„Wie war das Wetter vor 4 Stunden? Könnte der Weg da besser gewesen sein?“
„Nein, das können Sie vergessen. Durch dieses Schmuddelwetter ist der Boden seit mindestens zwei Wochen schon so stark aufgeweicht. Viel Regen, wenig Schnee und es fehlt in diesem Winter bislang an Kälte. Wir hatten nur Plusgrade.“
„Vorhin kam im Radio, dass jetzt der Winter kommen soll, mit viel Schnee und Kälte.“
„Und was hat das mit dem Fall zu tun?“ Fuchs sah ihn fragend und überheblich an.
„Nichts, ich mein ja nur.“ Leo hatte sich hinreißen lassen, sich mit Fuchs normal zu unterhalten. Er hätte wissen müssen, dass sich Fuchs nur für seine Arbeit interessierte. Für Details, die nicht seine Arbeit betrafen und für normale Konversation war er nicht zugänglich, für ihn war das reine Zeitverschwendung.
Sie gingen wieder zurück zur Leiche, Fuchs hinter die Absperrung und Leo davor.
„Und was vermuten Sie als Todesursache?“
„Spekulationen sind nicht mein Ding, das müssten Sie doch langsam wissen. Ich werde mich an der Obduktion beteiligen, der Fall interessiert mich brennend. Es kommt nicht oft vor, dass ich es mit einer so seltsam kostümierten Leiche zu tun habe, deren Todesursache augenscheinlich nicht erkennbar ist und die offenbar hierher geflogen ist.“
Leo hätte den Kollegen Fuchs über die Kostümierung aufklären können, aber er unterließ es.
„Hatte das Opfer irgendwelche Papiere bei sich?“
„Hören Sie mir eigentlich zu Herr Schwartz? Ich bitte um Konzentration, schließlich habe ich besseres zu tun, als Ihre Fragen doppelt und dreifach zu beantworten. Wie gesagt, hatte die Tote keine persönlichen Dinge bei sich, das hatte ich bereits erwähnt.“
„Wie alt schätzen Sie die Frau? Ich denke, sie ist noch keine 30 Jahre alt.“
„Das denke ich auch, aber das ist schließlich keine Ratestunde, überlassen wir die Feststellung der Feinheiten Leuten, die sich damit auskennen. Der Mann dort drüben in dem fürchterlichen Jogginganzug hat die Leiche gefunden. Wenn Sie keine weiteren Fragen haben, würde ich mich gerne wieder an die Arbeit machen.“
Der 38-jährige Friedrich Fuchs war nicht mehr zu halten und gab lautstark Anweisungen an seine Leute.
„Mein Name ist Leo Schwartz, Kripo Mühldorf,“ stellte sich Leo dem Mann vor, der sehr ungeduldig schien, denn er sah fortwährend auf seine Uhr. Ein Kollege hatte ihm eine Decke gegeben, was aufgrund der Temperatur auch dringend notwendig war. Der drahtige Mann im neongelben Joggingoutfit war schon 73 Jahre alt und topfit, das musste Leo zugeben. Er selbst hatte schon lange keinen Sport mehr gemacht und schämte sich fast im Beisein des Mannes, der Leos Ausweis prüfte und ihn von oben bis unten musterte. Leo war dieser Mann sofort unsympathisch.
„Grindlmaier Franz,“ sagte der Mann knapp. „Wie lange soll ich eigentlich noch warten? Ich habe die Leiche kurz nach 16.00 Uhr gefunden, selbstverständlich sofort die Polizei gerufen und längst meine Aussage gemacht. Dieser Trottel dort hinten hat von meinen Joggingschuhen Abdrücke genommen. Hoffentlich bekomme ich die jemals wieder sauber! Ich könnte schon seit Stunden zuhause sein! Können Sie sich vorstellen, dass ich mich durch diese endlose Warterei erkälten kann?“ Grindlmaier war sauer und ungeduldig, außerdem sprach er so laut, dass jeder ihn hören konnte.
„Es tut mir leid, dass Sie warten müssen. Ich bitte um Ihr Verständnis, schließlich haben wir es mit einer Leiche zu tun und Ihre Angaben als erster am Fundort sind nicht unwichtig. Ihre Eindrücke sind noch frisch. Die Abdrücke Ihrer Schuhe brauchen wir zum Vergleich. Und keine Sorge, die Überreste gehen problemlos wieder ab.“ Leo wollte den aufgebrachten Mann beruhigen, denn er könnte ein wichtiger Zeuge sein und sollte sich so ruhig wie möglich an jede Kleinigkeit erinnern können.
