Klaus Steinvorth
Glaube und Gehorsam
Der Großvater erzählt von seiner
Hitlerjungenzeit
Einleitung
Der Großvater erzählt von seiner Hitlerjungenzeit 1944 in seiner oberschlesischen Heimatstadt.
Hans Baran feiert am 20.4.1944 seinen 15. Geburtstag und weil der mit dem Geburtstag Hitlers zusammenfällt, fühlt er sich dem Führer verpflichtet und wird in diesem Glauben durch den Vater bestärkt, der ein erfolgreiche r Jagdflieger ist. Als sein Vater fällt, schwankt Hans in seinem Glauben, wird aber von Siegfried, dem zwei Jahre älteren Führer seiner Kameraschaft, wieder auf Vordermann gebracht. Hans bewundert die Stärke und Durchsetzungskraft Siegfrieds, wird aber von seiner Rücksichtslosigkeit gegenüber Schwächeren und seinem mangelnden Mitgefühl abgeschreckt. So muss er sich auf Kämpfe einlassen, die er nur mit Siegfrieds Hilfe gewinnt, muss befreundete Menschen verletzen, um Siegfried Treue und Gehorsam zu beweisen.
Der Konflikt zwischen bedingungslosem Gehorsam und Selbstbehauptung verstärkt sich, als sich Siegfried vor seinem mächtigen Onkel in der SS beweisen muss, weil bei seinem Vater, der als Offizier in Russland kämpft, kompromittierende Briefe gefunden werden. Als Siegfried während einer Wehrübung Hans zwingt, die Laterne eines befreundeten Bauern, den Siegfried für einen Verräter hält, zu zerschießen, verweigert Hans ihm den Gehorsam und versucht zu fliehen. Zur Strafe wird er von seinen Kameraden gejagt und kann nur mit Mühe seinem Tod entkommen.
Andererseits wird Hans von seiner drei Jahre älteren Cousine Marie angezogen, die in ihrem Mitgefühl für Schwächere die Gegenposition zu Siegfried einnimmt. E r beginnt sie mehr heimlich als offen zu lieben, weil der Altersunterschied ihn hemmt. Sie schenkt ihm einen Hund, um den er sich kümmert, und auch das führt dazu, dass er sich Siegfried entfremdet.
Hans wird der Fahnenflucht angeklagt, weil er während der Wehrübung fliehen wollte, Siegfried wird beschuldigt, seine Befehlsgewalt überschritten zu haben, weil er das Verdunklungsgebot eigen willig auslegt e. Zur Strafe werden sie beide zum Flak- Einsatz verurteilt. Dort versucht Siegfried Ruhm zu gewinnen, indem er ein feindliches Aufklärungsflugzeug ohne den Befehl seiner Vorgesetzten abschießt. In dem folgenden Chaos verliert Siegfried durch einen Rohrkrepierer sein Leben, schützt aber Hans vor herumfliegende n tödliche n Eisenteilen, indem er sich auf ihn wirft.
Ich erinnere mich, dass ich als Schüler regelmäßig zu meinem Opa ging , der meine Hausaufgaben und die meiner Schwester beaufsichtigte, und dabei oft vom letzten Weltkrieg erzählte. Und einmal, das war vor zwölf Jahren, hatten wir zu Hause einen Fernsehfilm über Hitlerjungen gesehen, weil Mama und Papa meinten, das gehörte zur Bildung, aber das brauchten sie nicht zu sagen, denn ich sehe gern solche Filme. In der Schule hatten wir ihn auch besprochen, weil Hancke rote Ohren wie Rücklichter kriegt, wenn er was über Hitler und die Nazis sagen kann. So wollte ich gern von meinem Opa wissen, was er dazu meinte, denn er war dabei gewesen als Hitlerjunge, das hatte er mir schon mehrmals gesagt.
Er sah mich kopfschüttelnd an und seufzte: „Ach Gott, mein Junge! Du hast einen Film gesehen, in einem bequemen Sessel, vermute ich, weit, weit weg vom letzten Krieg, und das ist auch gut so, aber ich war damals mitten drin in der Schei...!“
Er brach ab, sah mich entschuldigend an , ich lachte. „Kannst ruhig Scheiße sagen. So empfindlich sind meine Ohren nicht!“
Er nickte. „Hast Recht! Damals durfte ich zu Hause nicht 'Scheiße' sagen, aber draußen sagten wir es dauernd, weil wir bald merkten, wie es uns stank. We nn ich daran denke, wird mir heute noch schlecht.“
Das machte mich nur noch neugieriger und ich bat ihn, mir davon zu erzählen.
