Franziska nickte nachdenklich, warf einen letzten Blick auf ihr Handy und schob es in ihre Tasche zurück.
„Also, wenn ich dieser Christian wäre und dafür gekämpft hätte, dass ich das Haus bekomme, dann hätte ich auch dafür gesorgt, dass es gut geschützt wird“, überlegte Hannes weiter.
„Kann doch sein, dass das einfach so ein Spinner ist und seiner Mutter mit seinen Plänen nur was vorgemacht hat“, stieg Franziska in die Überlegung ein. „Hast du eigentlich eine Ahnung, wie es bei einem Geistheiler zugeht?“
„Du meinst wohl, ich probier alles aus, was?“, lachte Hannes.
Franziska grinste frech. „Würde ich dir zutrauen.“
„Nein, leider, aber wenn du wissen willst, wie das so ist: Ich habe einen Freund, der schon mal bei einem Geistheiler war.“ Hannes warf einen Blick auf die Uhr. „Wir könnten vorbeifahren und ihn fragen.“
Franziska sah ihn an. „Hat er dir denn nichts von dem Erlebnis erzählt?“
„Nur, dass es auf einmal ganz hell wurde, als der Typ ihm die Hände aufgelegt hat, und dass es ein unbeschreibliches Gefühl gewesen ist.“
„Weißt du was? Die Märchenstunde heben wir uns noch ein bisschen auf.“ Franziska wollte lieber wieder mit Walter telefonieren. „Ich glaube, ich bin doch noch nicht so ganz auf dem Damm und würde jetzt lieber langsam Feierabend machen. Und Hunger hab ich auch.“
Die Kommissarin startete den Motor, parkte aus und reihte sich in den Feierabendverkehr ein.
„Ich glaube, ich hab nicht mal mehr eine Scheibe Brot zu Hause“, sagte Hannes mit starrem Blick durch die Heckscheibe, während der Regen auf Dach und Scheiben trommelte.
Franziska schluckte und sagte nichts. Ihr war bewusst, dass Hannes sie indirekt fragte, ob sie sich gemeinsam etwas kochen wollten. Womöglich in Franziskas Küche. Womöglich bei einigen Gläsern Rotwein. Aber das konnte und wollte sie nicht. Gestern das war eine Ausnahme gewesen, da war es gut, dass Hannes da gewesen war und sie ablenkte, Heute würde sie sich auf die Felle legen, die Augen schließen und Walters Stimme lauschen und sich dabei vorstellen, er wäre bei ihr oder käme zumindest gleich herein.
Sie mochte Hannes, und gerade aus diesem Grund wollte sie nicht, dass ihr Verhältnis jemals ein anderes als ein kollegiales war. Da war es besser, einen großen Bogen um Rotwein und Kaminfeuer zu machen. Deswegen schlug sie vor: „Was ist denn mit der Kollegin Hoffmann, willst du nicht mit der den Kochlöffel schwingen?“
Kopfschüttelnd betrachtete Hannes die Kollegin. „Ach Franzi, manchmal bist du wirklich unmöglich!“
Zwei Stunden später lag Franziska, von duftendem Schaum umgeben, wieder einmal in ihrer Wanne und dachte über das Leben und seine seltsamen Fügungen nach. Einem Mann wird genau zu der Zeit, wo die Passauer Altstadt vom Hochwasser überschwemmt wird, in einem leer stehenden Haus an der Ortsspitze der Hals aufgeschnitten. War die Flut nur ein Zufall, oder gehörte sie zum Plan des Täters? Hatte er tatsächlich die Prognosen des Wasserwirtschaftsamtes richtig gedeutet und sich zu eigen gemacht? Und welchen Nutzen hatte das Wasser für ihn überhaupt? Bedeutete es einen Zeitgewinn? Aber wofür brauchte er dann eine Gewebeprobe vom Toten? Vor allem, warum nur Haut- und Fleischstücke, warum nicht gleich einen Finger? Franziska schloss die Augen, weil ihr schon wieder schwindlig wurde. Trotzdem kamen ihre Gedanken nicht zur Ruhe.
