Übernachtungsbesuch?, wiederholte er. Damit musste er Gisela und ihren Schönling meinen. Wieso wusste er davon? Er dachte, er habe geträumt, sagte er verlegen.
Es soll eine weibliche Stimme gehört worden sein, sagte der Regens ungerührt.
Das steigerte nur seine Verlegenheit. Er wusste nichts zu sagen.
Dann müsste man doch von einem Damenbesuch ausgehen, oder?, fragte der Regens und sah ihn gespannt an.
Er fühlte es heiß vom Magen bis zum Scheitel werden. Auch der Blick auf die heilige Jungfrau half nicht. Auf ihrem Antlitz erschien der Ausdruck schmerzlichen Unbehagens, dem ein unmerkliches Kopfschütteln folgte.
Wahrscheinlich musste er scheibchenweise gestehen, und die Frage war nur, um wie viele Scheibchen es ging.
Es sei ja leider so, begann er vorsichtig, dass der Geist schwach sei und das Fleisch willig. Nein, natürlich umgekehrt!, stieß er aus und schlug sich auf die Stirn. Der Geist sei natürlich willig und das Fleisch schwach!
Oh je, das war ein schwacher Anfang!
Zu seinem Erstaunen kam nicht der erwartete Tadel des Regens, sondern ein verzeihendes Lächeln. Wer wäre als junger Mensch schon gegen Versuchungen gefeit? Da könne man nur auf Gottes Gnade hoffen, sagte er sanft und zog einen Brief hervor, den er in der Luft wedelte, als wollte er seine Stirn kühlen. Ob er eine gewisse Gisela Reimann kannte?
Peter nickte und schluckte und wusste nicht weiter. Er wusste nicht einmal, in welcher Wirklichkeit er sich befand. Er fürchtete aber, verrückt zu werden.
Nun, diese seine frühere Freundin habe ihm offensichtlich noch einen Abschiedsbesuch abstatten müssen, wie aus diesem Brief hervorgehe. Der Regens wedelte ihn diesmal vor Peters Nase. In ihm schreibe sie in unmissverständlicher Eindeutigkeit, dass sie alle Ansprüche auf ihn aufgebe und ihm alles Gute für sein hohes und nicht leichtes Amt wünsche. Es läge jetzt an ihm, fügte der Regens hinzu, ob er in derselben klaren Eindeutigkeit sich von seiner früheren Freundin lossage.
„Ja, ja, natürlich!“, stotterte Peter, überrascht von dieser Wendung, die ihn erfreuen sollte, aber dennoch ins Herz stach. „Abschiedsbesuch! Ja, ja, natürlich!“, wiederholte er ein wenig einfältig.
Dann sollte er aber auch in toto seine Haltung ändern, sagte der Regens in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Ihm sei aufgefallen, wie er mit gebeugtem Kopf und hängenden Schultern herumlaufe.
„Wirklich?“, protestierte Peter schwach. Denn ihm war bis jetzt immer vorgeworfen worden, dass er steif wie ein Besenstiel durch die Gegend spazierte.
„Ja, wirklich!“, bekräftigte der Regens. Er erwarte aber von seinen Kandidaten, dass sie sich mit Freude und Lust auf ihr Amt vorbereiteten.
Mit Lust, dachte Peter und fühlte das Regen und Strecken des verdammten Ringfingers. Warum musste er sich ausgerechnet jetzt rühren? Warum musste er sich überhaupt rühren? Das musste etwas mit dem kümmerlichen Ding des Schönlings zu tun haben. Das musste eine ganz fiese Form von Rache sein! Er hätte dem Schönling seinen defekten Ausstoß vor die Füße werfen müssen!
Aber jetzt dehnte sich sein Finger so schmerzlich-süß und begierig aus, dass er unwillkürlich stöhnte.
Das gefiel der heiligen Jungfrau überhaupt nicht. Sie bestrafte ihn mit einem entrüsteten und enttäuschten Blick, ihr feines Gesicht lief rot an, ihr zarter Busen hob und senkte sich. Auch der Regens starrte ihn erschrocken an und beugte sich weit über den Schreibtisch zu ihm. „Was ist Ihnen?“
„Nichts, nichts!“, murmelte Peter.
„Doch, doch!“, widersprach der Regens. „Sie haben mir schon vorher am Altar nicht gefallen. Das muss mehr als ein Schwächeanfall sein!“
Er stand auf und legte ihm seine Hand auf die Stirn. Sie fühlte sich angenehm kühl an und roch betörend gut, würzig und subtil. Peter streckte ihm sofort seinen mächtig pulsierenden Ringfinger entgegen, der auch an der wunderbaren Hand teilhaben wollte, und stocherte so lange herum, bis die Hand des Regens ihn endlich umschloss.
