»Er ist mehr als nur das!«
Wieder wanderte der Blick Maries zu ihrem Mann und Magdalena wurde es ganz warm ums Herz. Dass es so schnell so gut zwischen den beiden funktionieren würde, hatte selbst sie nicht geglaubt.
»Wir sprechen später noch einmal. Jetzt muss ich mal was tun!«, zwinkerte die Wirtin Marie zu und griff sechs Bierkrüge auf einmal. Den Letzten stellte sie schließlich vor Matthias hin und setzte sich breit grinsend zu ihm an den Tisch.
»Na, mein Großer? Wie ist es dir ergangen?«
Matthias wurde leicht verlegen. Obwohl Magdalena seine intimsten Geheimnisse kannte, war er es doch nicht gewöhnt, darüber zu reden. Aber an seinem Lächeln, wenn er Marie ansah, erkannte Magdalena, was er fühlte.
»Nun komm, mein Großer. Oder hast du kein Vertrauen mehr zu mir?«
Er drehte den Bierkrug in seinen Händen und seufzte.
»Sie war noch Jungfrau …«
Magdalena lachte.
»Hast du das bezweifelt?«
Er schüttelte den Kopf.
»Nein. Aber so, wie sie mich verwöhnt hat … mit ihrem Mund ...«
Magdalena grinste. Wie jeder Mann, den sie kannte, mochte Matthias dieses Gefühl.
Es wurde zwar immer wieder gepredigt, dass dies eine Sünde wäre, aber das kümmerte sie selber schon lange nicht mehr. Und zum Glück Marie auch nicht.
»Du denkst, sie hat schon mal mit jemandem?«
Er nickte.
»Stört dich das?«
»Nein! Um Gottes willen. Selbst wenn sie keine Jungfrau mehr gewesen wäre, hätte es mich nicht gestört.«
»Aber ihr habt doch die Jungfrauenprobe machen lassen. Und sie wurde bestätigt. Wieso hast du denn dann gezweifelt?«
Matthias lächelte.
»Auch eine Braut Christi sagt nicht immer die Wahrheit, wenn es darum geht, ein Menschenleben zu retten. Sagte Meister Malachias jedenfalls. Und doch, ich habe es geglaubt, ich gebe es zu. Marie war dafür viel zu rein. Aber, nun ja, als sie bei mir ... mit dem Mund ... unerfahren war sie jedenfalls nicht. Und ich glaube, das ist auch gut so. Aber der erste Mann, das war definitiv ich.«
Magdalena sah ihm in die Augen.
»Aber du warst sanft, oder?«
Er nickte.
»Ich habe deinen Rat befolgt.«
»Sie war mehr als bereit, sagte sie.«
Wieder wurde er rot. Er begriff, dass Marie und Magdalena wohl keine Geheimnisse voreinander hatten. Sie hatten es alle nicht ausgesprochen, aber er ahnte, dass Marie darüber Bescheid wusste, dass Magdalena des Öfteren sein Bett gewärmt hatte.
»Ja. Und ich habe mich erinnert, was du mal gesagt hast. Dass ich die Frau beim ersten Stich ablenken soll.«
Magdalena lächelte. Er hatte es sich gemerkt.
»Ohrläppchen?«
Er nickte.
»Matthias … bist du glücklich?«
»Ja. Das bin ich.«
Wieder sah sie, wie er einen langen, sehnsuchtsvollen Blick zu seiner Frau warf und Marie diesen Blick erwiderte. Magdalena lachte schallend.
»Matthias Wolf! Der Henker von Rothenburg ist bis über beide Ohren verliebt«, entfuhr es ihr, bevor sie nachdenken konnte.
So rot hatte sie Matthias noch nie gesehen. Sie wurde wieder ernst.
»Matthias, liebst du sie?«
Er nickte.
»Mehr als mein eigenes Leben.«
Sie stand auf.
»Kommt bitte nachher nach hinten, ich muss mit euch beiden reden.«
Damit ließ sie ihn alleine.
Als sich der Gastraum langsam leerte, der Vogt hatte nach den Ereignissen der letzten Nacht eine Sperrstunde verhängt, und sich die Mädchen mit den letzten Freiern zurückgezogen hatten, folgen Marie und Matthias ihr in einen Raum neben der Küche. Magdalena sah von einem zum anderen. Dann seufzte sie.
»Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll. Also sage ich es euch direkt: Ich werde sterben!«
Marie keuchte erschrocken, Matthias wurde leichenblass.
»Was soll das? Treib keine Scherze mit uns!«
Magdalena schüttelte den Kopf.