Wie passte diese ganze Konstellation zu den vier Beinhuber-Brüdern, von denen einer unbedingt Haus und Laden erben wollte, während die anderen das Ganze nur als schöne Möglichkeit sahen, an Geld zu kommen? Hatte die alte Tante den Wunsch des jüngsten Neffen wirklich ignoriert und stattdessen versucht, mit ihrem Letzten Willen die Brüder zusammenzuschweißen? Glaubte sie, dass das gelingen konnte? Oder war das Ergebnis der verunglückten Familienzusammenführung eben jener unbekannte Tote? Hatte Christian Beinhuber, der angeblich bei einem Seminar war und dort nicht erreicht werden konnte, etwas damit zu tun? Oder war das alles doch nur ein Zufall, und es nutzte ein Fremder die Gelegenheit, das verlassene Haus als Tatort und später als praktische Entsorgungsstätte für den Toten zu verwenden? Aber wie waren Täter und Opfer überhaupt zusammengekommen? Hatte der Täter sein Opfer in den Laden bestellt? Oder war der, der das Treffen vorgeschlagen hatte, am Ende das Opfer, das nicht mit einem Übergriff des Täters gerechnet hatte? Und war das planmäßig passiert oder eine Affekthandlung? Etwa, weil das Opfer den Täter provoziert hatte?
Nachdem sie Hannes unterwegs abgesetzt hatte, war sie nach Hause gefahren und hatte sich an den Laptop gesetzt, um mehr über die Gabe eines Geistheilers zu recherchieren. Tatsächlich gab es Geistheilerseminare in nahezu allen Großstädten, und jeder schwor darauf, dass man die Fähigkeit des Handauflegens jederzeit erlernen könne. Als letztes Insignie der Geistheiler macht öffnete der Seminarleiter, so wurde es beschrieben, bei der ersten Geistheiler-Klient- Berührung die mentale Schleuse und machte somit jede Heilung möglich.
Kichernd richtete sich Franziska im Wasser auf und nahm das Rotweinglas von dem Hocker daneben. Als ihr der Wein fruchtigherb durch die Kehle rann, breitete sich ein wehmütiges Lächeln auf ihrem Gesicht aus. Wenn nicht all diese Fragen im Raum stehen würden, wäre sie vielleicht schon auf dem Weg nach Sizilien und würde schon morgen in Walters Armen erwachen. Bestimmt würde es ihr auf dieser von der Sonne verwöhnten Insel schnell besser gehen.
Nachdenklich streckte sie ein Bein in die Höhe und wackelte mit den pink lackierten Zehen. Dabei fühlte sie sich wie ein verliebtes Schulmädchen. Vor allem, wenn sie da weitermachen würden, wo sie vor seiner Abreise aufgehört hatten.
Seufzend ließ sie das Bein ins Wasser zurückgleiten und reckte das andere in die Höhe. In Palermo musste es jetzt schön sein, und bestimmt konnte man ganz in der Nähe im Meer baden und dann …
Bevor sie sich von wilden Sexfantasien davontragen ließ, nahm sie das Glas am Stiel und schwenkte den Wein vorsichtig im Kreis. Es war ein sattes volles Rot, und mit jedem Schluck, den sie davon trank, wurden ihre Kopfschmerzen besänftigt und ihre Gedanken mutiger - fordernder.
Walter war von Anfang an anders gewesen als die Männer, die sie vor ihm gekannt hatte. Allerdings hatte sie sich ihm auch noch nie so nahe gefühlt wie nach der Nacht, in der sie in ihrem um dekorierten Wohnzimmer Was-auch-immer aus einem Kelch getrunken hatten. Vor allem, weil auch Walter seither wie verändert war.
Gut, dass er heute nicht erreichbar gewesen war, hatte sie schon geärgert. Aber gerade, als sie anfing, sich wirklich darüber aufzuregen, hatte sie eine supersüße SMS von ihm bekommen, die all ihre Wut schlagartig verpuffen ließ. Schon immer hatte er sie mit den wunderbarsten Nachrichten beglückt, aber noch nie hatte er sich so verliebt angehört wie heute:
Hallo Frau Kommissarin,
komm, so schnell du kannst.
Ich vermisse dich wie
verrückt und würde zu
gerne noch ein bisschen
von dir und vom Kelch
der liebe trinken.
Heiße Küsse und zärtliche
Umarmungen dein Walter
Ein Kribbeln, das ihren ganzen Körper aufwühlte und sich dann als pulsierende Wärme in ihrem Schoß niederließ, war die Antwort auf seine Zeilen. Ach, es ist so schade, dass er ausgerechnet jetzt weggefahren ist, dachte sie und zog einen Schmollmund.
Und während sie darüber nachdachte, was sie in dieser Wanne alles mit Walter anstellen könnte, wenn er jetzt hier bei ihr wäre, sie sich nackt an seinen Körper schmiegen, seine Lust erkunden und ihre eigene damit steigern würde, wurde sie auf einmal richtig sauer. Denn sie könnte ja bei ihm sein und ihr Glück auskosten, wenn nicht ausgerechnet jetzt dieser dämliche Mord dazwischen gekommen wäre.
Читать дальше