„Nein, nein, wir möchten mit ihm nur einen Sachverhalt abklären“, beeilte sich Franziska zu versichern.
Sie saßen am oberen Ende des großen Esstisches. Gleich daneben führte eine Tür auf die Dachterrasse, die jedoch, still und grau und ohne Blumenschmuck, wenig Beachtung fand.
„Ach so.“ Die Mutter schien beruhigt.
„Sagen Sie, können wir Ihren Sohn irgendwie erreichen?“, wollte Hannes wissen.
„Ja, also, ich weiß auch nicht. Er ist ja bei diesem Seminar, aber anrufen kann man ihn dort nicht, hat er gesagt.“
„Wo findet das Seminar denn statt?“ Hannes blickte Mutter Beinhuber freundlich interessiert an.
„Also, das hat er nicht gesagt, nur dass er Ende der Woche wiederkommt.“ Franziska gab sich zufrieden. „Sagen Sie, Frau Beinhuber, was macht der Christian eigentlich beruflich?“
„Ja, also, der Christian, der hat eine Gabe. Er kann Menschen heilen, indem er ihnen die Hand auflegt.“ Frau Beinhubers Gesicht erstrahlte, als sie das sagte.
„Ein Geistheiler?“, hakte Hannes nach.
„Ja, ein Geistheiler!“, rief sie lebhaft aus.
„Äh“, Franziska stutzte.
„Was bitte ist ein Geistheiler?“
„Geistheiler nennt man diejenigen, die mithilfe esoterischer, religiöser oder magischer Behandlungsmethoden heilen“, erklärte Hannes beflissen.
Also Spinner, dachte Franziska, hielt aber den Mund und nickte stattdessen verständnisvoll.
„Wissen Sie, als der Christian klein war, da hatte er schon diese besonderen Hände“, fuhr Mutter Beinhuber aufgeregt fort. „Ich sagte dann immer zu ihm: „Christian, gib mir deine Hand, das tut mir so gut!“
„Und davon kann man leben?“ Franziska war skeptisch.
„Ja. Naja, er lebt ja noch bei mir, aber er hat Pläne, und er sagt oft: „Wenn das klappt, dann werde ich reich.“
Nachdenklich nickte Franziska vor sich hin. Was ihr nicht klar werden wollte, war, wie ein Mann mit heilenden Händen in dem alten Haus an der Donau Geld verdienen wollte. Aber vielleicht hatte er ja auch ganz andere Pläne, und an dem Gerücht von den vier zerstrittenen Brüdern, das Hannes aufgetischt bekommen hatte, war gar nichts dran.
„Das Haus gehörte der Schwester Ihres Mannes, Ihrer Schwägerin Emmi, die vor drei Jahren gestorben ist?“, fragte Hannes gerade in ihre Überlegung hinein.
„Ja, das stimmt. Es kam fast ein bisschen plötzlich für uns. Wobei sie wohl schon länger Bescheid wusste, uns aber nichts gesagt hat. Sie wollte uns nicht beunruhigen. Sie dachte bis zuletzt, dass sie wieder gesund wird. Christian hat sie damals sehr oft besucht, aber er konnte ihr leider auch nicht helfen.“
„Trotz Christians Besuchen und seinem offensichtlichen Interesse an der Immobilie hat sie es aber an alle Neffen vererbt“, stellte Hannes klar.
Ein Schatten legte sich auf das Gesicht der Mutter, und zum ersten Mal konnte man ihr wahres Alter erahnen. „Ach, dieses leidige Thema. Ich kann es schon nicht mehr hören. Glauben Sie mir, ich mochte meine Schwägerin sehr, aber ihre Hoffnung, dass sie durch diese Entscheidung die Brüder enger zusammenschweißen könnte, kann ich einfach nicht nachvollziehen. Wenn es nach mir ginge, würde Christian das Haus bekommen, und es wäre wieder Ruhe in der Familie. Aber nach dem Tod meines Mannes gehörte das Haus Emmi, und sie konnte damit machen, was sie wollte. Vielleicht hat sie es ja sogar gut gemeint. Aber wie sagt man so schön: Gut gemeint, ist nicht gut gemacht!“
„Die drei anderen sind dagegen, dass Christian das Haus übernimmt?“, ließ sich Hannes die Erzählung der Kollegin Hoffmann bestätigen.
„Ja, das stimmt. Das heißt, sie würden ihm ihre Anteile verkaufen, aber der Christian hat ja kein Geld.“
„Und warum will der Christian unbedingt dieses Haus haben? Hat das etwas mit seiner Geschäftsidee zu tun?“
Mit jedem weiteren Vordringen in die Familie fürchtete die Kommissarin, Frau Beinhuber werde sie jetzt gleich fragen, warum sie das alles wissen wolle.
