1 ...8 9 10 12 13 14 ...21 „Brauchst du nicht.“ Hannes ließ die Hände der Kollegin los und setzte sich an seinen Schreibtisch. „Sie wohnt nur drei Häuser neben unserem Leichenhaus. Und sie weiß alles über die Nachbarn.“
„Hast du ihr von der Leiche im Laden erzählt, oder hat sie es von der Straße mitbekommen?“ Franziska sah ihn skeptisch an.
„Wofür hältst du mich? Ich plaudere nicht. Aber es scheint sich tatsächlich noch nicht herumgesprochen zu haben. Zumindest wusste sie nichts davon.“
„Sehr gut“, lobte Franziska diesen Umstand, doch Hannes fuhr lächelnd mit seinem Bericht fort.
„Ich habe mich einfach sehr interessiert gezeigt und ihr ein bisschen zugehört. Menschen in ihrer besonderen Situation brauchen ein bisschen Aufmerksamkeit.“ Hannes grinste noch breiter und fügte dann schmunzelnd hinzu: „Ich könnte natürlich darüber berichten, dass es ihr schon jetzt davor graust, den ganzen Schlamm wieder aus dem Keller herauszuschaufeln, aber das hat ja nicht unbedingt mit unserem Fall zu tun.“
„Nein“, antwortete Franziska abwesend, weil sie gerade die verschiedenen Möglichkeiten durchging, wie dieses erbschaftliche Besitzverhältnis zum Leichenfund passen würde.
„Ach ja, eines ist vielleicht noch interessant“, unterbrach Hannes ihre Überlegung. „Sie meinte, mit dem Lehrer sei sie mal zusammen gewesen. Der sei ein Riesenarschloch. Na ja, muss ja nichts heißen. Alle Männer, mit denen eine Frau mal zusammen war, sind im Nachhinein Arschlöcher.“
„Hat sie vielleicht auch etwas erzählt, was uns wirklich helfen kann?“ Die Kommissarin war aufgestanden und lief im Zimmer auf und ab. Sie war jetzt vollends in ihrem Element.
Hannes zuckte mit den Schultern. „Nein. Aber ich weiß, wie der Anwalt heißt, der die Erbengemeinschaft vertritt und das Haus jetzt verwaltet.“
„Und?“ Franziska blieb stehen und sah Hannes erwartungsvoll an.
„Viktor Mooslechner.“
„Mooslechner? Nie gehört.“
„Ich auch nicht, aber ich habe seine Adresse.“
„Gut. Dann würde ich sagen, bevor wir uns vier verschiedene Versionen anhören, besuchen wir Viktor Mooslechner und fragen ihn, ob er eine Idee hat, wie die Leiche des Mannes in den Laden gekommen sein könnte.“ Franziska bückte sich nach ihrer Tasche und sah Hannes auffordernd an. „Wenn er das Haus verwaltet, dann weiß der auch, wer Zugang hat.“
Sie nahm die Regenjacke vom Haken, setzte sich eine Baseballkappe auf und hängte sich die Tasche über die Schulter. Als sie fertig war, sah sie Hannes ungeduldig an. „Ist noch was?“
„Du hältst das mit den Brüdern für unwichtig?“
„Nein, nein“, beeilte sich Franziska zu sagen. „Wir werden das alles noch brauchen, aber wir wollen unsere Ermittlungen doch nicht auf Hörensagen aufbauen, oder?“
Als Hannes noch immer nicht reagierte, drehte sie sich um, nahm auch seine Jacke vom Haken und hielt sie ihm hin. „Jetzt spiel hier nicht den Beleidigten. Du hast das alles sehr gut recherchiert. Komm jetzt!“
Dicht aneinandergedrängt standen die beiden Kommissare kurz darauf unter einem verwitterten Plastikvordach und warteten darauf, dass jemand auf ihr Klingeln reagierte. Rechtsanwalt Mooslechners Haus lag in der alten Villengegend rund um das Klinikum, jedoch weit genug vom Inn entfernt, um nicht wie die Häuser der Altstadt, wo im Übrigen auch seine Kanzlei lag, baden zu gehen. Neben dem Haus gab es eine Doppelgarage, deren Tore geschlossen waren, und dahinter erstreckte sich vermutlich ein weitläufiger Garten.
„Immerhin kommt der Regen hier nur von oben“, versuchte Franziska die Situation mit einem Scherz aufzulockern und drückte erneut und auch etwas länger auf den in die Hauswand eingelassenen Klingelknopf.
