1 ...7 8 9 11 12 13 ...16 Mit einem Mal spürt er etwas zwischen den Fingern, kalter Stahl. Liam weiß, was das ist. Er schließt seine Hand um den Griff, zieht sie langsam unter dem Tresen hervor.
»Wage es ja nicht…«, meint Samuel, noch bevor Liam sein Vorhaben zu Ende gedacht hat.
Blitzschnell nimmt der Vampir die Hand von seinen Augen, wirft das Messer von der rechten in die linke Hand und stößt es Samuel tief in die Halsseite.
Der Tod ist so überrascht, dass er den Vampir tatsächlich loslässt. Der bückt sich rasch, springt zur Seite und taucht in der nächsten Sekunde mit einer Pump-Gun wieder auf.
Liam lädt das Gewehr durch, es hört sich, in dem kleinen Geschäft, bedrohlich laut an.
Samuel beachtet ihn überhaupt nicht, er packt den Griff des Messers, es entsteht ein reißendes und fast knarrendes Geräusch, als er die Waffe aus der enormen Wunde herauszerrt.
Angewidert verzieht Liam sein Gesicht. Es fließt kein Blut und die Wunde verschließt sich in Sekundenschnelle.
Samuel besieht sich kurz die Waffe, es ist ein kleines Bowiemesser, mit einer zwanzig Zentimeter langen Klinge und frisch geschliffen.
Der Tod wirft es in die Luft, fängt das Messer geschickt an seiner Spitze wieder auf und schleudert es in Liams Richtung. Wenn er ein Mensch wäre, so hätte er in der nächsten Sekunde blutend und wahrscheinlich sterbend auf dem Boden gelegen, aber so vollführt der Vampir lediglich einen kurzen Ausfallschritt und das Messer bohrt sich hinter ihm in den Schrank. Erneut klirren die Gläser hilflos gegeneinander.
»Verschwinde von hier, Totengräber.« Liam gibt sich alle Mühe seiner Stimme einen Befehlston zu verleihen, aber so ganz will ihm das nicht gelingen. Zu tief steckt in ihm die Furcht, vor diesem Jäger der Anderswesen .
Ohne den Vampir aus den Augen zu lassen, zieht sich Samuel die Lederjacke aus, lässt sie achtlos hinter sich fallen. Liam ahnt, was als nächstes folgt.
Er drückt ab. Die Waffe vibriert, der Knall ist unerträglich laut und der Rückstoß reißt ihm das Gewehr beinahe aus den Händen. Samuel wird herumgerissen, aber eine Lidschlaglänge später, steht er bereits wieder dem Vampir gegenüber. Sein Hemd ist an der linken Schulter versengt und hängt in Fetzen herunter, sein Fleisch wird darunter sichtbar.
Verkohlt wie ein Schweinebraten, der zu lange im Backofen verbrachte, doch immer noch kein Blut. Samuel wirft einen Blick auf die Wunde, dann sieht er Liam böse an.
»Das war nicht nötig«, knurrt er.
Rasch lädt Liam die Pump erneut durch.
»Ich sagte: verschwinde von hier«, ruft er. »Das nächste Mal treffe ich deinen Kopf, Totengräber. Dann fährst du in die Hölle zurück, wo du hingehörst.«
Betont langsam knöpft sich Samuel das Hemd auf. Er fixiert den Vampir und sagt:
»Und ich sah ein fahles Pferd. Und der darauf saß, dessen Name war Tod und die Hölle folgte ihm nach. Und ihm ward die Macht gegeben zu töten.«
Liam packt das Gewehr fester, lehnt es sich gegen die Wange. Er fühlt den kalten und tödlichen Stahl, das gibt ihm Kraft.
»Deine Bibelsprüche werden dir nichts nützen«, meint er laut. Dann erinnert er sich selbst an einen der Verse aus dem neuen Testament.
Er kneift ein Auge zu, zielt auf Samuels Kopf und sagt.
»Der Tod und die Unterwelt gaben ihre Toten heraus. Doch sie wurden gerichtet, jeder nach seinen Werken. Sie fanden ihr Ende im Feuersee.«
Samuel duckt sich rasch. Keine Sekunde zu spät, die Schrotkugeln zischen knapp über ihn hinweg. Aus seiner geduckten Haltung springt er den Vampir an, packt den Lauf der Pump und Liams Schulter. Samuel rammt den Blutsauger förmlich in den Gläserschrank hinein.
Liam gibt ein erschrecktes Keuchen von sich.
