1 ...6 7 8 10 11 12 ...21 Red nicht so einen Unsinn, würde seine Mutter jetzt sagen. Und jetzt mach, dass du nach Hause kommst, und basta.
Sie hatte recht, denn schließlich gab es Wichtigeres als dieses Haus, das ja erst einmal zu dem hatte werden müssen, was es heute war. 1873 war es zum Hotel umgebaut worden, weil es schön war, wenn man auf der Terrasse saß und auf den Inn blicken konnte. Seine Mutter hatte immer davon geträumt, dort mal zu sitzen. Aber es sollte halt nicht sein, und damit basta.
Inzwischen war er klatschnass und fror fürchterlich. Selten war die Donau im Juni noch so kalt wie in diesem Sommer. Während er weiterruderte, setzte er das Paddel voller Aufmerksamkeit ein, schließlich wusste man nie, was einem unter Wasser so alles begegnete. Einmal war ihm sogar ein Auto entgegengeschwommen, allerdings war das am Rathausplatz gewesen, und damals hatte das Wasser auch viel höher gestanden. Aber wer weiß, noch hatten sie das Schlimmste ja nicht hinter sich.
Als er das Platzl erreichte, warf er einen Blick zum alten Laden. Das Fenster hatten sie zugenagelt, damit niemand mehr auf die Idee kam einzusteigen. Den Toten hatten sie noch immer nicht herausgeholt, das hatte er genau beobachtet, und er hatte gehört, wie sie davon sprachen, dass sie ihn so schnell auch nicht bergen konnten, weil der Stützpfeiler, der die einsturzgefährdete Decke sichern sollte, umgefallen war. Eine Tussi von der Polizei hätte es auch fast erwischt. Wie konnte man auch nur so dumm sein und nicht auf das Glas hören?
Der Chef war als Letzter gekommen, auch nicht schön, man ging als Chef doch voran, aber irgendwie auch schlau, so war ihm das Bad in der Donau erspart geblieben. Als der so da gestanden und auf das Fenster geschaut hatte, hatte er für einen Moment befürchtet, er habe ihn entdeckt, doch dann hatten sie die Polizistin rausgeholt und wie einen nassen Sack durch das kleine Fenster des Häuschens hinaus ins Freie gezogen, und das hatte ihn gerettet. Aber so wie es schien, wussten sie noch immer nichts über den Toten. Er hätte ihnen sagen können, was das für einer gewesen war, aber bestimmt würde ihm dann wieder keiner glauben. So war das schon immer gewesen, und so würde es immer bleiben.
Ein wenig verlegen stand Franziska vor der Badewanne und schaute zu, wie sich an der Stelle, an der der Wasserstrahl auf die Oberfläche traf, immer mehr Schaum bildete. Als ihr klar geworden war, dass Hannes sie nicht nur zu Hause abliefern, sondern bei ihr bleiben und sich um sie kümmern würde, hatte sie eine Extraportion Badeschaum in die Wanne gegossen.
Hannes hatte ihre Absicht sofort durchschaut und frech gegrinst. „Keine Angst, ich schau dir schon nichts ab!“
„Ich hab keine Angst“, hatte Franziska erklärt, aber ein wenig nervös an ihrem Shirt herumgezupft. Nachdem Schneidlinger zu Hannes gesagt hatte, er solle sie nach Hause fahren, hatte Mona ihre Sportsachen aus dem Auto geholt und sie ihr für den Heimweg angeboten. Die Trainingshose und das Shirt waren zwar schön trocken, aber leider auch viel zu kurz.
„Ich mach dir mal einen schönen Tee“, hatte Hannes die Situation überspielt und war hinausgegangen, wobei er die Tür angelehnt ließ. Rasch zog Franziska sich nun aus, legte ein großes Handtuch bereit und setzte sich in die Wanne. Sofort begannen ihre Beine und ihr Po zu kribbeln. Dr. Buchner hatte sie ermahnt, sie solle nicht gleich komplett ins heiße Wasser steigen, ihr Köper müsse langsam erwärmt werden − aber wie langsam, hatte er nicht gesagt.
Nach einer Weile ließ sich Franziska tiefer ins Wasser gleiten, bedeckte ihren Oberkörper gewissenhaft mit Schaum und schloss die Augen. Schnell gingen ihre Gedanken auf Wanderschaft, und natürlich landeten sie wieder in dem Haus an der Ortsspitze, wo jetzt die Leiche des unbekannten Mannes und die eingestürzte Deckenabstützung im trüben Donauwasser schwammen.
