„STOPP!“ Joe schnitt ihr das Wort ab: „Eins nach dem Anderen.“ Er ging zur Sitzecke und ließ sich aufs Sofa fallen, das mit einem leidvollen Krachen antwortete.
„Ich hole uns Wasser!“ Lora ging in die Küche und war nur einen kurzen Augenblick später mit zwei Gläsern und einer Karaffe Wasser wieder zurück. Sie stellte das Tablett vorsichtig auf dem Tisch ab und goss beide Gläser voll.
„Hier, trink! Und dann erzähl, ich bin neugierig!“
Joe saß weiter mit zurückgelegtem Kopf auf dem Sofa und rührte sich nicht.
„Los trink schon!“, befahl Lora und hielt ihm das Glas vors Gesicht. Sie hatte Erfolg: Joe setzte sich auf, nahm das Glas und trank einen kleinen Schluck.
„Gut so!“ Lora stellte das Wasserglas zurück und setzte sich neben Joe.
„Ja, ich habe ihn gefunden und nein, er hat mich nicht erkannt, denke ich zumindest.“, begann Joe mit seinem Bericht: „Eigentlich habe ich ihn sehr schnell gefunden. Ich wollte von einem Coffee-Shop aus Frau Jones’ Laden beobachten und nach dem Hauquriten Ausschau halten, aber als ich in den Coffee-Shop rein bin, war der Typ schon drin.“
„Wow, cool! Und dann?“, fragte Lora weiter, während ihre Augen anfingen zu glänzen, wie die eines Kindes beim Anblick von Süßigkeiten.
„Dann habe ich mich an diesem dämlichen Kaffee verschluckt und zu guter Letzt kamen auch noch Autogrammjäger. Ach, weißt Du: Vergessen wir es! Gott sei Dank ist Alles noch mal gut gegangen und Oliver ist jetzt an ihm dran.“
„Kopf hoch: Du hast Dein Bestes getan und zumindest wissen wir jetzt, wo er ist.“ Lora stand auf und ging wieder in die Küche.
Eigentlich hatte Joe überhaupt keine Lust, sich zu bewegen, aber sein Durst war größer: Er beugte sich vor, nahm sein Glas und trank das restliche Wasser in einem Zug aus.
„Wo ist eigentlich Oulax?“, rief er Lora in die Küche hinterher.
„Hat einen Auftrag irgendwo auf Gesius. Er kommt heute Abend.“
In der Hoffnung auf etwas Essbares stand Joe letztlich doch auf und ging zu Lora in die Küche. Zu seinem Entsetzen sah er, wie diese gerade eine Hand voll tote Käfer durch eine Art Fleischwolf drehte.
„Oh Gott, was tust Du da?“, rief er und in seiner Stimme war das blanke Entsetzen zu hören.
„Zweites Frühstück. Möchtest Du auch was? Das sind Steinschaben, original aus Iridua, meiner Heimat!“
„Nein, danke!“ Joe drehte sich schnell um und ging zurück zum Sofa.
„Joe, probier‘ schon!“, drängelte Lora und lief mit einem Schabensandwich in der Hand im hinter ihm her: „Das ist eine echte Delikatesse! Ich habe mir am Computer das Serviceportal der Station angesehen und bin auf einen Versandhandel für Lebensmittel aus der ganzen Galaxie gestoßen. Und das Beste ist, dass die in null Komma nix liefern.“
„Später vielleicht.“, sagte Joe mit einem Lächeln, um seinen Würgereflex zu unterdrücken.
„Später ist nichts mehr da. Die muss man frisch essen. Also jetzt, oder nie!“
„Na dann nie!“ Joe atmete durch. Er ließ sich wieder aufs Sofa fallen und war froh, aus der Sache heil und ohne weitere Ekelattacken herausgekommen zu sein.
„Ach, Ihr Menschen habt doch keine Ahnung, was gut ist!“ sagte Lora, während sie zurück in die Küche ging, jedoch ohne dabei ärgerlich zu klingen: „Dann bleibt halt mehr für mich übrig.“
Doch Loras Freude währte nicht lange, denn Oulax kam herein: „Rieche ich da Schaben?“ Die Frage klang mehr rhetorisch als ernst. Zudem ging Oulax wortlos an Joe vorbei, direkt in die Küche.
„Hallo Oulax!“, begrüßte ihn Lora mit freudiger Stimme.
