Bubi war kein Mensch, doch für mich war auch er ein kleiner Engel. – Er konnte nicht stehen oder sprechen wie wir; dennoch konnte ich ihn nie gleichsetzen mit anderen Vögeln, welche draußen im Freien lebten. – Jene waren Fremde, welche nicht mit Bubi zu vergleichen waren. Bubi zählte für mich – trotz seiner geringen Größe – zu Unseresgleichen. Er gehörte zur Familie.
Ich begann, mich verstärkt für Engel zu interessieren. Oma erzählte mir Geschichten über sie aus einem Buch, welches sie `Bibel ́ nannte. – Engel schienen dazu da zu sein, um uns Menschen zu beschützen und vor Bösem zu warnen.
Von nun an nährte ich den Verdacht, dass Bubi mein eigener, kleiner Schutzengel sei - zumal Oma mir erklärt hatte, dass Engel nicht unbedingt auf unsere Art und Weise zu uns sprechen müssten, um sich uns mitteilen zu können. ---
- Einen weiteren Flugversuch von oben nach unten unternahm ich in meiner Kindheit nicht mehr - von unten nach oben allerdings in verstärktem Ausmaße. -- Ich wollte Gartenpfade entlang laufen und mit den Armen rudern, um endlich abheben zu können. Ich behängte mich mit Tüchern und Stoffen jeglicher Art, um meine Arme flügelähnlicher zu gestalten.
-Dennoch wollte es mir nicht gelingen, mich auch nur für kurze Zeit in die Lüfte zu erheben. Es war frustrierend. Marienkäfer – winzig klein – Schmetterlinge, Bienen; - alle konnten sie fliegen – und taten dies auch nach Herzenslust in unserem Garten. - Alleine mir wollte es nicht gelingen......
-Ich war bereits in der Schule, als mein gefiederter Schutzengel uns verließ – und im Garten begraben wurde. Mein Versprechen und letzter Gruß an ihn war: `Ich werde es weiter versuchen und irgendwann schaffen ! ́
Mit der Beherrschung des geschriebenen Wortes öffnete sich mir die Welt. - Ich lernte Vieles über das Fliegen - die Anfänge der unterschiedlichsten Flugmaschinen und ihre Weiterentwicklung bis in die Neuzeit. Doch wollte mir dies nicht genügen. Letztendlich handelte es sich ja nur um Apparate... Ich wollte selbst fliegen – aus eigener Kraft ! Ich las über Hexen im Mittelalter und ihre
geheimnisvollen Salben. – Ich hatte nächtliche Flugträume, welche sich immer und immer wiederholten..... Ich wurde älter – und vermeintlich klüger; - die Flugkünste der Hexen waren nunmehr für mich ein rein psychologisches Phänomen – und wissenschaftlich erklärbar. Ich
durchlief eine Phase der rein praktischen Vernunft und belächelte fast meine frühkindlichen Flugträume. Gleichzeitig jedoch wurde ich gepackt von einer inneren Unzufriedenheit. Alles schien mit einem mal so kalt und trostlos, ja steril geworden zu sein. – Alles wissenschaftlich erklärbar? –
Selbst Gefühle; - Wellensittiche und Engel ? -- Zweifel - Erneut Zweifel; doch diesmal in umgekehrtem Aspekt. – Gefühle; - warme, herzliche Empfindungen; - nicht mehr als chemische Reaktionen ? – In einem Körper, welchen nur eine bestimmte Anordnung von Atomen zusammen hielt ...? --- Sollte dies bereits Alles gewesen sein...? Das Leben so früh schon uninteressant geworden ? - - - Zweifel....
Ich begann, mich für andere Religionen zu interessieren; - hauptsächlich südasiatischen Ursprungs. Ich suchte nach Erklärungen für Ungerechtigkeiten, welche ich in meiner bisherigen Religion nicht finden konnte – und stieß dabei wieder auf meinen alten Traum:
Das Fliegen.... -- Auch erneute nächtliche Flugträume erinnerten mich wieder an das Versprechen, das ich einst an Bubi’s Grab gegeben hatte.
-In diesen Traumflügen werden die Arme nicht wie Flügel bewegt, sondern entweder seitlich an den Körper gepresst – oder - teils einseitig – teils beidseitig – nach vorne, in Flugrichtung, ausgestreckt. ---- Es beginnt mit äußerst sanften, großen Sprüngen, welche zu jeder beliebigen Höhe ohne jegliche Anstrengung ausgedehnt werden können. – Der Flug selbst wird anscheinend
ermöglicht aufgrund der enormen Geschwindigkeit.