„Tee ist fertig“, rief Hannes endlich durch die angelehnte Tür, und Franziska hatte gerade noch genug Zeit, eine große Portion Schaum auf ihrem Busen zu verteilen, als er auch schon vor ihr stand. In den Händen hielt er ein beladenes Tablett. „Eine schöne Wohnung hast du.“ Hannes zwinkerte ihr zu, und Franziska war sich sicher, dass er, auf der Suche nach der Küche und den richtigen Utensilien, einen Rundgang durch alle Räume gemacht hatte.
„Ich glaube, so etwas hat es noch nie gegeben. Wir finden eine Leiche, schauen sie uns an und müssen den Tatort verlassen, ohne sie bergen zu können.“
Franziska warf ihm einen kurzen Blick zu und versuchte dann, das Bild von den braunen Wassermassen aus dem Kopf zu verbannen, die sie wieder und wieder unter sich begruben. Stattdessen konzentrierte sie sich auf den Wasserhahn, an dem ihre Zehen herumspielten.
„Hey. Zerbrich dir nicht den Kopf. Seit wann geht in unserem Beruf immer alles rund, hm?“, versuchte Hannes die Kollegin zu trösten, als er sah, wie sie sich quälte. „Immerhin haben wir die Fotos.“
Doch Franziska ließ sich nicht aufmuntern. „Wir müssen den Hausbesitzer verständigen und ihn fragen, ob es nicht doch noch eine andere Möglichkeit gibt, um die Leiche sicher zu bergen.“ Auf einmal sah sie auf und Hannes an, als wäre er soeben erst hereingekommen. „Hol doch bitte mal meinen Laptop. Steht auf dem Tisch im Wohnzimmer. Dann können wir …“
„Auf keinen Fall! Das hat alles Zeit bis morgen“, unterbrach sie Hannes und stellte endlich das Tablett auf den Hocker mit dem Handtuch. Als Franziska sah, was er alles mitgebracht hatte, musste sie unwillkürlich lächeln. Neben einer Teekanne und zwei Tassen standen eine Zuckerdose, ein brennendes Teelicht, ein kleiner Blumentopf, den er vom Fensterbrett in der Küche genommen hatte, und einen sorgsam auf einem Teller drapierten Müsliriegel. Vermutlich das einzig Nahrhafte, das er in ihrer Küche gefunden hatte. „Süß!“, entfuhr es ihr.
Hannes lächelte zufrieden, reichte ihr einen Becher Tee mit viel Zucker und erklärte: „Auf dein zweites Leben!“
Franziska war gerührt, doch bevor Hannes noch mehr Sentimentalitäten über sie und ihr Glück von sich geben konnte, fragte sie: „Warum fährst du eigentlich nicht mehr Auto? Ich meine, du kannst es doch, und zwar nicht mal schlecht – hast es ja eben bewiesen.“
Geistesabwesend schaute Hannes in seine Tasse, von der er immer wieder einen Schluck nahm, schwieg aber in den folgenden Augenblicken, bis Franziska schon fürchtete, er würde sich wieder einmal vor einer Antwort drücken, wie er es immer tat, wenn ihm etwas unangenehm war.
„Weißt du, du kanntest sie ja nicht … aber Mira war etwas ganz Besonderes.“ Hannes hatte seine Tasse abgestellt und starrte jetzt ein wenig abwesend aufs Badewasser. „Sie hatte eine ganz feste Vorstellung von dem, wie ihr Leben einmal verlaufen sollte. Nach dem Abitur studierte sie und suchte sich nebenbei schon die richtige Firma aus, um anschließend dort zu arbeiten. Es war klar, dass sie einmal viel Geld verdienen würde. Trotzdem störte es sie nicht, dass ich zur Polizei gehen wollte. Sie sagte, jeder müsse das tun, was ihn glücklich mache.“ Hannes ließ seine Hand gedankenverloren über die Wasseroberfläche gleiten und begann, mit dem Schaum zu spielen.
Franziska sah ihm zu und ließ ihn gewähren.
„An jenem Abend waren wir bei meinen Kollegen eingeladen“, fuhr Hannes fort. „Und obwohl ich ihre Idee von der Gleichberechtigung mochte, bestand ich darauf, das Auto nach Hause zu fahren. Wir hatten sogar einen kleinen Streit deswegen, aber ich sagte: ‚Nein, ich fahre‘, und sie nahm es dann einfach hin. Ich habe mich anschließend oft gefragt, warum sie wohl so schnell nachgegeben hat. Das war so gar nicht ihre Art.“
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