Ferdinand Gregorovius
Papst Alexander VI. und seine Zeit
Papst Alexander VI. und seine Zeit
Ferdinand Gregorovius
Bebilderte Ausgabe
Impressum
Texte: © Copyright Ferdinand Gregorovius
Umschlag: © Copyright by Walter Brendel
Verlag: Das historische Buch, 2021
Mail: walterbrendel@mail.de
Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH,
Berlin
Inhalt
Einführung
I. Das Papsttum der Renaissance
II. Herkunft und Aufstieg der Borgias
III. Rodrigo Borgias Laufbahn
IV. Papst Alexander VI.
V. Cesare Borgia
VI. Untergang der Borgias
Zeittafel
Papst Alexander VI. und seine Zeit: das war die weltlichste und glanzvollste Periode des Papsttums, das war die »Renaissance«, der Untergang der mittelalterlichen Welt und ihrer Hauptstadt Rom.
Von keiner Stadt sind so nachhaltige und andauernde Wirkungen ausgegangen wie von Rom, der ewigen Stadt. Die Macht und das Ansehen des alten Roms waren so gewaltig, dass noch Jahrhunderte nach dem Verfall des römischen Imperiums der Name der verödeten Stadt mit Ehrfurcht und Bewunderung genannt wurde. Rom blieb das Größte und Mächtigste, was Menschenhand geschaffen hatte, ein Umstand, dem die römischen Bischöfe der christlichen Kirche den Primat verdankten, d. h. die oberste Gewalt in der Leitung der allgemeinen Kirche und die höchste Autorität in allen Glaubensfragen. Der Übertritt des Kaisers Konstantin zum Christentum und die Verlegung seiner Residenz nach dem Bosporus stärkten das Ansehen und die Selbständigkeit des römischen Bischofs, der bald den Titel »papa«, den im 5. Jahrhundert noch alle Bischöfe der abendländischen Kirche führten, allein für sich beanspruchte. Leo I. (»der Große«, 440-61) übernahm die altrömische Bezeichnung »Pontifex maximus«. Inhaber dieser Würde, die die Oberaufsicht über die Kirche bedeutete, waren seit Augustus die römischen Kaiser gewesen. Im achten Jahrhundert begründete Rom seine Hierarchie unter den germanischen Stämmen, indem es einen dauernden Bund mit den Karolingern in Frankreich schloss und durch den Besitz des Kirchenstaates (»Patrimonium Petri«) weltliche Macht erlangte.
Die höchste Macht des Papsttums begründete Gregor VII. (1073-85), der die kirchliche und politische Alleinmacht beanspruchte. Er bestritt das Recht der Landesherren, vor allem des Kaisers, Bischöfe und Äbte einzusetzen und zu belehnen (Investitur). Nach Gregor VII. war der Papst der höchste Richter aller Geistlichen und Laien; er aber konnte von keinem zur Rechenschaft gezogen werden. Der Papst nannte sich nun nicht nur Nachfolger Petri, sondern Stellvertreter Christi auf Erden. Der mächtigste aller Päpste war Innocenz III. (1198-1216), der erste unumschränkte Herrscher des Kirchenstaates: die Könige und Kaiser waren in vielen wichtigen Dingen von seinem Wohlwollen abhängig.
Der politische Sieg des Papsttums über das Kaisertum erscheint heute unbegreiflich; er liegt begründet in den ungünstigen Verfassungsverhältnissen der damaligen Zeit. Die unbeschränkte Macht hatte der Kaiser nur in seinem Stammland. Die geistlichen Lehen, die nach dem Tode ihrer Inhaber dem Kaiser wieder zufielen, bildeten dessen stärkste Stütze in seinem ständigen Kampf mit den Lehnsherren, den Kurfürsten, und in der Verwaltung des Reichs waren die staatsmännisch gebildeten geistlichen Herren, in einem fast analphabetischen Staate, von ausschlaggebender Bedeutung. Die kirchlichen Ansprüche auf die Investitur mussten die schwersten Erschütterungen nach sich ziehen.
Mit dem Niedergang des deutschen (»römischen«) Königtums aber verband sich ein Absinken des Papstkönigtums. Unter den sich bildenden Nationalkirchen Europas erlangte die französische Kirche bald die größte Bedeutung, und die päpstliche Macht geriet in den Dienst der französischen Politik. Von 1309-1417 residierten die Päpste in Avignon, und die Kirche nennt diese Zeit ihre »babylonische Gefangenschaft«. Das Ansehen des Papsttums sank von Jahr zu Jahr, vor allem durch die immer krasser hervortretende Geldgier der Kurie. Von 1378-1418 gab es einen Papst in Avignon und einen in Rom (»Schisma«). Überall rief man nach »Reform der Kirche an Haupt und Gliedern«. Auf dem Konzil zu Konstanz wurde der revolutionäre Grundsatz aufgestellt, dass das Konzil über dem Papst stehe. Aber vor beendigter Reformation wählte man Martin V. zum Papst, der die Reform der Kirche zu hintertreiben wusste und ein italienisches Papstkönigtum anstrebte. Ein Jahrhundert lang missbrauchte das Papsttum seine kirchlichen Befugnisse, immer wieder nach Geld und Macht trachtend. Immer weltlicher wurde das Papsttum, immer tiefer sank die Kurie in die Laster der Zeit, bis endlich die deutsche Reformation dem päpstlichen Traum nach politischer Weltherrschaft ein für alle Mal ein Ende machte.
