„Sehr schön, junger Freund, aber meine Pathologie in Ulm ist auch nicht übel. Wenn Sie irgendwann mal in der Nähe sind, kommen Sie doch bei mir vorbei, ich würde mich freuen.“
Sie gab ihm ihre Karte und Daniel freute sich wie ein kleines Kind. Er hatte sich inzwischen über Dr. Christine Künstle informiert und war beeindruckt. Neben ihren zahlreichen Vorträgen veröffentlichte sie in Fachzeitschriften immer wieder Artikel, die in Fachkreisen großen Anklang fanden und von denen er selbst schon einige gelesen hatte. Er ärgerte sich, dass ihm ihr Name nicht sofort ein Begriff war.
Leo und Georg suchten den zuständigen Arzt auf, der in der Nacht den Totenschein ausgestellt und unterzeichnet hatte. Es stellte sich heraus, dass der Arzt „unbekannte Todesursache“ eingetragen hatte, und zeigte den beiden die Kopie in seinen Unterlagen. Also hatte Steinberger auch noch den Totenschein gefälscht. Nur er konnte veranlasst haben, dass Tim so schnell wie möglich verbrannt werden sollte. Steinberger konnte nicht damit rechnen, dass der angebliche Selbstmord untersucht würde.
Als Nächstes wollten sie Julius Bernrieder und Benjamin Aschenbrenner wegen des Fotos der Vermissten Nadine Siebert aufsuchen. Leider trafen Sie Julius Bernrieder nicht an, hinterließen aber eine Nachricht.
Benjamin Aschenbrenner war zuhause. Sie zeigten ihm das Foto von Nadine.
„Ich habe das Foto bereits per Post bekommen. Nein, tut mir leid, ich kann mich an dieses Mädchen nicht erinnern. Das ganze Hotel war voll von diesen Mädchen, die nur auf das eine aus waren,“ sagte er sichtlich angewidert.
„Stehen Sie nicht auf Frauen?“, fragte Georg unverblümt, der diesen arroganten Kerl von Anfang an nicht leiden konnte.
„Natürlich stehe ich auf Frauen,“ schrie Benjamin empört. „Allerdings bevorzuge ich die Sorte Frauen, die anständig sind und einen gewissen Intellekt haben. Ich habe aufgrund der gesellschaftlichen Stellung meiner Eltern eine gewisse Verantwortung, der ich mir bewusst bin. An leichten Mädchen habe ich keinerlei Interesse.“
„Können Sie uns sagen, wo wir Julius Bernrieder finden können?“, warf Leo ein. Auch um den Redeschwall, der kaum zu ertragen war, zu unterbrechen.
„Nein, ich kenne Julius nicht näher. Maximilian hatte ihn, wie auch Tim, entgegen unserer Absprache einfach in den Urlaub auf Sylt mitgenommen. Während des Urlaubes hatte ich keinen engeren Kontakt mit ihm. Wir sind zu verschieden und fanden keinerlei Gemeinsamkeiten. Zuletzt habe ich ihn zusammen mit Tim auf der Polizeistation gesehen, als wir bei Ihnen unsere Aussage gemacht haben.“
„Ihnen ist bekannt, dass Tim Mahler tot ist?“
Benjamin war sprachlos. Er starrte Leo an, als verstünde er kein Wort.
„Tim ist tot?“, schrie er fassungslos.
„Leider ja. Er wurde gestern Nacht tot aufgefunden. Wie gut kannten Sie Tim?“
„Auch nicht viel näher. Er hatte seine Interessen und ich meine. Er ist der zweite Tote innerhalb kurzer Zeit, den ich kenne. Das schockiert mich sehr. Wie ist er gestorben?“
„Da sind wir noch dran,“ sagte Leo, der beschloss, Benjamin Aschenbrenner nichts Näheres über den Tod von Tim zu berichten. Sie verabschiedeten sich und ließen den verstörten Benjamin einfach stehen, der nun nicht mehr ganz so arrogant wirkte.
Leo und Georg hatten nun die schwierige Aufgabe, mit Tims Mutter zu sprechen. Wie würde sie auf die Nachricht eines Mordes an ihrem Sohn reagieren. Beiden war nicht wohl bei der bevorstehenden Aufgabe, aber da mussten sie durch. Frau Mahler wohnte in einem mehrstöckigen Mietshaus in der Innenstadt nahe des Bahnhofs. Nicht die beste, aber eine sehr gute Wohngegend. Frau Mahler hatte in der Nacht bereits schon von Steinberger von dem Unfalltod ihres Sohnes erfahren. Als Leo ihr die Nachricht über den Mord durch Zyankali mitteilte, brach sie zusammen. Sie war so geschockt, dass Leo einen Arzt rufen musste. Zur Sicherheit wurde Frau Mahler zur Beobachtung in die Klinik gebracht. Frau Mahler konnte nicht glauben, dass ihr Sohn getötet wurde. Von wem? Er war überall beliebt und machte nie Probleme. Nachdem der Krankenwagen mit Frau Mahler wegfuhr, durchsuchten die beiden Tims Zimmer.
