Beim Heranpreschen an den besagten Tisch vernehme ich sodann oftmals Fragen wie: „Ist der wirklich reserviert?“, oder dreister: „Der ist doch wohl nicht wirklich reserviert, oder?“, manchmal auch: „Für wen ist der denn reserviert?“, und, eine schon etwas klügere Frage: „Ab wann ist der reserviert?“.
Mal ehrlich und abgesehen von der letzten Frage in dieser Kette, die durchaus nicht unklug ist: welche Antwort erwarten diese Menschen bloß auf den Unsinn, den sie von sich geben? Glauben sie allen Ernstes, das Personal würde die Schilder nur zum Spaß oder aus Langeweile auf den Tischen verteilen? Denken diese Leute wirklich, sie könnten die Person vielleicht kennen, wenn man ihnen den Namen nennen würde? Selbst für den außergewöhnlichen Fall, dass sie Herrn Müller tatsächlich kennen - was dann? Und, wie können sie sicher sein, dass es sich dabei wirklich um „ihren“ Herrn Müller handelt? Denken die Fragesteller vielleicht sogar, irgendein unbekannter Wohltäter habe sie unter vielen Millionen als Günstling auserwählt und für sie ausgerechnet für heute Abend diesen Tisch in ausgerechnet dieser Bar reserviert?
Oft habe ich das Gefühl, diese Menschen denken nicht wirklich über ihr Tun nach, sondern handeln rein aus unterbewussten Impulsen heraus. Werden sie sodann auf ihr fragwürdiges Verhalten angesprochen und in einen bewussteren Zustand zurückgeholt, fällt es ihnen selbst schwer, ihr Verhalten sinnvoll zu begründen. Dieser geistige Schwebezustand ist sodann die Geburtsstunde für unsinnige Fragen oder beleidigte Kommentare. Deshalb an dieser Stelle ein kurzer Aufruf an alle Hersteller von Gastronomiebedarf: machen Sie die Reservierungsschilder größer, ja sie können gar nicht groß genug sein!
Ein hilfreicher Trick beim Platzieren von Gästen ist es, das Lokal „von hinten“ aufzufüllen, also zunächst Tische im hinteren Bereich zu besetzen, sodass von der Straße aus noch freie Plätze zu erkennen sind. Stellen Sie sich eine Bar vor, deren gesamte Fensterfront gerappelt voll mit Leuten ist. Viele der vorbeikommenden Passanten werden vermuten, die Bar sei überfüllt, obwohl der Raum hinter den Schaufenstersitzern nahezu leer ist. Das genaue Gegenteil hiervon ist übrigens ebenfalls ein echter Geschäftskiller. Erscheint nämlich der Gastraum leer, weil die wenigen vorhandenen Gäste in den hinteren Bereichen versteckt sind, oder weil tatsächlich kein einziger Konsument anwesend ist, so wird dieser Umstand auch die anderen potentiellen Gäste vom Betreten des Lokals abhalten. Niemand setzt sich gerne in eine leere Bar oder ein leeres Restaurant.
Mein Chef hat letzteren Effekt immer wieder damit zu bekämpfen versucht, indem er das Personal an den menschenleeren Fensterplätzen allerlei Gläser aufstellen ließ, bzw. uns anwies, die schmutzigen Gläser gar nicht erst abzuräumen. Ob der Trick funktioniert? Schwer zu sagen, mal kommen Gäste, mal eben nicht. Man müsste den Effekt schon wissenschaftlich untersuchen und statistisch auswerten. Über den Daumen gepeilt würde ich eher dazu tendieren, den Gläsertrick als unbedeutend einzustufen. Denn eine Bar ohne Menschen, jedoch mit Tischen voller Gläser, ob nun sauber oder benutzt, erweckt den Eindruck, hier sei bis eben kräftig gefeiert worden. Dass aber alle Gäste scheinbar gleichzeitig das Lokal verlassen haben, ohne dass das Personal sich bislang die Mühe gemacht hat die Tische abzuräumen, könnte genauso gut bedeuten: „hier ist gleich Feierabend“.
Einen besonders raffinierten und pfiffigen Kniff im Zusammenhang mit der Platzierung von eintretenden Nachtschwärmern hat sich einer meiner Bartenderkollegen ausgedacht. Er ist nämlich stets darum bemüht, attraktive Menschen, vorzugsweise Frauen, im Fenster- und damit Sichtbereich der Straße unterzubringen. Während diese „Lockvögel“ weitere Gäste anziehen sollen, werden durchschnittlich attraktive Besucher in die hinteren Bereiche verbannt. „Setz die hinten hin, die sind hässlich.“, lautet in solchen Fällen seine lapidare Aufforderung an die Kollegen.
