Ein Herr ungefähr in ihres Vaters Alter stand auf. Er trug ein kostbares Plaid 15aus orange-dunkelblauem Tartan. „Was ist so wichtig, Angus?“
Angus nahm Haltung an. „Die neue Kammerzofe für die junge Lady ist da, Mylaird. Ihr Vater hat mir versichert, dass sie wohlerzogen, zuverlässig, äußerst fleißig und zutiefst gläubig ist.“
Der Laird nickte zufrieden, doch Fiona traute ihren Ohren kaum. Hatte sie richtig gehört? Sie sollte Kammerzofe auf diesem Castle werden? Aber warum? Wie?
Angus schaute sie an und sprach: „Fiona, das ist Mr. Aidan Afton McCunham, der Laird dieser Burg.“
Überwältigt machte Fiona einen Knicks. Dann hörte sie eine angenehme weibliche Stimme: „Ah, die neue Zofe. Sehr gut. Lady Raelyn, ich hoffe, sie gefällt Euch.“
Fiona entdeckte die Quelle dieser Worte: eine Dame mittleren Alters in einem edlen dunkelgrünen Kleid unterhielt sich mit einer um einige Jahre jüngeren Dame in ebenso edlem dunkelrotem Gewand. Das wird die Lady der Burg sein, dachte Fiona ehrfürchtig . Die Edelsteine der beiden Damen funkelten.
Die Angesprochene drehte nun ihr blasses, zartes Gesicht in Richtung Fiona. „Wir werden sehen.“ Mehr Worte schien sie nicht für nötig zu halten.
„Meine Sonne, gib dem Mädchen eine Chance“, beschwichtigte sie der jüngere Herr, der in ähnlichem Gewand wie der Laird gekleidet war.
„Gut Angus, ihr könnt gehen“, sagte der Laird nun knapp.
„Sehr wohl, Mylaird.“ Angus verbeugte sich kurz und nahm Fiona mit hinaus, die ganz vergaß, einen Knicks zu machen.
Vor der Tür stand nun eine Frau in Magdkleidung.
„Das ist Colina“, sagte Angus. „Sie kümmert sich um dich und zeigt dir deine Kammer. Ich muss wieder an die Arbeit.“ Damit verließ Angus sie, der einzige Mensch in diesem großen Castle, bei dem sie sich halbwegs sicher fühlte.
Fiona wurde übel. Sie wusste, dass das kein Spiel war, sondern tiefster Ernst. Sie musste auf dieser Burg bleiben. Ihr Herz wurde schwer. Lieben meine Eltern mich denn überhaupt nicht?
An diesem Tag hatte Fiona ihre Eltern das letzte Mal gesehen. Auch ihre Geschwister Hailey, Alick, Finley, Torin, Sloan, Callum, Kelvin und Brenda waren mit einem Mal aus ihrem Leben verschwunden. Ihre Zukunft lag auf dieser Burg und die Erinnerung an ihre Familie würde mit der Zeit immer mehr verblassen.
Seufzend dachte Fiona an diesen schweren Augenblick zurück und an die Angst, die sie verspürte - so allein mit all den fremden Menschen auf diesem riesigen Castle.
Die erste Zeit stellte für Fiona eine große Herausforderung dar. Sie war die Kammerzofe von Raelyn Isobel McCunham, der Gattin des Erben des Lairds: Alistair Afton. Die bisherige Zofe hatte der jungen Lady nicht mehr zugesagt und so suchte sie nach einer neuen. Lady Raelyn, eine eher zart besaitete Dame, war pedantisch und kompliziert und hatte an allem etwas auszusetzen. Doch Fiona ertrug dies geduldig und war stets fleißig und freundlich.
Fiona zermarterte sich immer wieder das Hirn, was sie falsch gemacht hatte und warum ihre Eltern sie nicht mehr wollten.
Erst viel später fand Fiona heraus, dass ihre Eltern Mühe hatten, einen Mann und somit eine Versorgung für sie zu finden. Mit ihren Brüdern war der Hof gut ausgelastet. Als Russel von seinem Bekannten Angus, dem Verwalter von Dunnottar Castle, hörte, dass auf der Burg eine Kammerzofe gesucht wurde, boten sie Fiona an, ohne diese zu fragen. Und so kam Fiona schließlich nach Dunnottar Castle und hatte zumindest einen Schlafplatz und etwas zu essen.
Doch das Leben wurde leichter. Nach und nach wusste Lady Raelyn die ruhige und besonnene Art ihrer neuen Zofe zu schätzen. Schließlich begann sie Fiona zu mögen und sogar in gewissem Maße zu respektieren. Fiona konnte sich auch immer mehr für Lady Raelyn erwärmen.
Mit den anderen Bediensteten hatte sie durch ihre angenehme Art keine Probleme. Und dann kam eins zum anderen. Fiona und Tevin sahen sich wieder, verliebten sich und durften im Jahr 1670 sogar heiraten.
Tevin war der Sohn des Stallmeisters Gavin Burton. Dieser starb leider zwei Jahre später im Alter von 53 Jahren. Und somit wurde Tevin, gerade 24 Jahre alt, Stallmeister des Lairds von Dunnottar Castle.