»Das ist leider die Wahrheit. Während der Zeit, als ich noch in Nürnberg war und wir uns vor den Häschern der Inquisition verstecken mussten, habe ich mit meiner Mutter in einer Gerberei gearbeitet. Eines Morgens hustete sie Blut, hatte Fieber. Nach einer Weile ging es ihr besser, aber die Anfälle kamen wieder, wurden häufiger und heftiger. Sie hat sich am Schluss fast die Lunge aus dem Leib gehustet.«
Marie weinte.
»Aber … da muss es doch Heilung geben …«
»Kindchen, wenn es die gäbe, ich hätte sie gefunden, glaube mir. Ich habe alles Mögliche an Kräutern gesucht, habe Kompressen gemacht, gemischt, gemörsert, geräuchert. Aber nichts von alledem, was ich probierte, hat geholfen. Am Ende musste ich meine Mutter zurücklassen. Sie war zu schwach, um zu fliehen, als die Inquisition kam. Aber ich glaube nicht, dass sie den Scheiterhaufen noch erlebt hat. Sie muss vorher gestorben sein.«
»Wenn du nicht einmal genau weißt, ob sie daran gestorben ist, wie kommst du dann darauf, dass es so schlimm ist?«, warf Matthias ein. Sie sah ihm mit einem tieftraurigen Blick in die Augen.
»Matthias, meine Mutter war nicht die erste Gerberin, die diese Krankheit bekommen hat. Wie viele von den Gerbern kennst du, die wirklich alt geworden sind? Und es hat bereits angefangen.«
Matthias und Marie sahen sich betroffen an. Damit hatten sie nicht gerechnet. Marie rang ihre Hände.
»Aber … was willst du machen?«
Magdalena sah sie an.
»Zunächst einmal möchte ich, dass du hier öfter arbeitest. Ich brauche deine Hilfe. Und, für den Fall der Fälle, werde ich euch zeigen, wo mein Hausbuch liegt. Darin werdet ihr alles finden, was ihr wissen sollt und wissen müsst.«
Sie lachte jetzt.
»Aber bis dahin ist es noch etwas hin. Lasst uns das Leben genießen, solange es geht!«
Sie holte drei Krüge Wein und gemeinsam tranken sie, redeten über alles Mögliche. Nach und nach verblasste der Schatten des Todes, der über ihnen schwebte. Insgeheim jedoch Marie hatte einen Entschluss gefasst, über den sie mit Matthias reden wollte. Aber erst wollte sie etwas anderes. Ihr Schoß pochte. Sie brauchte jetzt etwas, um dieses Pochen zu befriedigen. Und das war in seinen Hosen.
Sie verabschiedeten sich. Marie eilte noch einmal zu Magdalena.
»Sag mir … bitte …«
Magdalena grinste. Sie wusste, was Marie wollte. In all ihrer Schönheit war sie doch in Liebesdingen unerfahren.
»Versuch ihn zu reiten«, gab sie ihr mit auf den Weg.
Marie lächelte sie dankbar an und zerrte ihren Mann förmlich nach Hause.
Vor den Stadtmauern unterhielt ein Feuerschlucker die Rothenburger mit seinen Künsten, entlockte ihnen Schreie der Begeisterung, aber Marie sah kaum hin. In ihrem Kopf spukten Bilder von der vergangenen Nacht und dem Mittag, Bilder von Matthias´ nacktem Körper. Sie musste ihn jetzt haben, da war kein Platz mehr für irgendetwas anderes.
Sie ließ sich kaum die Zeit, die Tür des Henkershauses hinter ihnen zu schließen, und noch bevor Matthias sein Erstaunen bekunden konnte, hing sie ihm am Hals, küsste ihn leidenschaftlich.
Als sie sich trennen musste, um Luft zu bekommen, wisperte sie ihm zu: »Du wolltest wissen, wie du mir die Belohnung vergelten kannst …«
Als sie voneinander abließen, rang Marie nach Atem, doch zufrieden kuschelte sie sich an ihn und streichelte seine Brust.
»Ich wusste nicht, wie schön das sein kann. Ich glaube, ich will nie mehr damit aufhören.«
Er hatte einen Arm um sie gelegt und wieder einmal fühlte Marie sich angenehm behütet. Von der Stadt drangen gedämpfte Geräusche von Trommeln zu ihnen hinunter. Um andere Instrumente hören zu können, waren sie zu weit weg. Die Menschen feierten immer noch. Marie erinnerte sich plötzlich daran, dass Matthias morgen einen harten Tag haben würde. Sie hatte ein wenig Angst davor.
»Soll ich dich morgen zum Richtplatz begleiten?«, fragte sie leise. In ihrer Stimme klang eine leise Furcht.
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