Fragen ganz laut und riet auch oft ganz richtig.
Dem Geist gefiel es sehr gut, ihn in dieser Laune zu sehen, und er
blickte ihn so freundlich an, daß ihn Scrooge wie ein Knabe bat,
blickte ihn so freundlich an, daß ihn Scrooge wie ein Knabe bat,
noch warten zu dürfen, bis die Gäste fortgingen. Aber der Geist
sagte, dies könne nicht geschehen.
»Es fängt ein neues Spiel an«, sagte Scrooge. »Nur eine einzige
halbe Stunde, Geist.«
Es war ein Spiel, das man ›Ja und Nein‹ nennt, wo Scrooges
Neffe sich etwas zu denken hatte und die anderen erraten
mußten, was; auf ihre Fragen brauchte er dann nur mit Ja oder
Nein zu antworten. Die schnell aufeinanderfolgenden Fragen, die
ihm vorgelegt wurden, ergaben denn endlich, daß er sich ein
Geschöpf dachte -. ein lebendiges Wesen, ein häßliches, wildes
Geschöpf, das zuweilen brumme und zuweilen spreche und sich
in London aufhalte und in den Straßen herumlaufe und nicht für
Geld gezeigt und nicht herumgeführt werde und nicht in einer
Menagerie sei und nicht geschlachtet werde, und weder ein
Pferd, noch ein Esel, noch eine Kuh, noch ein Ochs, noch ein
Tiger, noch ein Hund, noch ein Schwein, noch eine Katze, noch
ein Bär sei. Bei jeder neuen Frage, die ihm gestellt wurde, brach
Scrooges Neffe aufs neue in ein Gelächter aus und konnte gar
nicht wieder herauskommen, so daß er vom Sofa aufstehen und
mit den Füßen stampfen mußte. Endlich rief die runde Schwester
mit einem ebenso unauslöschlichen Gelächter:
»Ich habe es, Fred, ich weiß es, ich weiß es.«
»Was ist es?« rief Fred.
»Es ist Onkel Scrooge.«
Und der war es auch. Verwunderung war das al gemeine Gefühl,
obgleich einige meinten, die Frage: »Ist es ein Bär?« hätte mit Ja
beantwortet werden müssen, denn eine verneinende Antwort sei
schon hinreichend gewesen, ihre Gedanken von Scrooge
abzubringen, selbst wenn sie auf dem Wege zu ihm gewesen
wären.
»Nun, er hat uns Freude genug gemacht«, sagte Fred, »und so
wäre es undankbar, nicht auf seine Gesundheit zu trinken. Hier
ist ein Glas Glühwein dazu bereit. Es lebe Onkel Scrooge!«
»Es lebe Onkel Scrooge!« stimmten alle ein.
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»Fröhliche Weihnachten und ein glückliches Neujahr dem Alten,
sei er, wie er wol e!« sagte Scrooges Neffe. »Er wol te meinen
Wunsch nicht annehmen, aber er sol ihn dennoch haben.«
Dem Onkel Scrooge war es unmerklich so fröhlich und leicht zu
Sinne geworden, daß er der von seiner Gegenwart nichts
ahnenden Gesel schaft ihren Toast erwidert und mit einer
unhörbaren Rede gedankt haben würde, hätte ihm der Geist Zeit
dazu gelassen. Aber alles verschwand im Hauch vom letzten
Wort des Neffen, und Scrooge und der Geist waren schon
wieder unterwegs. Sie gingen weit und sahen viel und besuchten
manchen Herd, aber immer spendeten sie Glück. Der Geist
stand neben Kranken, und sie wurden heiter und hoffend; neben
Wanderern in fernen Ländern, und sie träumten von der Heimat;
neben solchen, die mit dem Leben rangen, und sie harrten
geduldig aus; neben Armen, und sie wurden reich. Im
Armenhaus und im Lazarett, im Kerker und in jedem
Zufluchtsort des Elends, wo der Mensch in seiner kurzen
Zufluchtsort des Elends, wo der Mensch in seiner kurzen
ärmlichen Herrschaft dem Geiste die Tür verschlossen hatte,
spendete er seinen Segen und lehrte Scrooge seine Weise.
Es war eine lange Nacht, wenn es nur eine Nacht war; aber
Scrooge zweifelte daran, denn die Weihnachtsfeiertage schienen
in die Zeit, in der sie miteinander verrannen, zusammengedrängt
zu sein. Es war auch sonderbar, daß der Geist offenbar älter
wurde, während Scrooge äußerlich ganz unverändert blieb.
