auch.«
»Ich werde doch wahrhaftig meine Hand nicht leer einstecken,
wenn ich sie nur auszustrecken brauche, um was zu kriegen, um
so eines Mannes willen, wie der war. Wahrhaftig nicht, Joe«,
antwortete das Weib ruhig. »Laß kein Öl auf die Bettdecken
tropfen.«
»Seine Bettdecke?« fragte Joe.
»Von wem soll sie denn sonst sein?« entgegnete das Weib. »Er
wird auch ohne die nicht frieren, das behaupte ich.«
»Er starb doch nicht etwa an etwas Ansteckendem?« fragte der
alte Joe bedenklich, seine Beschäftigung unterbrechend und sie
anblickend.
anblickend.
»Das braucht Ihr nicht zu befürchten«, antwortete die Frau. »Ich
hatte ihn nicht so lieb, daß ich dann bei ihm geblieben wäre um
solcher Lumpen wil en. Ha, Ihr könnt durch das Hemd gucken,
bis Euch Eure Augen weh tun: Ihr findet kein Loch darin und
keine dünne Stelle. Es ist das beste, was er hatte, und sein ist's
auch. Sie hätten's verdorben, wenn ich nicht gewesen wäre.«
»Was meint Ihr mit Verderben?« fragte der alte Joe.
»Nun, ihm das Hemd in das Grab mitgeben, was sonst?«
erwiderte die Frau lachend. »Es war da einer dumm genug, es
ihm anzuziehen, aber ich zog's ihm wieder aus. Wenn Kattun zu
so etwas nicht gut genug ist, weiß ich nicht, zu was er sonst gut
wäre. Er steht einer Leiche ebensogut. Er kann nicht häßlicher
aussehen, als er darin aussah.«
Scrooge hörte das Gespräch mit Grausen an. Wie sie da um
ihren Raub herum in dem kärglichen Lampenlicht des Alten
saßen, betrachtete er sie mit einem Ekel und einem Abscheu, der
nicht größer hätte sein können, wenn es scheußliche Dämonen
gewesen wären, die um die Leiche selbst feilschten.
»Ha, ha!« lachte dieselbe Frau, als der alte Joe, einen alten
flanellnen Geldbeutel herauslangte und jedem den Preis des
Raubes auf den Fußboden hinzählte. »Das ist das Ende von der
Geschichte, seht Ihr! Er scheuchte jeden von sich, solange er
lebte, um uns zu nützen, da er tot ist! Hahaha!«
lebte, um uns zu nützen, da er tot ist! Hahaha!«
58
»Geist«, sagte Scrooge, vom Fuß bis zum Scheitel zitternd. »Ich
verstehe dich.
Das Los dieses Unglücklichen könnte das meinige sein. Mein
Leben geht jetzt auf dieses Ziel zu. Gnädiger Himmel, was ist
das?«
Er fuhr entsetzt zurück, denn die Szene hatte sich verändert, und
er stand dicht vor einem Bett, einem einsamen, unverhängten
Bett, in dem unter einer groben Decke etwas Verhülltes lag, das,
obgleich stumm, in einer grauenerregenden Sprache verkündete,
was es war.
Das Zimmer war sehr dunkel, zu dunkel, um etwas sicher
erkennen zu können, obgleich sich Scrooge, einem geheimen
Gefühl folgend, voll Begier umsah, um zu wissen, was für ein
Zimmer es sei. Ein bleiches Licht, das von draußen
hereinströmte, fiel gerade aufs Bett; und auf diesem, geplündert
und beraubt, unbewacht und unbeweint, lag die Leiche dieses
Mannes.
Scrooge blickte die Erscheinung an. Ihre regungslose Hand wies
auf das Haupt des Leichnams. Die Decke war so sorglos
zurechtgelegt, daß das geringste Verschieben, die leiseste
Berührung von Scrooges Fingern das Antlitz enthüllt hätte. Er
dachte daran, empfand, wie leicht es geschehen könnte, und
sehnte sich, es zu tun; aber er hatte ebensowenig die Kraft, die
Hülle wegzuziehen, wie den Geist von seiner Seite zu entlassen.
Oh, kalter, starrer, schrecklicher Tod, hier richte deinen Altar auf
und umgib ihn mit den Schrecken, über die du verfügst, denn
dies ist dein Reich! Aber dem geliebten und verehrten Haupt
kannst du kein Haar krümmen, von ihm kannst du keinen Zug
widerlich machen. Auch wenn die Hand schwer ist und
herabsinkt, wenn man sie fallen läßt, auch wenn das Herz und
der Puls schweigen; die Hand war offen und barmherzig, das
Herz war offen und warm und gut und der Puls ein menschlicher.
