H.P. Karr
...und dann kam Winter
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Printing History
Dienstag, 6. Oktober 1987
Plötzlich begann sie zu weinen. Jossack versuchte, die beiden feuchten Spuren, die sich durch das perfekte Makeup fraßen zu ignorieren und machte sich ein paar Notizen.
»Aber er hat doch gesagt, dass er mich liebt«, meinte sie.
Jossack sah sie an. Sie hatte ihr Taschentuch schon aus der Handtasche gezogen, als sie vor zehn Minuten Platz nahm. Behutsam tupfte sie sich die Feuchtigkeit von den Wangen.
Jossack räusperte sich.
»Und warum soll er mich denn belogen haben?«, fragte sie. Martha Wegener war Mitte Vierzig, brünett, mit hübschen dunklen Augen. Sie trug ein helles Kostüm, das die einschlägigen Läden wohl als »zeitlos elegant« anboten, also: schlicht, aber teuer.
»Ich denke, deswegen sind Sie hergekommen«, meinte Jossack und malte ein großes Fragezeichen hinter den Namen, den er sich notiert hatte: Matthias Winter. Neben dem Block lag das Foto, das sie ihm gegeben hatte: Portraitaufnahme, professionell ausgeleuchtet mit verwischtem Hintergrund. Matthias Winter oder wie auch immer er hieß war Mitte vierzig, hatte kurzes, dunkles Haar und ein hübsches Gesicht, in dem sich männliche Sicherheit mit einer Spur jungenhafter Unbefangenheit paarte. Schmale Lippen und einen eleganten Schnäuzer.
»Und Sie haben sich nichts dabei gedacht, als er sagte, dass Sie ihm nicht schreiben sollten?«
Martha Wegener schniefte noch einmal. Dann verstaute sie das Taschentuch wieder in ihrer Handtasche. Sie richtete sich auf. Entschlossen. »Nein.«
»Sie lernen einen Mann kennen, verlieben sich in ihn«, Jossack räusperte sich, weil er annehmen konnte, dass sie ihm außer den 15000 Mark noch mehr geschenkt hatte, »schmieden Zukunftspläne, wollen heiraten und haben dabei nur eine vage Vorstellung davon, wo dieser Mann wohnt?«
»Er ist doch dauernd unterwegs.« Sie stellte die Handtasche neben den Stuhl. »Als Flugkapitän. Das habe ich doch schon gesagt.«
»Auch Flugkapitäne müssen irgendwo wohnen.«
Sie sah ihn an. »Aber das war doch nicht wichtig«, versuchte sie zu erklären, doch ihrer Stimme fehlte es an Überzeugungskraft. »Er ist... er hat sich von seiner Frau getrennt. Helga heißt sie. Aber er lebt noch mit ihr in einer Wohnung. Deshalb sollte ich ihm nicht schreiben. Auch nicht anrufen.« Sie machte eine Pause, als ihr klar wurde, dass sie nur seine Geschichte wiederholte. »Hat er jedenfalls gesagt. Ich bin ja auch nur rein zufällig an dem Appartementhaus vorbeigekommen. Einer von diesen Blöcken, Hobeisenstraße, gleich an der A 430, und ich wollte auch nur mal nachsehen... seinen Namen sehen, auf dem Klingelbrett.«
Jossack sah sie beinahe vor sich, wie sie vor dem großen Klingelbrett stand. Mit dem Finger Reihe um Reihe abfuhr. Nur um seinen Namen lesen. Wie ein Teenager, der jeden Tag einen Umweg macht, um an einem bestimmten Haus vorbeizukommen.
»Achtzig Parteien, zehn auf jede Etage«, sagte sie. »Aber kein Winter dabei. Ein Versehen, habe ich gedacht. Aber der Hausmeister kennt ihn auch nicht.«
Jossack kippte mit seinem Bürostuhl nach vorn und angelte nach der Diskette mit den Standardverträgen, schob sie in das Laufwerk des PC und zog die Tastatur heran.
»Und jetzt wollen Sie also alles über ihn wissen, diesen Matthias Winter?«
Sie nickte.
