgelenk, das so schmal ist, das es wie eine Skeletthand wirkt, hängt locker eine silberne Kette. Deren dicke Glieder und die vielen Anhänger, schlagen leise klirrend gegeneinander.
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