Töte, Schatten, töte! Und sieh, wie seine guten Taten aus der
Todeswunde hervorströmen, um in der Welt ein unsterbliches
Leben auszusäen!
Es war nicht etwa eine Stimme, die diese Worte in Scrooges
Ohren flüsterte, aber doch hörte er sie, während er auf das Bett
starrte. Er dachte, wenn dieser Mann jetzt wieder erweckt
werden könnte, was würde wohl sein erster Gedanke sein? Nur
Geiz, Hartherzigkeit, habgierige Sorge. - Ein schönes Ende
haben sie ihm bereitet!
Er lag in dem düstern leeren Haus, und kein Mann, kein Weib,
kein Kind war da, um zu sagen: »Er war gütig gegen mich in dem
und in jenem, und dieses einen gütigen Wortes gedenkend will
ich seiner warten.« Eine Katze kratzte an der Tür, und die Ratten
ich seiner warten.« Eine Katze kratzte an der Tür, und die Ratten
nagten und raschelten unter dem Kamin. Was sie in dem
Gemach des Todes wol ten und warum sie so unruhig waren,
wagte Scrooge nicht auszudenken.
»Geist«, sagte er, »dies ist ein schrecklicher Ort. Wenn ich ihn
verlasse, werde ich nicht seine Lehre vergessen, glaube mir. Laß
uns gehen.«
Immer noch wies der Geist mit regungslosem Finger auf das
Haupt der Leiche.
»Ich verstehe dich«, antwortete Scrooge, »und ich täte es, wenn
ich könnte.
Aber ich habe die Kraft nicht dazu, Geist. Ich habe die Kraft
nicht dazu.«
Wieder schien ihn der Geist anzublicken.
59
»Wenn irgend jemand in der Stadt ist, der bei dieses Mannes
Tod etwas fühlt«, bat Scrooge ganz erschüttert, »so zeige mir
ihn, Geist, ich flehe dich an.«
Die Erscheinung breitete ihren dunklen Mantel einen Augenblick
vor ihm aus wie einen Fittich; und wie s ie ihn wieder wegzog,
sah er ein taghelles Zimmer, in dem sich eine Mutter mit ihren
sah er ein taghelles Zimmer, in dem sich eine Mutter mit ihren
Kindern befand.
Sie wartete auf jemandes Kommen in ängstlicher Hoffnung, denn
sie ging im Zimmer auf und ab, erschrak bei jedem Geräusch,
sah zum Fenster hinaus, blickte nach der Uhr, versuchte
umsonst, sich zu beschäftigen und konnte kaum die Stimmen der
spielenden Kinder ertragen.
Endlich vernahm s ie das langersehnte Klopfen an der Haustür,
und als sie hinausgehen wol te, kam ihr der Gatte entgegen. Sein
Gesicht war abgehärmt und bekümmert, obgleich er noch jung
war! Es zeigte sich jetzt ein merkwürdiger Ausdruck darin: eine
Art ernster Freude, deren er sich schämte und die er zu
verbergen bestrebt war.
Er setzte sich zum Essen nieder, das man ihm am Feuer
aufgehoben hatte; und als die Gattin ihn erst nach langem
Schweigen fragte, was er für Nachrichten bringe, schien er um
Antwort verlegen zu sein.
»Sind es gute«, fragte sie, »oder schlechte?«
»Schlechte«, gab er zur Antwort.
»Sind wir ganz zugrunde gerichtet?«
»Nein, noch ist Hoffnung vorhanden, Caroline.«
»Wenn er sich erweichen läßt«, rief sie erstaunt, »dann ist noch
Hoffnung da!
Nichts ist hoffnungslos, wenn ein solches Wunder geschehen ist.«
»Für ihn ist es zu spät, Erbarmen zu zeigen«, sagte der Gatte. »Er
ist tot.«
Wenn ihr Gesicht Wahrheit sprach, so war sie ein mildes und
geduldiges Wesen; aber sie war doch dankbar dafür in ihrem
Herzen und sprach es mit gefalteten Händen aus. Doch schon im
nächsten Augenblick bat sie Gott, daß er ihr verzeihen möge,
und bereute es; aber das erste Gefühl war die Stimme ihres
Herzens gewesen.
»Was mir die halbbetrunkene Frau gestern abend meldete, als
ich ihn sprechen und um eine Woche Aufschub bitten wol te, und
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