„Na ja.“ Mutter Beinhuber lächelte, und Franziska meinte, einen Hauch von Stolz in den Augen aufglimmen zu sehen. „In dem alten Haus gibt es eine Stelle mit besonders positiver Energie. Genau dort will er seinen Behandlungsplatz einrichten. Zusammen mit seiner Gabe wäre das für seine Klienten wie ein Jungbrunnen.“
„Positive Energie auf einer Stelle gebündelt?“, fragte Franziska ungläubig nach.
„Ja. Glauben Sie mir, die Kraft ist so stark, dass sich sogar eine Bodenfliese gelöst hat. Direkt vor dem alten Verkaufstresen.“
Vor dem Tresen … Franziska überlegte. Sie hatte die lockere Fliese gesehen, bevor das Wasser kam und sie von den Füßen riss. Sie hatte sie aus Versehen sogar fotografiert, als sie umgefallen war. Mona hatte sie noch damit aufgezogen. Vielleicht …
Mama Beinhuber riss sie energisch aus ihren Spekulationen. „Jetzt sagen Sie schon, was mit dem Christian passiert ist.“
„Wie kommen Sie darauf, dass ihm etwas passiert sein könnte?“, wich Franziska aus.
„Weil ich mir sicher bin, dass Sie nicht ohne Grund nach all dem fragen.“
Franziska fühlte sich ertappt. Sie hatte tatsächlich gehofft, mit ihrer Geschichte durchzukommen. „Solange wir Ihren Sohn nicht gesprochen haben, darf ich Ihnen leider keine Auskunft über unsere Ermittlungen geben“, erklärte sie und hoffte, dass diese Auskunft Frau Beinhuber beruhigen würde.
„Hast du das gehört?“, erklärte Franziska feierlich, nachdem sie wieder im Auto saßen. „Ich stand auf einem Punkt mit besonderer positiver Energie, als ich umgerissen wurde.“
„Was beweisen würde?“, erkundigte sich Hannes skeptisch.
„Dass ich außerordentliches Glück hatte, nicht auf einem Punkt mit negativer Energie gelandet zu sein“, feixte Franziska mit einem schiefen Lächeln und griff nach ihrem Handy.
Irgendwann am gestrigen Abend, nachdem Hannes gegangen war und der Rotwein sie endlich an etwas anderes als ihr Beinahe-Ertrinken denken ließ, hatte sie Walter eine SMS geschickt, in der sie ihm, wohl etwas umständlich, von ihrem schlimmen Erlebnis erzählt hatte. Keine zwei Minuten später hatte das Handy geklingelt. Besorgt hatte Walter gefragt, wie so etwas denn passieren könne und ob es ihr auch wirklich gut gehe. Am liebsten wäre sie in ihr Handy hineingekrochen, so gut tat ihr seine Stimme und seine Besorgnis, die nur noch von der Ankündigung „Ich komme sofort zu dir“ hätte getoppt werden können. Was natürlich nicht ging, wie er ihr versicherte, und auch, dass er voller Sehnsucht darauf warte, dass sie den Fall abschloss, um endlich zu ihm nach Palermo zu kommen. „Ich vermisse dich sooo!“, hatte er ihr gestanden.
Selbst jetzt, allein bei der Erinnerung daran, wurde ihr ganz warm ums Herz, und ihr Körper begann vor Sehnsucht zu kribbeln. So einen Satz hatte sie von Walter noch nie gehört. Wehmütig schloss Franziska die Augen, doch kaum begann sie vor sich hin zu träumen, da holte Hannes sie auch schon wieder ins unfreundliche Passauer Regenwetter zurück.
„Ich frage mich, wie oft die drei Brüder überhaupt in dem Haus waren, und ob sie wussten, in welchem Zustand es war.“ Hannes sah sie so eindringlich an, als könnte er ihre Gedanken lesen, blieb aber bei der Sache. „Ich hab mich übrigens bei der Feuerwehr erkundigt, wer die Hochwasservorkehrungen bei der Beinhuber-Immobilie getroffen hat“, erklärte er. „Die Sandsäcke hat auf jeden Fall die Feuerwehr vor die Tür geschichtet. Das machen die, sobald die Warnung des Wasserwirtschaftsamts kommt. In der Regel helfen die Anwohner natürlich mit, ist ja in ihrem Interesse, dass ihre Häuser möglichst gut geschützt werden. Von den Beinhubers war allerdings keine Rede.“
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