Fiona war damals das zweite Mal schwanger, mit Rory, ihrem zweiten Sohn. Jaimie ist im Jahr davor zur Welt gekommen.
Nun zogen Fiona und Tevin in das Schlafzimmer seiner Eltern und seine Mutter Deenah in ein kleineres Zimmer im unteren Stockwerk. Tevin musste sich ab diesem Tag allein um die Pferde kümmern und war die meiste Zeit im Stall.
Traurig erinnerte sich Fiona an das Jahr 1675, in dem sie ihre Tochter Moira zur Welt brachte. Doch diese starb bereits einige Tage nach der Geburt und Fiona brach es fast das Herz.
Zwei Jahre später, 1677, wurde Fiona erneut schwanger. Während der gesamten Schwangerschaft hatte sie Angst um das Kind und versuchte, sich so gut es ging zu schonen. Doch ihre Sorge blieb unbegründet. Sie gebar gleich zwei gesunde Kinder: Shona und Arthur.
Genau bei diesen Gedanken spürte sie einen Stich in der unteren Bauchgegend. Ihr Atem setzte vor Schmerz einen Augenblick aus. Ich muss mich setzen! Automatisch tastete ihre Hand nach einem Stuhl. Sie fand zum Glück einen und Fiona setzte sich umständlich.
Noch ein Stich. Diesmal stärker. Fiona wusste, was das bedeutete: das Kind kam!
Sieben
- 1690 -
„Darf ich wieder in die Küche gehen?“
Kirstie hatte alles sauber gemacht und musste dringend wieder an die Arbeit.
„Ja, hier ist alles in Ordnung. Vielen Dank für deine Hilfe.“
Tevin war sehr dankbar für den Beistand der Köchin und betrachtete glücklich seinen kleinen Sohn, der in seinem Arm lag, und seine schlafende Frau auf der Pritsche. Kirstie hatte bei den meisten Geburten der Bediensteten auf der Burg in den letzten 24 Jahren geholfen und viel Erfahrung auf diesem Gebiet gesammelt. Sie wusste, dass es dieses Mal sehr knapp gewesen war, für das Kind und für Fiona. Doch das sagte sie niemandem. Erleichtert und erschöpft ging Kirstie wieder an die Arbeit, obwohl sie nach den vielen anstrengenden Stunden dringend Schlaf gebraucht hätte.
Fiona erholte sich nur langsam und musste noch zwei Wochen im Bett bleiben. Zum Glück war Shona da und konnte sich um den Haushalt kümmern. Sie wickelte auch ihren Bruder und badete ihn, da ihre Mutter nicht aufstehen konnte.
Mit dem Stillen gab es einige Probleme und die Familie hatte Sorge, dass der Junge genug Nahrung bekam. Nach ein paar Tagen, in denen die Muttermilch nicht ausreichen wollte, musste der Kleine mit Rindermilch zugefüttert werden. Doch er war ein zäher kleiner Junge und entwickelte sich bald zu einem munteren, fröhlichen Säugling.
Nach der Taufe des kleinen Angus ging Sean zu seiner Großmutter, um ihr davon zu berichten. Er besuchte sie nach wie vor häufig, wobei ihr Zustand sich schnell ändern konnte. Es gab Zeiten, da war Kendra nicht fähig, sich mit ihrem Enkel zu unterhalten. Dann hörte sie nur zu, was er erzählte. Sean war das einzige Familienmitglied, welches sie häufig besuchte und ihre Hauptquelle, um Neues zu erfahren.
Kendra hatte gerade eine lange Phase hinter sich, in der es ihr nicht gut gegangen war und Sean erinnerte sich, dass es Mai gewesen war, als sie das letzte Mal etwas erzählt hatte.
Sie berichtete damals, dass nach der Belagerung acht Jahre vergangen waren, in denen die Burg von englischen Soldaten besetzt war. Doch im Jahre 1660 übernahm der schottische König Charles II. wieder den schottischen Thron und die Soldaten mussten abziehen. Seans Urgroßvater Hamish, der in seinem betagten Alter von 75 Jahren immer noch erstaunlich rüstig war, ging mit Aidan und ein paar Männern auf die zerstörte Burg zurück. Aidan war als Alleinerbe übriggeblieben. Der trostlose Zustand der Burg stellte eine große Herausforderung dar. Außer dem Tower House, Teilen des Palais` und einem Stück von der Kapelle waren fast alle Gebäude zerstört. Doch Hamish hatte immer noch seinen eisernen Willen und wies sofort Bauleute an, die Burg wieder aufzubauen. Er benutze dafür das Vermögen der Familie, was zum Glück gut versteckt und nicht von den Soldaten entdeckt worden war. Sie begannen mit dem Palais und nach einem Jahr war es soweit wieder hergerichtet, dass Aidan mit seiner Familie und ein paar der Bediensteten auf die Burg zurückziehen konnten. Die Witwen seiner Brüder blieben mit ihren Kindern in Stonehaven, wo sie schon Bekanntschaften gemacht hatten und ihrer Meinung nach ein besseres Leben haben würden.
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