Diese letzte Periode des Papsttums vor der Reformation, dessen abschreckendster Höhepunkt die Herrschaft der Borgias war, schildert Ferdinand Gregorovius in dem vorliegenden Band, der seiner berühmten »Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter« (Stuttgart 1859-73, 8 Bde.) entnommen ist. Dieser großartige Kenner Italiens und seiner Geschichte wurde am 19. Januar 1821 zu Neidenburg in Ostpreußen geboren; er studierte in Königsberg Theologie und PhilosophieÏ, wandte sich dann jedoch der Dichtkunst und der Geschichte zu und verbrachte die Hälfte seines Lebens in Italien. Am 1. Mai 1891 starb er in München, aber sein Werk lebt und wird auch heute begeisterte Leser finden.
Der Verlag
I. Das Papsttum der Renaissance
In der lateinischen Welt trat die Renaissance als Wiedergeburt des klassischen Heidentums auf: in der germanischen wurde sie zur Renaissance des evangelischen Christentums. Es war die vereinigte Wirkung dieser beiden Hälften des europäischen Geistes, welche die moderne Kultur erschuf.
Die veredelte Menschlichkeit der Kirche und des Staats, der Völker und der Bürger kann sich aus diesem Prozeß nur durch die Arbeit der Zeit gestalten, aber sie ist doch schon im fünfzehnten Jahrhundert als der aufgehende Keim des neuen Kulturideals sichtbar, welches an die Stelle des katholischen Ideals des Mittelalters trat, wie es in der Kirche und dem Reich, den universalen Formen des Abendlandes, bisher ausgedrückt gewesen war.
Seit dem Konzil zu Konstanz erfuhr die Menschheit eine tatsächliche Verwandlung. Sie trat aus der Phantasiewelt des Mittelalters in einen praktischen Zustand über. Den Zauberbann dogmatischer Übersinnlichkeit, worin sie die Kirche gefesselt hielt, lösten das Wissen und die erfinderische Arbeit allmählich auf.
Große Tatsachen eröffneten dem Menschen des fünfzehnten Jahrhunderts einen weiteren Horizont, und sie schufen eine unermessliche Fülle von Lebensstoff. Lateiner und Germanen teilten sich in die Erzeugung dieser Tatsachen mit gleich bewundernswürdigem Genie. Jene weckten die Götter, Weisen und Dichter des klassischen Altertums wieder auf, erleuchteten mit der Fackel antiker Wissenschaft das kritiklose Dunkel, worin die scholastische Theologie und der Aberglauben ihre Herrschaft gehabt hatten, und verschönerten das Leben durch den Reiz der Kunst. Aber zu gleicher Zeit durchbrachen sie die geographische Grenze der Alten Welt: sie schifften kühn durch die Säulen des Herkules, zwischen Gibraltar und Ceuta, fanden die Seewege nach Indien und endlich eine neue Welt, Amerika.
Die Germanen empfingen von den Lateinern die Schätze der antiken Kultur, deren sie sich so schnell und gründlich bemeisterten, dass sie ihre kommende Macht auch im Reiche des Wissens schon ahnen ließen. Aber sie selbst erfanden die praktische Buchdruckerkunst, welche dem Gedanken Flügel der Verbreitung und ewige Dauer gab. Ihr philosophischer Geist reformierte bald auch zwei veraltete Weltsysteme, das tolemäische des astronomischen Himmels und das gregorianische War es nur Zufall, dass in jene Epoche der Untergang des oströmischen Kaiserreiches fiel? Die furchtbare Türkenmacht ließ sich als mohammedanisches Cäsarentum in der Stadt Constantins nieder, bedrohte Europa mit asiatischer Barbarei und zwang dessen Staaten zu politischen Verbindungen und zu lebhafterem Verkehr. Die Päpste fassten den Gedanken der Renaissance der Kreuzzüge, doch die mittelalterlichen Ideen erwiesen sich als tot, denn der kirchliche Glaube begeisterte die praktisch gewordene Welt nicht mehr, die nur noch von politischen Trieben bewegt wurde.
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