Elsa Steiner drehte sich zur Seite, das Schnarchen hörte auf. Leise stieg er in den Raum, stellte sich an das Fußteil des Bettes, wartete geduldig. Dann drehte die Frau sich wieder auf den Rücken, das Schnarchen begann von vorne. Das war die Gelegenheit, auf die er gewartet hatte. Schnell sprang er auf das Bett, kniete sich über die Frau, die Beine links und rechts neben sie, presste die linke Hand auf ihren Mund. Mit der rechten hielt er ihr sein Messer an den Hals.
Elsa erwachte und riss die Augen auf. Was war das? Wer wagte es, sie des Nachts in ihrem eigenen Bett zu überfallen? Wollte ihr Mann sich etwa mit Gewalt nehmen, was ihm seiner Meinung nach zustand? Aber das würde sie niemals zulassen.
Doch dann erkannte sie, wer da über ihr kniete. Entsetzen machte sich auf ihrem Gesicht breit. Sie fürchtete sich beinahe zu Tode, wollte schreien, aber der junge Mann hielt ihr weiter den Mund zu.
»Keinen Ton!«, herrschte er sie an. »Sonst ramme ich Euer Gnaden das Messer durch den Hals in Euren verdammten Kopf, verstanden? Und glaubt mir, es wird mir Vergnügen bereiten, Euch abzustechen!«
Elsa nickte leicht und der Mann nahm die Hand von ihrem Mund.
»Du …«, presste sie hervor.
»Ja, ich. Damit habt Ihr wohl nicht gerechnet.«
Elsa Steiner überlegte. Sie war klug genug zu wissen, dass eine Einschüchterung sinnlos war.
»Was willst du?«
Er lachte freudlos auf.
»Das Geld, das Ihr mir und meinen toten Freunden schuldet. Ansonsten … ich glaube, Euer Ehemann wird bestimmt sehr verwundert aus Seiner Gnaden Anzug schauen, wenn er Euch hier mit durchgeschnittener Kehle findet!«
In Elsas Kopf rasten die Gedanken. Sie hatte eine Erwiderung auf der Zunge, schluckte sie aber hinunter.
»Hast du einen Namen?«, fragte sie sanft.
»Meist nannte man mich Bursche, aber getauft bin ich auf den Namen Thomas.«
Sie entspannte sich.
»Nun, Thomas, du sollst dein Geld bekommen.«
»Nicht nur meines!«
»Auch das deiner Freunde. Denn du hast es dir verdient. Sie waren zu dumm, oder?«
Er wurde unsicher. Was meinte sie?
Elsa spürte, dass sie die Situation langsam wieder in den Griff bekam. Sie redete weiter.
»Ihr hättet nichts weiter tun müssen als beim Schreiber auszusagen, dass ihr die Hexe gesehen habt. Dafür hatte ich euch bezahlt. Den Rest solltet ihr bekommen, wenn sie brennt. Aber was haben deine dummen Freunde gemacht? Sie haben sich betrunken und dann mit dem Henker angelegt.«
Thomas nickte. Ja, das war dumm gewesen.
»Sag, Thomas, möchtest du nicht mit mehr Gold, als du je gesehen hast, als freier und reicher Mann Rothenburg verlassen?«
Er zögerte, spürte, wie sie ihn einlullte.
»Du kannst dir damit alle Mädchen kaufen, die du möchtest. Oder auch junge Burschen.«
An seinem Gesichtsausdruck erkannte sie, dass sie richtig vermutet hatte. Es war ihr sofort aufgefallen. Die engelsgleichen Züge, die weichen Augen, sein Gehabe. Er drückte ihr das Messer stärker unters Kinn.
»Ich bin kein verdammter Sodomit!«
»Nein, das bist du nicht, natürlich nicht.«
So, wie die anderen drei mit ihm umgegangen waren, hatte sie erkannt, dass er des Öfteren hatte stillhalten müssen. Und darauf baute sie jetzt.
»Ich habe einen Vorschlag.«
Er nickte.
»Raus damit, du Hure.«
Sie lächelte.
»Die Hexe lebt immer noch. Bisher ist es noch niemandem gelungen, sie zu töten. Auch ein gedungener Mörder hatte leider keinen Erfolg. Aber du, du könntest ihn haben, wenn du das tust, was ich sage.«
»Und was ist für mich drin?«
»Gold! Ein Pferd! Freies Geleit! Was du möchtest.«
Er überlegte.
»Und was muss ich tun?«
Die Vogtin legte ihm ihren Plan auseinander. Thomas hörte aufmerksam zu. Die Sache gefiel ihm. Er konnte reich werden.
