Woher hat er nur diese Details? Die Knochen sind ja noch erdfeucht! , schoss es Sophia durch den Kopf. Doch sie hatte keine Gelegenheit, weiter darüber nachzudenken, da sie direkt angesprochen wurde. Ein Vertreter der Lokalpresse wandte sich an sie:
„Frau Dr. Jäger, was können Sie uns zu dem Fund sagen? Wie alt ist das Skelett? Ist es prähistorisch oder aus der Neuzeit?“
Das Ganze ging ihr entschieden zu schnell, daher versuchte sie, ein paar Gänge zurückzuschalten, holte tief Luft und begann dann: „Nun, wir stehen gerade erst am Anfang unserer Untersuchung. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich lediglich bestätigen, was der Herr Oberbürgermeister bereits dargestellt hat. Es ist ein offensichtlich gut erhaltenes menschliches Skelett. Eine Angabe zum Alter des Skeletts und Alter zum Todeszeitpunkt können wir erst nach weiteren Untersuchungen machen.“
Gerne hätte Sophia mit diesen Worten die Konferenz verlassen, doch so einfach wollte man sie nicht gehen lassen.
„Aber wie kann man vom Erhaltungszustand des Skeletts auf das Alter schließen?“, bohrte der Journalist weiter.
Sophia versuchte, nicht genervt zu klingen, während sie kurz antwortete: „Wie gesagt, detaillierte Ergebnisse können erst weitere Untersuchungen bringen.“
Doch ihre Aussage stellte die Pressevertreter nicht zufrieden. Ein Vertreter des hiesigen Lokalsenders gab seinem Vorredner Schützenhilfe: „Verstehe, aber aufgrund ihrer großen Fachkompetenz haben Sie doch sicher schon eine Vermutung, ob es sich eher im einen prähistorischen oder einen Fund aus der Neuzeit handelt, oder?“
Vom schmeichelnden Lob des Fragenden verführt, schnappte die Falle zu.
„Ja, sicher. Ich denke nicht, dass es prähistorischen Ursprungs ist. Es kann gut 200 Jahre alt sein bei den Bodenverhältnissen ....“ Für sie war es eigentlich nur eine beliebige Zahl, doch schon während sie die Zahl aussprach, sagte ihr ihre innere Stimme, dass es ein Fehler gewesen war. Sie versuchte, sofort zurückzurudern: „..., aber wie gesagt, ohne weitere Untersuchungen kann man da eigentlich gar nichts sagen.“
Doch der nachgeschobene Hinweis fand wenig Beachtung, die Meute hatte bekommen, wonach sie gierte. Ohne ihr eine Verschnaufpause zu gönnen, fuhr ein Vertreter einer überregionalen Nachrichtenagentur fort: „Stimmt es, dass Sie auch Artefakte neben dem Skelett gefunden haben, Waffen oder andere Gegenstände?“
Wer hat Ihnen das denn gesteckt? , hätte Sophia ihm am liebsten entgegengeworfen. Doch sie lernte schnell. Nochmal würde sie in keine Falle hineinstolpern! Sie bemühte sich um einen lässigen Ton.
„Wissen Sie, ich habe mich so beeilt, um Sie hier heute nicht warten zu lassen, da konnte ich gar nicht bis zum Ende der Exhumierung bleiben. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, was mein Team da heute noch gefunden hat.“
Für sich genommen stimmte diese Aussage sogar.
„Aber Sie können es nicht ausschließen, dass eine Waffe gefunden wurde?“
„Wer kann das schon?“, war ihre spontane Antwort. Und irgendwie schienen die Vertreter der Presse damit erst mal genügend ‚Fakten‘ zu haben. Sie hätte nichts dagegen gehabt noch Auskünfte zur Vorgehensweise zu erläutern. Allerdings schien das Interesse an Informationen von ihr befriedigt zu sein.