Er blickte durch das Fenster nach draußen, wo der Frühling ausgebrochen war: Die Vögel machten einen Heidenspektakel und die Bäume grünten und blühten um die Wette. „Was macht Johanna?“, fragte er.
Ich war ziemlich sicher, dass meine Schwester nichts Besonderes tat, höchstens Telefonieren mit ihren Freundinnen, ihre Lieblingsdauerbeschäftigung!
„ Ruf sie bitte an ! Dann werde ich euch erzählen, wie ich die Zeit damals erlebt habe. Könnte euch interessieren.“
Ich kam natürlich nicht durch, aber sie hatte eine Anklopffunktion, sodass sie sich herabließ, mich zu hören, und dann kam sie herangerast und stand bald keuchend vor der Tür, denn auch sie mochte Opa s Geschichten. Dann machten wir es uns auf dem Sofa bequem und er fing an. )
Ich beginne mit dem 20. April 1944, das war mein 15. Geburtstag, das war aber auch der Führergeburtstag, den wir in meiner Heimatstadt Groß Strehlitz festlich begingen. Die liegt in Oberschlesien, das gehörte damals zu Deutschland, heftig umkämpft zwischen Deutschen und Polen, sollte ewig deutsch bleiben und gehört jetzt zu Polen. Aber wahrscheinlich wisst ihr gar nicht, wo Oberschlesien liegt.
Wir sahen uns verlegen an und sagten lieber nichts.
Jedenfalls versank meine Heimatstadt am Führergeburtstag, also am Geburtstag Adolf Hitlers, von dem ihr sicherlich gehört habt,
So dumm waren wir nun auch wieder nicht!
versank also meine Stadt in einem Meer flatternder Hakenkreuzfahnen und ich hatte das Gefühl, die Fahnen flatterten mir zu Ehren und machten deutlich, dass ich durch meinen Geburtstag der geborene Hitlerjunge war.
Wir marschierte n in endlosen Kolonnen durch die Straßen . Wir aus der Hitlerjugend stellten allein fünf Fähnlein von je 150 Mann. Ich war stolz wie ein Pfau und schielte nach jedem Spiegel, um mich in meiner tadellos sitzenden Uniform zu bewundern, die frisch geplättet war und keinen Fleck aufwies und vom Halstuch mit dem braunen Lederknoten abgeschlossen wurde, das ein Dreieck abzugeben hatte, das war für mich wichtig. Wichtig war auch, dass man die Siegrune auf dem Koppelschloss sah, wichtig die etwas schiefer, also verwegener gesetzte Schiffchenmütze, und wie hüpfte mir das Herz vor Freude, als wir auf der rot und schwarz geflaggten Krakauer Straße unter klingendem Spiel in Reih und Glied vorwärts schritten. Es war ein Mordsspaß, da wusste man doch, wofür man lebte!
Das Schönste war, dass die Mädchen uns nachguckten, unter denen ich Gerda Emmler und Waltraud Waletzke entdeckte, die eine blond, die andere rot, Schneeweißchen und Rosenrot, die ich natürlich nicht anstarren durfte und sie marschierten ja auch in ihren Mädelschaften mit dem Blick nach vorn, aber ich merkte doch, dass sie mich sahen, oder besser, ich fühlte es! Ich hatte sie einmal auf dem Hindenburgplatz gesehen und war gestolpert und vor ihnen wie ein Idiot gelegen, aber als sie mir aufhalfen, hatten sich unsere Augen ineinander zum schönsten Augenblick versenkt, den ich mir vorstellen konnte.
„Opa!“, rief Johanna und musste kichern.
Er lächelte. „Ich weiß, dass es euch komisch vorkommt, aber ich fühlte mich damals so romantisch, und in der Stimmung lässt man sich leicht verführen, auch von solchen militärischen Paraden . Hört nur weiter zu!“
Ich sah Gerda Emmler noch einmal, als der Kreisleiter in seiner Rede über den Führer immer langweiliger wurde, je länger er sprach. Aber am Ende winkte er sie zu sich und sie stieg nach oben und verlas den Gruß an den Führer und gratulierte ihm zu seinem 55. Geburtstag und rief mit klingender Stimme: „Möge er noch lange zum Segen und Wohl des deutschen Volkes regieren!“ Ich klatschte mir die Hände wund und ein gewaltiger Applaus rauschte durch die ganze Stadt und selbst die Fahnen standen starr und die Bäume hoben ihre Äste.
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