Waren diese Träume lediglich Hinweise auf Beschwernisse und Unzufriedenheiten mit meinem jetzigen Leben - oder steckte doch mehr dahinter ?
Ich las von Yogis, die angeblich in der Lage waren, sich durch reine Willenskraft der Schwerkraft zu entziehen – und in einem Schwebezustand über dem festen Boden frei zu verharren. --- Ich hörte von Levitationen auch in Europa; doch schien mir Indien das Land, in welchem Phänomene solcher Art Zuhause waren.
`Willenskraft ́; - ein Zauberwort. -- Die Willenskraft stärken, in einer Zeit, in der Gleichgültigkeit und Apathie das Leben zu beherrschen schienen. - Genügend Willenskraft besitzen, um Dinge zu tun, welche schlichtweg für unmöglich gehalten wurden.—Fliegen lernen..!! Nicht mit Hilfsmitteln wie überdimensionalen Drachen oder anderen Flugmaschinen. Nein ! -- Ich wollte wieder fliegen - selbst fliegen .... wie ein Vogel, - oder wie in meinen Träumen ....
Ich beschäftigte mich mit den Naturwissenschaften; wie könnte es möglich sein, die Erdenschwere zu überwinden ? --- Ein Antrieb musste gefunden sein; - doch welcher, - und wie ?
Immer wieder kam ich zurück zum gleichen Punkt:
-- Der Willenskraft ! Ich versenkte mich in Yogatechniken; - parallel zu meinem Studium.
Ich lernte Atmen; - einatmen – ausatmen – verharren.... -- Ich kam nicht weiter – und beschloss darum, nach Indien zu fahren. Ich wollte dort nach Beweisen dafür forschen, dass der Geist eben doch der Materie überlegen ist.
-- So kam ich – noch sehr jung – in das Land der mystischen Träume. -- Dort schien es auf den ersten Blick überhaupt kein Problem, zu finden, was ich suchte. - Fast Jedermann hatte einen `Guru ́ - einen spirituellen Lehrer - der ihm den einzig richtigen Weg zum Heile wies.
An jeder Straßenecke fanden sich Leute, welche Namen berühmter Yogis nennen wollten und phantastische Geschichten über Diese zum Besten geben konnten. -- Fliegen ? -- Kein Problem ! -- Man schickte, beziehungsweise führte mich, gegen geringes Entgelt, von einem Meister zum anderen. Es wurden mir Künste jeglicher Art vorgeführt: Auf dem Kopfe stehen für Stunden; ohne Essen und Trinken auskommen; - im Stehen schlafen; - niemals schlafen – und so fort. – Fliegen konnten diese Meister alle, doch war Keiner bereit, mich diese ihre Fähigkeit auch in Augenschein nehmen zu lassen. – Dazu müssten erst einige Voraussetzungen erfüllt sein; - ich dürfe nicht
glauben, dass solcherlei Dinge nur zur Attraktion oder Belustigung irgendwelcher Weltenbummler vorgeführt würden. – Das Fliegen sei die letzte Stufe der menschlich–geistigen Vollendung – und Jahre harter Kasteiungen und Entbehrungen gingen ihr voraus.
Ich verbrachte Jahre in den Bergen, um unter Anleitung meines indischen Mentors Körper sowie Geist zu befreien. -- Erfolglose Jahre, was das Fliegen betrifft. -- Im Gegenteil verspürte ich mehr Druck und Zwänge als je zuvor. - Alles war genauestens vorgeschrieben:
Das Sitzen; - das Essen; atmen; schlafen.... – Die körperlichen Übungen liefen in genau festgelegter Reihenfolge ab; - es war Zwang, - ja; - es war schlicht und einfach Zwang !
- Nichts war zu verspüren von der Leichtigkeit – des Losgelöstsein’s – meiner nächtlichen
Flugträume. -- Ich war um keinen Schritt weitergekommen.....
-- Verlorene Jahre – verlorene Zeit ....
Enttäuscht machte ich mich auf nach Tibet, um dort mein Glück zu versuchen. – Die Tibeter lachten mich aus, bewunderten aber gleichzeitig meinen Mut, weil ich das Wagnis auf mich genommen hatte, ihr von den Chinesen besetztes Land illegal zu betreten. - Ich war mir der Gefahren wohl bewusst, doch der Drang, endlich weiterzukommen in meinen Bemühungen, war stärker als alles andere. – Ich wollte fliegen....
Klöster sowie Religion waren offiziell nicht mehr existent: - die Chinesen verboten es; jedoch gab es immer noch gläubige Menschen zuhauf – und im Geheimen wurde der Buddhismus, - und auch die alte Bjön–Religion praktiziert.
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