„Der ist aber heiß! Haben Sie einen Stich bekommen?“, wunderte sich der Regens.
„Ja, einen Stich!“, schwitzte Peter, der Mühe hatte, seine schreckliche Lust zu unterdrücken.
„Sie gehen nach unserem Gespräch am besten gleich zu Dr. Lamprecht, einem erfahrenen und gütigen Praktiker, der gegen alle Beschwerden ein Mittel weiß“, sagte der Regens.
Peter nickte.
Der Regens hatte eine Mappe vor sich liegen, in der er blätterte. Sein Akte!, dachte Peter. Was wohl darin stand? Sicherlich seine Defizite in Sachen Keuschheit. Der Regens wusste doch alles darüber, wenn er es auch nicht offen zugab, weil es nicht peinlich werden sollte. In Wirklichkeit hatte er ihn abgeschrieben. Es lag doch klar auf der Hand, dass er das mit dem Finger durchschaut hatte. Deshalb war er für das Priesteramt charakterlich ungeeignet, seinen sittlichen Ansprüchen nicht gewachsen, das würde seine letzte Aktennotiz sein.
Eine gewisse Fingerfertigkeit könne man ihm ja nicht absprechen, begann der Regens.
Oh Gott, jetzt begann die Standpauke, dachte Peter und fühlte sich sehr schuldig.
Er entnehme seiner Biografie, sagte der Regens und schaute in seine Akte, dass er nach der Mittleren Reife eine Schreinerlehre begonnen und beendet habe, den Beruf aber nicht ergreifen wollte, sondern sich für das Priesteramt entschieden hätte. Warum?
Wie sollte Peter die Frage in wenigen Worten beantworten? Da war so vieles passiert und auch die Sache mit Gisela spielte eine Rolle, aber sie wollte er auf keinen Fall erwähnen und er dachte an Onkel Marcus, der ihm die Sache mit Gisela ausgeredet hatte und er nannte seinen Namen.
„Ah ja, der Pater Markus, ein Mann von großem Einfluss ohne Zweifel“, sagte der Regens und sah ihn ernst an. Aber der Ehrgeiz eines Onkels könne keine Berufung begründen!
Peter nickte schnell.
Der Regens seufzte. Vorzeitig in eine Rolle gedrängt werden, die nicht passe, könne falsche Vorstellungen erzeugen, die wiederum Schuldgefühle auslösen, weil man den Erwartungen nicht gerecht werde.
Er zog aus einer Box ein Blatt Papier und begann zu schreiben. Man sah, dass bei ihm alles seinen festen Platz hatte. Auf seinem Schreibtisch standen die Utensilien in Reih und Glied und warteten auf ihren Befehl. Alles strahlte Ordnung aus, alles war der Reihe nach zu regeln.
Er könne seinen Fall noch nicht abschließend beurteilen, sagte der Regens und legte seinen Stift beiseite. Er brauche dazu noch Zeit und Gottes Rat. Er würde ihm aber gern einige Aufträge für die nächste Woche erteilen, die er sich bitte notieren möge, und er reichte ihm seinen Stift.
Von Dr. Lamprecht habe er ja schon gesprochen, sagte der Regens. Bei ihm sollte er sich einem generellen Gesundheitscheck unterziehen. Nur ein gesunder Priester ist ein guter Priester!
Der Regens nickte und schaute ihn prüfend an. „Wie wir seit jeher sagen: ora et labora! Also ergänzen Sie Ihr Beten durch körperliche Arbeit! Als ausgebildeter Schreiner können Sie Ihre handwerklichen Fähigkeiten sicherlich gut zur Geltung bringen, wenn Sie uns bei den Reparaturarbeiten helfen, die in der Kirche dauernd anfallen. Ich werde entsprechende Weisungen erteilen und Sie halten sich bereit. Denken Sie im Übrigen viel häufiger an den heiligen Josef, das Vorbild der Schreiner und in Sachen Keuschheit ein bewunderungswürdiger Lehrer.“
„Ja“, murmelte Peter. „Auf jeden Fall.“
Er blickte unwillkürlich auf die Statue der Jungfrau und sah zu seiner Freude, wie sie ihn anlächelte. Danke!, dachte er und beschloss, vor ihrem Altar niederzuknien und sie aus ganzem Herzen um Hilfe zu bitten. Sie sollte alles von seinem schändlichen Tausch und dem vermaledeiten Finger wissen. Nur sie konnte ihn von dieser Perversion befreien.
Der Regens hüstelte und fragte ihn, wieweit er mit Christian und Martin befreundet sei, wieweit er also mit ihnen offen reden könne.
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