Scrooge hatte diese Veränderung zwar bemerkt, sprach aber nie
davon, bis sie von einer Kinderweihnachtsgesel schaft
weggingen, wo er bemerkte, daß des Geistes Haar schnel grau
geworden war.
»Ist das Leben der Geister so kurz?« fragte Scrooge.
»Mein Leben ist sehr kurz auf dieser Erde«, sagte der Geist, »es
endet noch in dieser Nacht.«
»In dieser Nacht noch!« rief Scrooge.
»Heute um Mitternacht. Horch, die Zeit nahet schon.«
Die Glocke schlug drei Viertel auf zwölf
51
»Vergib mir, wenn ich nicht recht tue, zu fragen«, sagte jetzt
»Vergib mir, wenn ich nicht recht tue, zu fragen«, sagte jetzt
Scrooge, scharf auf des Geistes Gewand blickend, »aber ich
sehe etwas Seltsames unter deinem Mantel hervorblicken, was
nicht zu dir zu gehören scheint. Ist es ein Fuß oder eine Klaue?«
»Nach dem wenigen Fleisch, was darauf sitzt, könnte es schon
eine Klaue sein«, gab der Geist traurig zur Antwort, und fuhr fort:
»Sieh hier!«
Aus den weiten Falten seines Gewandes hervor erschienen jetzt
zwei Kinder, elend, abgemagert, häßlich und mitleiderregend. Sie
knieten vor dem Geiste nieder und hielten sich festgeklammert an
dem Saum seines Gewandes.
»O Mensch, sieh hier«, rief der Geist. »Sieh hier, sieh hier!«
Es war ein Knabe und ein Mädchen. Fahlen Gesichtes, elend,
zerlumpt und mit wildem, tückischem Blicke; aber doch auch
ängstlich und gedrückt in ihrer Demut. Wo die Schönheit der
Jugend ihre Züge hätte durchleuchten und mit ihren frischesten
Farben kleiden sol en, hatte s ie eine runzlige, abgelebte Hand,
gleich der des Alters, berührt und versehrt. Wo Engel hätten
thronen können, lauerten Teufel mit grimmigem, drohendem
Blick. Keine Veränderung, keine Entwürdigung der Menschheit
in allen Geheimnissen der Schöpfung hat so schreckliche und
grauenerregende Ungeheuer aufzuweisen.
Entsetzt fuhr Scrooge zurück. Da sie ihm der Geist auf solche
Weise gezeigt hatte, versuchte er zu sagen, es wären schöne
Weise gezeigt hatte, versuchte er zu sagen, es wären schöne
Kinder, aber die Worte erstickten ihm von selber, um nicht
teilzuhaben an einer so ungeheuren Lüge.
»Geist, sind das deine Kinder?« Weiter konnte Scrooge nichts
sagen.
»Es sind des Menschen Kinder«, erwiderte der Geist, auf sie
herabschauend.
»Und sie hängen sich an mich, vor mir ihre Väter anklagend.
Dieses Mädchen ist die Unwissenheit. Dieser Knabe ist der
Mangel. Schau sie beide wohl an, und vor al em diesen Knaben;
denn auf seiner Stirn seh' ich geschrieben, was Verhängnis ist,
wenn die Schrift nicht verlöscht wird. Leugnet es«, rief der Geist,
seine Hand nach der Stadt ausstreckend.
»Verleumdet alle, die es Euch sagen! Gebt es zu um Eurer
Parteizwecke willen und macht es noch schlimmer! Und erwartet
das Ende!«
»Haben sie keine Stütze, keinen Zufluchtsort?« rief Scrooge.
»Gibt es keine Gefängnisse?« sagte der Geist, das letztemal die
eigenen Worte von Scrooge gegen ihn gebrauchend. »Gibt es
keine Armenhäuser?«
Die Glocke schlug zwölf.
Scrooge sah sich um nach dem Geiste, aber er war
verschwunden. Als der letzte Schlag verklungen war, erinnerte er
sich an die Vorhersagung des alten Jacob Marley und sah, die
Augen erhebend, ein grauenerregendes, tief verhülltes Gespenst
auf sich zukommen, wie ein Nebel auf dem Boden dahinzurollen
pflegt.
52
Der letzte Geist
Die Erscheinung kam langsam, feierlich, schweigend auf ihn zu.
Als sie herangekommen war, fiel Scrooge auf die Knie nieder,
denn selbst die Luft, durch die sich der Geist bewegte, schien
geheimnisvolles Grauen um sich zu verbreiten.
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