Die Fassade des Hauses war so grau wie das Wetter, Fenster und Türen hätten dringend einen neuen Anstrich vertragen, obwohl der Gesamteindruck nicht ungepflegt wirkte, sondern einfach nur altmodisch. Vor den Fenstern hingen dichte Spitzengardinen, die keinen Blick ins Innere des Hauses gestatteten.
Endlich öffnete eine dunkelhaarige Frau Mitte dreißig mit einer figurbetonenden Schürze um die Mitte und Resten von Mehl im Gesicht. „Ja?“
„Guten Tag, mein Name ist Steinbacher, und das ist mein Kollege Hollermann. Wir sind von der Kripo Passau.“
Die Frau verzog das Gesicht und wedelte mit den mit Teigresten verschmierten Händen, die sie wie ein Chirurg in die Höhe hielt. „Das jetzt ganz schlecht“, sagte sie mit starkem osteuropäischem Akzent.
„Wir sind vom Morddezernat“, setzte Franziska nach. „Wir würden gerne mit Herrn Mooslechner sprechen.“
„Nix möglich.“
„Aha. Nun …“ Franziska atmete tief durch und sagte dann: „Wie ist bitte Ihr Name?“
Die Frau sah sie skeptisch an und sagte dann: „Macarescu.“
„Frau Macarescu, dürfen wir vielleicht kurz reinkommen?“ Die Kommissarin zeigte mit einer unbestimmten Handbewegung in Richtung des Regens, dass es hier draußen ein bisschen ungemütlich war. Dann zog sie ihren Dienstausweis aus der Tasche und hielt ihn der Frau unter die Nase. Mit einem Seitenblick gab sie Hannes zu verstehen dasselbe zu tun.
Ohne auf Franziskas Bitte einzugehen, studierte Frau Macarescu mit zusammengekniffenen Augen beide Ausweise und fragte dann schroff: „Was Sie wollen?“
„Wir müssen mit Herrn Mooslechner sprechen“, erklärte Hannes. „Es ist dringend.“
„Tut mir leid, Herr Viktor nix zu Hause.“ Abweisend stellte sie sich in die Haustür.
„Aber dann können Sie uns doch bestimmt sagen, wo wir ihn finden können?“, hakte Franziska munter nach. Sie hatte nicht vor, sich so ohne Weiteres abservieren zu lassen.
„Ich nix wissen, ich nur Putzfrau.“
„Hat er denn nicht gesagt, wohin er geht?“
„Nein. Nix sagen.“
„Hören Sie, Frau Macarescu, es ist wirklich sehr dringend“, versuchte es Hannes noch einmal.
„Tut mir leid, aber ich nix helfen können“, antwortete die Putzfrau bestimmt, und als im gleichen Moment eine krächzende Stimme aus den Tiefen des Hauses nach ihr rief, ergänzte sie hastig: „Ich jetzt kümmern um alte Herrn Mooslechner. Auf Wiedersehen.“
Danach drückte sie die Tür unsanft ins Schloss und ließ die abgewiesenen Besucher verdutzt im Regen stehen.
„Was war das denn?“ Hannes fasste sich als Erster.
„Ihr gutes Recht“, erklärte Franziska und holte aus ihrem Notizbuch einen Vordruck für eine Vorladung, die sie mit den persönlichen Angaben des Anwalts ergänzte und in den Briefkasten warf. „Na komm, mehr können wir nicht tun.“
Nachdem sie im trockenen Auto Zuflucht gefunden hatten, fragte Hannes: „Und jetzt? In die Kanzlei? Vielleicht finden wir diesen Mooslechner ja da.“
„Nein. Das Büro ist in der Altstadt, da ist alles überflutet. Ich glaube, ich habe erst mal genug vom Wasser.“ Sie grinste.
„Wollen wir dann einfach mal bei einem von den Beinhubers vorbeifahren?“
Ganz in Gedanken vertieft, schrieb Franziska einige Stichwörter in ihr grünes Notizbuch, bevor sie es in die Tasche zurückschob. Dann schaltete sie den Scheibenwischer ein und sah ihm schweigend bei der monotonen Arbeit zu.
„Ja, gute Idee“, stellte sie auf einmal fest und blickte zu Hannes hinüber. „Aber zuerst muss ich mit Mona sprechen. Ich will wissen, ob meine Fotos was geworden sind.“ Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Hannes die Augen verdrehte, aber da hatte sie den Motor schon angelassen und die Handbremse gelöst.
Erst als sie eine Viertelstunde später auf dem Parkplatz der Inspektion anhielten, schob Franziska eine Erklärung nach. „Wie sollen wir denn eine vernünftige Befragung durchführen, wenn wir noch immer nicht wissen, wer der Tote ist und wann er getötet wurde?“
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