»Wie ist sie denn ausgerechnet auf dich gekommen?«, fragte Sandra. Sie nippte an der Kreation in Grün in ihrem Cocktailglas und begann sich mit ihrem kleinen Maschinchen eine Zigarette zu rollen. Tabakkrümel fielen auf ihr Kleid. Rohseide, schätzte Jossack. Stilbruch als Stilprinzip. Das war Sandra.
»Telefonbuch«, meinte er. »Sie hat einfach im Branchentelefonbuch nachgesehen. Und zwar nicht unter D wie Detektive, sondern unter A wie Auskunfteien. Weil sie ja nur eine Auskunft will.«
Sie saßen im Café Click am Isenbergplatz. Spinnennetzartig verdrillte Streifen aus braunem Paketklebeband durchzogen den Raum. Eine Installation des Künstlers des Monats, die die Bedienung in ihrem engen schwarzen Röckchen zu präzisen Slalomläufen zwang.
Sandra schüttelte den Kopf. »Hast du ihr wenigstens versucht zu erklären, was eine Wirtschaftsauskunftei ist?«
Jossack sagte nichts. Sandra steckte sich die Selbstgedrehte an und klebte sie in den Mundwinkel, wo sie beim Sprechen auf und ab wippte. »Was Informationsbeschaffung im Wirtschaftsbereich angeht, magst du ja Spitze sein«, fuhr sie fort. »Aber ich wette, du hast in den letzten zwei Jahren mit nicht mehr als einem Dutzend Menschen von Angesicht zu Angesicht gesprochen.«
»Zeit, dass ich damit anfange.« Jossack mochte Sandra, weil sie kein Blatt vor den Mund nahm. Für eine Juristin schon ungewöhnlich genug. Besonders sympathisch fand er an ihr, dass sie ihre Kommentare niemals in persönliche Ratschläge ausarten ließ. »Du sitzt in deinem Büro an deinen Computern und gräbst dich durch Datenbanken, Computernetze und anderen Schnickschnack«, fuhr sie fort. »Das ist etwas anderes, als von Tür zu Tür zu rennen und den Leuten die Würmer aus der Nase zu ziehen.«
»Sieh ihn dir erst einmal an!« Jossack reichte ihr das Bild, das Martha Wegener ihm widerstrebend dagelassen hatte.
Sandra schob die Brille mit den getönten Gläsern auf die Stirn. »Ein Hübscher ist er!«, stellte sie fest. »Und eine Uniform hat er auch an. Genau der Typ, wegen dem sich viele meiner Klientinnen scheiden lassen wollen. Und zwei Jahre später wollen sie ihn dann auch wieder loswerden.«
»Die 15000 Mark hat er sich angeblich für ein Geschäft geliehen, in das er kurzfristig einsteigen kann. Sportfliegerbedarf oder so etwas ähnliches.«
Sandra legte die Stirn in Falten. »Berufspilot soll er sein?«
Jossack nickte. »Behauptet er jedenfalls. Düsseldorf - New York, zweimal die Woche. Allerdings hat er der Wegener nicht gesagt, bei welcher Gesellschaft. Sie ist auf Anhieb von ihm begeistert gewesen, als er sie vor zwei Monaten auf dem Flughafen angesprochen hat. Sie stand in der Schlange für ihren Charterflug nach Mallorca, da taucht auf einmal er auf...«
»Folgen schöne Worte, gemütliche Einladungen, aufregende Ausflüge und erotische Eskapaden. Und auf einmal eine kleine Geldverlegenheit.«
»Du scheinst dich da ja auszukennen.«
Sie reichte ihm das Bild zurück. »Heiratsschwindel«, sagte sie. »Und das ist noch nicht einmal ein Straftatbestand. Wenn überhaupt, dann kann man ihn nur auf Betrug festnageln. Aber das ist auch schon schwer genug. Unsere Frau Wegener wird ihm die 15000 ganz blind vor Liebe bar und ohne Quittung gegeben haben. Dass er ihr dafür irgendwelche Versprechungen gemacht hat, wird man ihm kaum nachweisen können.«
»Wenn ich ihn habe, werde ich dich als Verteidigerin empfehlen.« Jossack trank seinen Espresso. »Was hältst du davon, wenn wir uns es uns für den Rest des Abends etwas Gemütlicheres suchen?«
»Bei mir oder bei dir, Marlowe?«
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