„Nichts, das uns weiterbringt. Wir nehmen vorsorglich seinen Laptop mit, den soll sich Anna genauer ansehen.“
Sie setzten sich in ein Café und rekapitulierten, was heute passiert war. Hier vor Ort gab es nichts mehr zu tun.
„Ich denke, ich fahre nach Ulm. Wenn du möchtest, kann ich dich am Münchner Flughafen absetzen und du nimmst den nächsten Flug nach Köln.“
„Es passt mir zwar nicht, hier abzubrechen, denn es interessiert mich brennend, was hier los ist. Ich muss dir zustimmen: Wir sind hier in einer Sackgasse. Ich würde dich gerne nach Ulm begleiten und mit am Fall weiterarbeiten, aber da spielt mein Chef ganz sicher nicht mit. Hier trennen sich also unsere Wege. Schade.“
Leo würde Georg vermissen. Ihre Zusammenarbeit in den letzten Tagen ging weiter über das normale Maß hinaus. Er hatte in Georg einen Freund gefunden.
Leo rief Anna an und informierte sie darüber, was sich in Passau ereignet hat. Die konnte kaum glauben, was sie hörte.
„Ich bin hier in Passau soweit fertig und bin quasi auf dem Weg nach Ulm. Vorher setze ich den Kölner Kollegen am Münchner Flughafen ab. In circa drei bis vier Stunden bin ich da.“ Für Leo war das Gespräch beendet und er wollte auflegen. Aber Anna hielt ihn zurück.
„Nicht so voreilig, ich habe auch etwas für dich. Ein Zeuge, der sich an dem fraglichen 14. Juni auf Sylt aufhielt, hat sich bei uns gemeldet. Er hat etwas ausgesagt, was uns weiterhelfen könnte.“ Leo hörte aufmerksam zu. „Dieser Zeuge war Gast auf einem der Boote und war bis gestern auf Geschäftsreise in Südamerika, deshalb hat uns die Aussage erst jetzt erreicht. Ich habe mit ihm telefoniert und er hat seine Aussage bestätigt. Du wirst es nicht glauben: Er schwört Stein und Bein, dass eindeutig mehrere Leute auf dem Boot des Abgeordneten Meyer waren, bei denen es sich nicht um seine Crew handelte. Er sagte, er sei am Abend ins Wasser, um ein paar Runden zu schwimmen. Und dabei ist er dem Boot des Abgeordneten sehr nahe gekommen. Er konnte zwar nicht erkennen, um wen es sich handelte, aber er ist sich absolut sicher, dass außer der Crew weitere Personen an Bord waren. Er sprach von mindestens zwei weiteren Personen.“
„Warum ist er sich so sicher, dass es sich nicht um Crew-Mitglieder handelte?“
„Unser Zeuge kennt den Abgeordneten schon lange und mag ihn nicht besonders. Meyer hat einen Spleen mit seiner Crew. Alle müssen eine weiße Uniform tragen, so eine mit Schulterklappen und so weiter, wie im Fernsehen. Eine Phantasieuniform, die Meyer extra für seine Crew hatte entwerfen lassen. Und die Personen, die er gesehen hatte, trugen Freizeitkleidung und die würde Meyer bei seinen Crew-Mitgliedern niemals dulden. Der Abgeordnete hat ganz klar gelogen. Ich habe die Aussage des Zeugen bereits an euch per Email weitergeleitet. Ich will dir und dem Kollegen Obermaier nicht vorgreifen, aber ich denke es ist vielleicht besser, wenn ihr nochmals den Abgeordneten befragt. Besprecht euer weiteres Vorgehen und haltet mich auf dem Laufenden.“
Leo unterrichtete Georg über diese neue Information. Beide waren sich sofort einig, dass sie wieder gemeinsam nach Köln fahren und umgehend ein weiteres Gespräch mit dem netten Herrn Abgeordneten führen sollten.
Beide unterrichteten ihre Vorgesetzten über diese Zeugenaussage und sie waren beide sehr ungehalten über die dreiste Lüge von Bernhard Meyer. Natürlich bekamen Leo und Georg die Erlaubnis für die erneute Befragung des Politikers.
„Ich werde einen Termin für Morgen organisieren, was nicht leicht werden wird. Sie halten sich genau an die Gesetze, Schwartz, ich möchte keine Klagen hören. Meyer hat einflussreiche Freunde und ich will mich nicht mit Beschwerden und Vorwürfen auseinandersetzen müssen,“ sagte Zeitler.
Читать дальше