Nun war der Museumsdirektor Uwe Volkerts an der Reihe: „Herr Dr. Volkerts, welche Pläne haben Sie angesichts dieses offensichtlich so bedeutenden Fundes?“
Volkerts holte weit aus, indem er die Bedeutung des Heimatmuseums für die heimische Bevölkerung und die positiven Auswirkungen auf den Tourismus mit Enthusiasmus darlegte. Anschließend wies er auf die Kooperation mit den Wissenschaften hin und den damit verbundenen Nutzen für die Menschheit. Endlich ging er dann auf die Frage ein. Er sprach von Sonderausstellungen zum geschichtlichen Hintergrund des Fundes, Lehrveranstaltungen für Schulklassen, Studienangebote für Studenten der Archäologie und Geschichte. Schließlich beklagte er noch im letzten Teil seiner Ausführungen die enormen Kapitalmittel, die solche Vorhaben verschlängen und die tatsächlich leeren Kassen. Das nahm das Stadtoberhaupt als Stichwort auf, um einerseits ins gleiche Horn zu blasen und andererseits das Wort an seinen Sitznachbarn zur Rechten zu übergeben.
Herr Recksiepe begann damit, dass man sich als alteingesessener Hagener Unternehmer in der fünften Generation durchaus und gerne der Verantwortung stelle. Im Besonderen, weil dieser Fund auf einem mittlerweile zum Familieneigentum gehörenden Grundstück lag. Man werde daher mit Freude die weiteren wissenschaftlichen Untersuchungen auch finanziell unterstützen. Mit diesem kurzen Statement gab er das Wort direkt wieder zurück.
Welche wissenschaftliche Untersuchungen? Sophia hatte nicht das Gefühl, dass der Industrielle damit ihre Arbeit im Sinn hatte.
Thomas Reiter bedankte sich für die Ankündigung einer finanziellen Unterstützung und bei allen Anwesenden für ihre Aufmerksamkeit und erklärte die Pressekonferenz damit für beendet.
Sophia hatte das diffuse Gefühl, unfreiwillig Teil einer Inszenierung geworden zu sein. Wovon soll hier abgelenkt werden?
Kommissar Walther und sie verließen schweigend das Gebäude. Draußen, abseits von potenziellen Zuhörern platzte es aus ihr heraus:
„Nur damit ich nicht im falschen Film bin, bis jetzt ist das doch immer noch eine kriminaltechnische Untersuchung, oder habe ich irgendwas verpasst?“ Sie sah ihn mit großen Augen und fragendem Blick an.
„Formell ja, aber ich denke, das wird es nicht lange bleiben. Schau, wir haben keinen Vermissten. Meine Befragung der Familie hat nichts ergeben und es war ja heute Morgen offensichtlich, dass das Skelett schon verdammt lange dort liegt. Ich meine, du hast es ja selbst gesagt, dass die Liegezeit schon gut 200 Jahre sein kann!“
„Verdammt, das habe ich so nicht gesagt!“
„Nein??“
Sie standen sich einen Moment schweigend gegenüber, schließlich sagte Erwin: „Wie auch immer, passt es morgen um 13:00 Uhr im Präsidium zur Fallbesprechung?“
„Ja sicher, bis dann. Ciao“
Was sie jetzt brauchte, war Luft, Luft zum Atmen, ohne diesen ganzen künstlichen Druck, der ihr aufgezwungen worden war. Sophia wohnte in der Nähe ihres Arbeitsplatzes, des allgemeinen Krankenhauses, den sie so bequem zu Fuß erreichen konnte. Sie hatte Glück gehabt, direkt hier ein kleines Haus mit Garten mieten zu können, denn dieser Teil des Stadtteils in unmittelbarer Nachbarschaft zum Wald war eine bevorzugte Wohngegend. Sie genoss es immer wieder, ohne große Anfahrt durch den Wald zu joggen. So auch heute.
Doch ihr Genuss wurde getrübt durch die Ereignisse des Tages, die sie nicht losließen. Es war offensichtlich, dass einige eine kriminaltechnische Untersuchung am liebsten verhindern oder möglichst schnell beenden würden. Aber warum? Was sollte nicht ans Tageslicht kommen?
Da war zunächst Herr Recksiepe mit seinem geplanten Joint-Venture. Klar, dass eine Leiche im Garten sensible Geschäftspartner abschrecken würde, aber ihrer Meinung nach konnten sich mit einer kriminaltechnischen Untersuchung doch schnell alle Bedenken zerstreuen lassen, sofern dadurch kein Bezug zur Familie Recksiepe herstellen ließe. Vielleicht dachten Manager aber auch anders, es blieb ein Fragezeichen.
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