Ich habe sogar von Barbesitzern gehört, die diese nicht unbedingt schmeichelhafte, dafür aber erstaunlich effektive Vorgehensweise auf die Spitze treiben. Sie sollen junge gutaussehende Frauen mit Hilfe von diversen Freigetränken dazu bringen, in ihrer Bar ein Schausitzen zu veranstalten und weitere Gäste hereinzulocken. Eine nicht unkluge Investition, die sich theoretisch sogar steuerlich geltend machen ließe.
Sitzen die Besucher unserer Bar nun endlich am richtigen Platz, so beginnt der eigentliche Teil der Bewirtung. Die Getränkekarten werden verteilt, um der Etikette gerecht zu werden an die Damen zuerst, und es entwickelt sich bereits das ein oder andere Beratungsgespräch. Vielen Menschen ist es lästig, dicke Getränkekarten mit unüberschaubar vielen Auswahlmöglichkeiten zu wälzen und lassen sich stattdessen lieber vom Barmann oder Kellner an der Hand führen. Ich kann jedes Mal nur den Kopf schütteln, wenn ich selbst als Gast wieder einmal eine Getränkekarte in die Hände bekomme, die mehr einem Buch als einer Karte gleicht. Hier gilt ganz eindeutig „weniger ist mehr“! An diesem Punkt hat man als Bartender erstmals die Möglichkeit aktiv zu verkaufen und seine Gäste beim Trinken anzuleiten.
Empfehlungen sind immer eine schwierige, wenngleich nicht unwichtige Angelegenheit. Meist hört man schlicht die Frage: „Was können Sie denn empfehlen?“. Manchmal mache ich mir den Spaß und antworte: „Wir zaubern hier die beste Apfelschorle der ganzen Stadt!“. Zugegeben, die wenigsten Gäste lachen hierüber, für gewöhnlich werde ich mit humorlosen Blicken abgestraft. Aber was ich damit erreichen möchte ist weniger beifallendes Gelächter, als vielmehr die Leute zum Nachdenken anzuregen, denn ein paar konkrete Hinweise auf Ihren Geschmack, Ihre Vorlieben und Abneigungen benötige ich schon. Und anstatt sich diese jedes Mal aus der Nase ziehen zu lassen, könnten Sie ja das nächste Mal schon von sich aus einige Anhaltspunkte liefern, um das ganze Prozedere ein wenig abzukürzen. Ist Ihnen mehr nach Bier, Wein oder möchten Sie einen Cocktail versuchen? Welche Spirituosen bevorzugen Sie? Soll es süß, sauer, sahnig sein? Welchen Cocktail trinken Sie sonst ganz gerne? Die Frage, was denn zu empfehlen sei, ist viel zu allgemein und kann außerdem zu bösen Überraschungen führen – für Sie als Gast.
Angenommen Sie kommen zu mir in die Bar und stellen mir diese Frage. Sie trinken im Regelfall nur Bitter Lemon und zu Festtagen auch mal eine Kirschschorle, wollen es heute aber einmal mit einem Cocktail versuchen. Gestresst und aufgrund des rollenden Geschäfts kurz angebunden antworte ich mehr scherzhaft als ernst: „Zombie!“. Sie denken nicht lange nach, stellen meine Seriosität nicht eine Sekunde lang in Frage und sagen ja. Sie haken nicht weiter nach und auch ich mache mir nicht die Mühe, Sie über den Inhalt dieses ausgesprochen kräftigen Drinks aufzuklären, denn vergessen Sie nicht, ich bin genervt, übellaunig und habe keine Zeit. Es mag vielleicht auch gut gehen, aber das Risiko, dass Ihre Geschmacksnerven und vor allem auch Ihr Magen äußerst allergisch auf diese ungewohnte Rum-Bombe reagieren werden, ist doch recht groß. Vielleicht bekommen Sie das Ding gar nicht erst runter, vielleicht kotzen Sie sich aber auch auf der Toilette die Seele aus dem Leib. In beiden Fällen können wir wohl nicht damit rechnen, Sie als Stammgast zu gewinnen.
Es ist letztlich also in beiderseitigem Interesse, Empfehlungen ernst zu nehmen und nicht leichtfertig eine solche auszusprechen. Doch seien Sie gescheit und geben Sie dem Barmann oder Kellner gleich ein paar Hinweise Ihren Geschmack betreffend mit auf den Weg. Gerade Ihr Bartender mag zwar vielleicht einen Ruf besitzen, der irgendwo zwischen frauenaufreißendem Zauberkünstler und strohdummen Kammerdiener liegt, hellsehen kann er jedoch ohne jeden Zweifel nicht.
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