»Vergiss nicht: Sie müssen alle sterben! Die Hexe und dieser verdammte Henker! Ich will, dass sie tot sind! Verstehst du? Und ich will auch diesen verdammten Sodomiten, der nur kleine Jungs in den Arsch fickt, tot sehen! Dieser verkrüppelte Hurensohn von einem Schreiber! Wenn du das tust, wirst du reicher sein, als du es dir je erträumt hast.«
Elsa wusste, damit traf sie einen wunden Punkt in ihm. Wie sie das sah, war Thomas oft genug auf diese Weise genommen worden. Und da er sich an denen, die ihm das angetan hatten, nicht mehr rächen konnte, würde Popolius die ganze angestaute Wut zu spüren bekommen. Nach einer Weile nickte er.
»Eine Sache noch: Ich will ein Gut!«
»Du wirst es bekommen. Wenn du den ersten Teil deiner Aufgabe erfüllt hast, werde ich dir zeigen, wo die Urkunde dafür ist. Es wird dir niemand mehr nehmen können.«
Er stieg von ihr herunter, wandte sich zum Gehen, hob aber zuvor noch einmal sein Messer.
»Wenn Ihr mich betrügt, dann werde ich es Euch zwischen Eure Beine stoßen, bis es zum Hals wieder hinauskommt!«
Dann ging er rückwärts zum Fenster, sah kurz hinaus und verschwand.
Elsa sah ihm nach, grinste teuflisch.
»Mein Junge, ich glaube, du weißt gar nicht, mit dem du dich eingelassen hast.«
Nachdem die Vorstellung zu Ende war, gingen Marie und Matthias zum ›Goldenen Schwan‹. Marie wollte sehen, ob Magdalena Hilfe gebrauchen konnte. In der Tat waren ein paar zusätzliche Hände dringend nötig. Der Schweiß stand Magdalena auf der Stirn.
Matthias fand einen freien Platz und setzte sich, während Marie, ohne groß zu fragen, hinter den Tresen ging und half. Matthias war stolz auf seine Frau. Und er freute sich auf zu Hause.
Es war Marie auf hundert Meter anzusehen, dass auch sie an nichts anderes denken konnte als die kommende Nacht. Wann immer sie konnte, warf sie Matthias quer durch die Schänke ein strahlendes Lächeln zu, und sobald sie sich unbeobachtet glaubte, betrachtete sie seine Hände, seine Lippen und leckte sich die eigenen.
Sie verstand langsam, warum Helga in der Nacht heimlich zu Karl schlich.
»Naaaa? Wie war deine Hochzeitsnacht?«
Marie hatte nicht bemerkt, dass Magdalena sich genähert hatte, und stieß vor Schreck den Krug Bier um, den sie gerade füllte.
Sie wurde hochrot.
»Oh, das tut mir leid, das wollte ich nicht!«
Magdalena grinste.
»Für das verschüttete Bier musst du mir jetzt alles erzählen ... so, wie du dreinschaust, kann es nicht schlecht gelaufen sein!«
»Schlecht?«
Marie stieß einen tiefen, zittrigen Seufzer aus.
»Magdalena, du hast mir nicht erzählt, dass er so wundervoll ist. Er hat mit dem Mund ... da unten ...«
Sie wurde rot und kicherte.
»Ja, das kann er wirklich gut, nicht wahr?«, lachte Magdalena mit ihr, die zu gut wusste, wie Matthias einer Frau Lust bereiten konnte, hatte sie doch sehr lange dieses Vergnügen gehabt.
Wieder ein Seufzen.
»Ich hatte noch nie solche Gefühle ... das war wie Explodieren und Schmelzen zugleich!«
Die Wirtin des ›Goldenen Schwans‹ konnte ihre Neugierde nicht bezähmen.
»Und? Hat er dich zur Frau gemacht?«
Marie nickte eifrig.
»Ja, hat er. Ich hatte ja schon Angst, weil er so ... so riesig ist ... aber es hat gar nicht weh getan ... er ist wahnsinnig sanft ...«
Mit traumverlorenem Lächeln sah sie zu Matthias hinüber, dessen Blicke unermüdlich durch den Raum wanderten, immer auf der Suche nach möglichem Ärger. Zufrieden musterte Magdalena ihren Schützling.
»Kindchen ... du bist ja verliebt, kann das sein?«
Marie senkte leicht den Kopf, sodass ihr blondes Haar das schöne Gesicht verdeckte.
»Ja, das kann sein ... ich hätte es nie gedacht, aber es ging ganz schnell.«
Magdalena strich ihr über die Wange.
»Ich habe dir doch gesagt, der Matthias ist ein Braver.«
Читать дальше