»Du bist ein Anderswesen«; schreit Samuel ihn an. »Du wagst es und nimmst Gottes geheiligte Worte in dein abstoßendes Maul? Dafür wirst du bezahlen.«
Samuel reißt den Mund auf, stößt einen heiseren Schrei aus. Aus seiner Kehle quillt Rauch, selbst aus seinen Nasenlöchern und den Ohren beginnt es zu qualmen. Liam kann die Hitze, die von dem Tod ausgeht, spüren, er versucht verzweifelt sich aus der stählernen Umklammerung zu befreien. Feuer ist das Einzige, das einen Vampir vom Diesseits ins Jenseits befördern kann.
Ein Feuerstrahl schießt aus Samuels geöffneten Mund, legt sich wie eine Decke über ihn, hüllt ihn ein. Liam gibt seine Befreiungsversuche auf und starrt fasziniert auf das Schauspiel vor ihm. Die Feuerdecke verbrennt Samuels Hemd, legt sich wie glühende Lava auf seinen nun nackten Oberkörper. Frisst sich durch die Haut, verbrennt und verzehrt alles, bis nur noch die blanken Knochen zu erkennen sind. Dann erlischt das Feuer von selbst.
Was zurückbleibt ist ein skelettierter Oberkörper und ein Knochenschädel, von dem noch Rauch aufsteigt. Der Geruch nach verbranntem Fleisch und Haaren hängt satt in der Luft, wie bei einem Barbecue, bei dem niemand auf die Steaks achtet.
Aus den schwarzen Augenhöhlen glühen zwei feurige, rote Klumpen, Kohlenstücken gleich. Sie funkeln Liam wütend an.
»Sieh in meine Augen und fahr zur Hölle, Blutsauger.«
Samuels Stimme vervielfältigt sich in Liams Kopf, beinahe so, als habe der Vampir ein Echo in seinem Schädel.
Auch wenn er sich noch so sehr dagegen wehrt, er schafft es einfach nicht, die Augen geschlossen zu halten. Wie in Zeitlupe öffnet er sie, dreht den Kopf noch vorne und sieht in die Augen des Todes.
»Nein …«, haucht er tonlos und ist doch nicht mehr Herr seiner Gedanken und Gefühle.
»Bitte …«
In diesem Moment geht mit Schwung die Eingangstüre auf. Das Glöckchen bimmelt heftig und noch bevor die Türe wieder ins Schloss zurückfallen kann, ruft jemand laut:
»Was zum Teufel ist denn hier los?«
Mit einem wütenden Brüllen, lässt Samuel sein Opfer los und dreht sich um.
Liams Beine geben nach, er rutscht langsam an den Schränken entlang zu Boden, wo er mit geschlossenen Augen sitzen bleibt.
Vor dem Tod steht ein Mädchen, lange schwarze Haare, die zu einem Zopf zusammengebunden sind, sie ist klein und von schmaler Statur, aber die Wut, die in diesem Moment von ihr ausgeht, lässt sie viel größer erscheinen, als sie ist. Sie hebt den Arm, zeigt mit ihren schmalen Fingern auf Samuel und brüllt mit einer solch lauten Stimme, die man ihr gar nicht zutraut:
»DU! … Raus hier!«
Innerhalb von Sekunden verwandelt sich Samuel. Es ist so, als gebe das alles zerfressende Feuer ihm sein Fleisch, seine Haare und die Haut zurück. Nur sein Hemd bleibt verschwunden, das kann das Feuer ihm nicht mehr wiedergeben.
Alice atmet erschrocken ein, aber sie versucht sich diese kurze Schwäche nicht anmerken zu lassen.
Auch Samuel ist über ihr Auftauchen erschrocken, er runzelt für eine Sekunde nachdenklich die Stirn, dann bückt er sich, hebt seine Lederjacke auf und streift sie sich über. Als er Alice wieder ansieht, lächelt er schief.
»Verzeiht mir, Eure Hoheit. Ich vermutete Gefahr.« Mit dem Daumen zeigt er hinter sich, in die ungefähre Richtung, wo Liam noch immer stumm und wie tot gegen die Schränke gelehnt auf dem Boden sitzt. »Ausgehend von diesem Tier.«
Alice schüttelt den Kopf. Ihr ist so, als stehe sie neben sich und beobachtet eine völlig überzogene Theaterszene. Noch einmal schüttelt sie mit dem Kopf, um wieder klarer denken zu können.
Sie blickt Samuel direkt ins Gesicht.
Was für angenehme Augen er doch hat, denkt sie, selten habe ich jemanden getroffen, dessen Augen so wunderschön sind.
Dieses Blau, wie ein Gebirgsbach so rein, wie die See so tief und dunkler als ein nächtlicher, sternenübersäter Himmel.
Dann setzt sich Samuel die Sonnenbrille auf und der Augenkontakt reißt ab. Alice fühlt sich, als werde sie zurück in ihren Körper katapultiert, als fliege ihr Geist zu ihr zurück. Sie kann sich an die vergangenen Sekunden kaum noch erinnern.
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