„Behandeln Sie mich nicht wie ein kleines Kind. Sicher habe ich in gewissem Umfang Verständnis. Ich bin meiner Bürgerpflicht nachgekommen und habe sofort die Polizei gerufen, als ich die Leiche entdeckt habe. Und ich bin auch so lange geblieben, bis die Polizei eintraf und meine Aussage aufgenommen hat, die sehr dürftig ist. Ich habe die Leiche gefunden – mehr aber auch nicht. Ich habe nichts und Niemanden gehört oder gesehen, ich bin für Ihre weiteren Ermittlungen völlig unwichtig. Trotzdem lässt man mich nicht gehen. Ich sitze hier rum und friere. Warum? Ich bin ein unbescholtener Bürger und habe mit dieser Leiche nichts zu tun. Sind Sie jetzt fertig? Kann ich endlich gehen?“
„Sofort. Ich beeile mich, versprochen. Sie haben die Leiche also um kurz nach 16.00 Uhr gefunden. Wie ich sehe, haben Sie Sport gemacht?“
„Das sieht man doch! Ich jogge beinahe jeden Tag durch diesen Wald und nehme immer eine andere Strecke. Ich bin schon oft am Pestfriedhof vorbeigelaufen, das letzte Mal dürfte vor 3 Wochen gewesen sein, aber eine Hexe habe ich noch nie gesehen. Und dann auch noch eine tote Hexe. Ich möchte nochmals betonen, dass ich nichts angefasst habe, falls ihr Kollege mich nicht richtig verstanden hat.“
Auch diesem Grindlmaier gegenüber hielt Leo sein Wissen über das Faschingskostüm zurück. Leo sah sich um und konnte die Fußspuren des Joggers auf dem Feldweg sehr gut erkennen, die aus der anderen Richtung vom Wald her kamen. Außer diesen Spuren waren keine anderen erkennbar und die Spurensicherung hatte auch keine anderen gefunden.
„Sie sind also von dort gekommen?“
Grindlmaier nickte genervt, denn das hatte er einem Polizisten schon längst mitgeteilt.
„Und dann haben Sie die Leiche am Pestkreuz entdeckt?“ Leo lief auf und ab, bückte und streckte sich. „Wie haben Sie das gemacht? Von hier aus kann man das Pestkreuz nicht sehen, vor allem nicht bei den Lichtverhältnissen.“ Leo war skeptisch.
„Erstens war es noch nicht ganz so dunkel, als ich die Leiche entdeckt habe. Und zweitens musste ich pinkeln und wollte austreten. Wie gesagt, kenne ich den Pestfriedhof sehr gut und wenn ich mal muss, dann ist das hier meine bevorzugte Stelle. Man kann auf dem Weg ungehindert austreten, ohne durch Gestrüpp gehen zu müssen und ohne dabei gesehen zu werden.“
„Sie sind also hier in den Weg zum Pestfriedhof rein? Wie weit?“
„Na bis zum Pestkreuz eben. Da ist man weit genug vom Feldweg entfernt.“ Grindlmaier war genervt von dieser für ihn völlig uninteressanten Fragerei. „Wie gesagt, mache ich das immer so, schon seit Jahren.“
„Von Pietät haben Sie noch nie was gehört, oder? Man pinkelt doch nicht auf einen Friedhof! Der Wald ist schließlich groß genug.“ Leo schüttelte verständnislos den Kopf über das Verhalten.
„Was bilden Sie sich eigentlich ein, so mit mir zu reden? Ich war in leitender Position in einem großen Wirtschaftsunternehmen. Darüber hinaus war ich bis zu meiner Pensionierung ehrenamtlich in einigen öffentlichen Einrichtungen Altöttings tätig. Und glauben Sie mir, ich habe viel für die Gegend hier getan,“ schrie Grindlmaier und kam Leo dabei bedrohlich nahe. „Außerdem wurden die Kastler Pesttoten im 17. Jahrhundert hier bestattet und dürften sich nicht mehr daran stören, wenn ich hier ab und an meine Notdurft verrichte. Hunde dürfen doch auch überall hinpinkeln und hinscheißen, aber daran stört sich niemand.“
„Mir ist es völlig egal, wer oder was Sie sind oder waren,“ sagte Leo ruhig. „Mich interessiert nur, wer heute vor mir steht. Und für mich sind Sie eine pietätlose Drecksau, denn ein intelligenter Mensch mit Anstand pinkelt nicht auf einem Friedhof, ganz egal, wann Menschen dort bestattet wurden. Es gibt einfach Dinge, die macht man als halbwegs vernünftiger Mensch nicht! Sie können jetzt gehen.“
Grindlmaier schnaubte vor Wut und schimpfte, was das Zeug hielt, während Leo einfach weiterging. Ihn interessierte das Geschwätz dieses Mannes nicht. Er hatte dessen Aussage und die Personalien, mehr brauchte er nicht. Leo ging zum Fundort der Leiche zurück, wo Fuchs gerade dabei war, den Abtransport in die Wege zu leiten.
Читать дальше