„Hallo! Ich war mit dem Auftrag früher fertig als gedacht. Sind die frisch?“
„Na klar, willst Du welche?“
„Na und ob!“
„Oh Mann, zwei von der Sorte! Und wenn es ums Essen geht, muss eben auch mal die Begrüßung ausfallen.“, dachte Joe und blendete sich aus dem Gespräch in der Küche aus. Stattdessen wandte er seine Gedanken seiner Umgebung zu und ließ seinen Blick durch den Raum wandern: Die Wände und das Traggebälk waren immer noch grau und ungemütlich. Auf einigen der metallenen Wandvertäfelungen klebten noch Reste von Papier und Plastik, vermutliche Überbleibsel der aus der Zeit, als der Raum als Lager genutzt wurde. Die Schreibtische mit den Computerterminals in der Raummitte waren zwar sauber und gaben diesem Ort tatsächlich den Charakter einer seriösen Firma, aber die immer noch vorhandene Unordnung auf dem Fußboden machte viel dieses positiven Eindrucks wieder zu Nichte. Verpackungsreste, Mülltüten und auch noch Joes Sachen, die ihm sein Manager zurückgeschickt hatte, lagen verstreut herum, wie in einem unaufgeräumten Kellerabteil.
Da Joe nicht weiter untätig herumsitzen mochte, stand er auf, nahm zwei seiner Koffer und wollte sie in sein Zimmer bringen, doch ein seltsames Piepsen des Computers ließ ihn sein Gepäck wieder abstellen und zu seinem Schreibtisch gehen.
„Was war das?“, fragte Lora, die immer noch mit vollem Mund aus der Küche herbeigeeilt kam.
„Eine Message.“, sagte Joe, ohne seine Augen vom Text auf dem Monitor abzuwenden.
„Von wem?“, fragte Oulax, der auch bereits neben Joe stand.
„Von ’Future World’, so einem Laden für Elektronikteile. Die denken, dass ein Angestellter Ware aus dem Lager klaut und sie dann unter der Hand verkauft. Wir sollen mal vorbeikommen und sehen, ob wir das Lager irgendwie überwachen können.“ Joe blickte auf und drehte sich mit strahlendem Gesicht zu Lora und Oulax um: „Ein neuer Auftrag!“
„Mensch Joe, die Idee mit der Detektei war wohl eine echte Marktlücke. Spitze!“ Lora umarmte Joe, konnte sich dabei aber nicht verkneifen, noch einmal und direkt neben Joes Ohr von ihrem Sandwich abzubeißen, das sie die ganze Zeit versteckt in der Hand gehalten hatte.
Das Knacken der harten Insektenpanzer jagte Joe einen Schauer durch den Körper bis hinein in die Zahnwurzeln, so dass er entsetzt zurücksprang: „Oh Mann, muss das sein? Wie ekelig!“ Lora lachte so sehr, dass sie ihm gar nicht antworten konnte und selbst über Oulax‘ Gesicht huschte ein kurzes Lächeln.
„Ich gehe mal zu dem Laden und schaue, was ich da tun kann. Ich weiß, wo der ist.“, sagte Oulax und machte sich auf den Weg.
„Sorry, aber das war einfach zu verlockend!“, sagte Lora, die endlich wieder sprechen konnte: „Nimm es mir bitte nicht übel.“
„Schon OK! Aber bitte mach das nicht wieder!“
„Werde es versuchen. Aber jetzt lass uns hier mal richtig aufräumen! Das soll doch ein schönes Büro werden, oder?“
Während der nächsten zwei Wochen hielt der Detektivalltag Einzug in das Leben von Lora, Joe, Oliver und Oulax. Die Vier beschatteten den Hauquriten, der eigentlich den lieben langen Tag nichts Besonderes tat. Er saß in Cafés und Bars herum, trank Unmengen Espresso, las ab und zu in einer Sport-Zeitschrift, wobei er immer die echte Druckausgabe bevorzugte, anstatt ein Readboard zu benutzen. Die Nächte verbrachte er in einer Schlafröhre im Stationshotel, die er sich fest angemietet hatte. Oulax hatte es inzwischen geschafft, die Röhre mit einem Temperatursensor, einem Mikrofon und einem Bewegungsmelder versteckt zu überwachen. So war es möglich, die Observierung nachts vom Computer aus durchzuführen, oder besser gesagt: Der Computer überwachte Alles und gab Alarm, sobald sich etwas rührte. Der Hauqurit hatte im Hotel unter dem Namen „Rettam Tnseod“, also „Doesn‘t Matter“ rückwärts, eingecheckt und eine nicht existierende Adresse auf Hauquri, seiner Heimatwelt angegeben. Laut Hotelcomputer arbeitete der Mann als Raumschiffhändler, war aber mit einem normalen Transporter von der Oberfläche eingetroffen. Viel mehr war nicht über ihn herauszufinden, nur dass Frau Jones die Wahrheit gesagt hatte: Er kam jeden Tag genau zwei Mal in ihren Laden, sah sich um und ging dann, ohne etwas zu kaufen, wieder hinaus, um sich erneut seiner offensichtlichen Koffeinsucht hinzugeben.
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