In jedem Fall gilt es, Clausewitz‘ Regeln „Vom Kriege“ zu beachten und sich nach der Schlacht auf eine neuerliche Bedrängung durch den Feind gefasst zu machen, die Cocktailstation wieder zügig in einen hygienisch einwandfreien Zustand zu versetzen und den verschossenen Warenbestand aufzumunitionieren. Die Truppe gönnt sich noch eine Zigarette, nimmt, je nach Fasson, einen gierigen Schluck diversen Gesöffs zu sich, verschwindet in die dafür vorgesehen Räumlichkeiten und lässt mit einem wohligen Grunzen längst überfälligen flüssigen Ballast ab.
Nach einer guten Viertelstunde sind Fregatte und Besatzung wieder klar zum Gefecht und erneut auf dem Weg in feindliche Gewässer. In ungeduldiger Erwartung ist man nun bereit für die nächste Breitseite und den sich unweigerlich daran anschließenden Enterversuch durch die üblichen zwielichtigen Gestalten, die sich auch heute gewohnheitsmäßig durch die Nacht bewegen . . .
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Hinter dem Tresen zu arbeiten gleicht einem anstrengenden, bisweilen undankbaren Abenteuer, das einem unglaublich viel Selbstbeherrschung abverlangt. Man könnte auch, um dem Gleichnis treu zu bleiben, von einem Feldzug sprechen. Von einem Feldzug gegen einen Feind, der einem nichts schenkt und dem nur dann auf Augenhöhe zu begegnen ist, wenn die eigene Truppe ausgezeichnet gedrillt wurde und das Kriegshandwerk im Schlaf beherrscht. Neben einer fundamentalen Grundausbildung ist es natürlich nicht weniger wichtig, einige altgediente Veteranen unter das Heer zu mischen, denn ihre Erfahrung lässt sich durch keine noch so gute Ausbildung ersetzen, wohl aber ergänzt und erweitert sie auf Dauer die Fähigkeiten der Grünschnäbel.
Auf der einen Seite ist es so, dass man niemals vorhersagen kann, was die bevorstehende Schlacht bzw. der jeweilige Abend so alles an denkwürdigen Ereignissen bringen wird, welch kaputte Figuren in seinem Verlauf durch die Schwingtür des Saloons hereingeschneit kommen werden, wie viel Beute man wird abgreifen können, und welche notleidende Mitvierzigerin einem schon allein mit den Blicken den Reißverschluss aufziehen wird. Auf der anderen Seite erfährt man aber auch kaum Anerkennung und echte Wertschätzung, gilt es Launen und Respektlosigkeiten von größtenteils fremden Leuten zu ertragen, die man nicht einmal seiner übellaunigen Alten zumuten möchte. Dabei ist man stets dazu verdammt die Schnauze zu halten und das berufsmäßige Lächeln zu wahren.
Tatsächlich steht dem Barmann durchaus ein ganzes Arsenal an Rachemöglichkeiten zur Verfügung, das, wenn Sie als Leser es erst einmal kennengelernt haben, Sie es sich in Zukunft zweifellos zweimal überlegen lässt, wie Sie dem Barmann in der Kneipe Ihrer Wahl gegenübertreten wollen. Die goldene Regel lautet ganz einfach: bleiben Sie jederzeit höflich und korrekt. Aber dazu später mehr.
Neben widerborstigen Gästen erwarten den Barmann noch andere Widrigkeiten. Eine der schlimmsten hiervon: Langeweile. Kaum etwas demotiviert mehr und untergräbt Disziplin und Moral schlimmer als sinnloses Däumchen drehen während der Arbeit. Schon vierzig Minuten des Herumstehens sind vollkommen ausreichend und mir ist die Lust bis auf das letzte Fünkchen restlos vergangen. Danach wieder in die Gänge zu kommen fällt mir jedes Mal furchtbar schwer. Es ist eine Qual. Und doch gehören sie eben dazu, die ruhigen arbeitsarmen Phasen, die ständig einmal auf einen warten und stets aufs Neue einer Geduldsprobe unterziehen.
Auch das genaue Gegenteil hiervon, nämlich stressgeladene Stunden, während der man sich fühlt wie ein fleischgewordener Zentrifugator, gehören zum Job. Für mich gesprochen kann ich jedoch sagen, dass solche Phasen weitaus besser sind, als das leidige Nichtstun. Denn die fordernde Arbeit macht mehr Spaß, sie bringt mehr Trinkgeld (da mehr Umsatz) und die Zeit vergeht zudem unvergleichlich schneller. Ein gesundes Maß an Stress bringt den Motor erst so richtig in Schwung und fördert die Moral.
Nach diesem kurzen, als Einführung dienenden Ausflug in einen exemplarischen Abend des Barbetriebs, widmen wir uns in den folgenden Kapiteln etwas detaillierter den großen Fragen des Bartendertums. Es geht um die Fragen, die auftauchen sollten, wenn Sie vorhaben eine Karriere als flaschenwerfender Oktopus zu starten, oder um Fragen, die Sie sich vielleicht schon des Öfteren aus reiner Neugier gestellt haben, wenn Sie eine trinkselige Stunde am Tresen Ihrer Stammkneipe verbracht haben. Vor allem aber geht es um Fragen, die das Herz und das Wesen zweier eng miteinander verwandter Spezies betreffen, die manchmal kaum voneinander zu unterscheiden sind: von Nachtschwärmern und Schnapsdrosseln.
Was ist des Barmanns Daseinsberechtigung, was der Grund für seine berufliche Existenz? Es ist schlicht das natürliche Bedürfnis der Menschen in der Öffentlichkeit zu trinken. Doch geht es nicht nur um den Wunsch nach primitiver Aufnahme von flüssiger Nahrung, es geht um weit mehr als das, nämlich um das tief in uns verwurzelte Verlangen nach Geselligkeit, das Bedürfnis, sich anderen mitzuteilen, der Wunsch, den stressigen Alltag zu vergessen - und sich endlich mal wieder nach allen Regeln der Kunst hemmungslos zu besaufen. Bei jedem Menschen mag die Gewichtung mehr oder weniger anders verteilt sein, doch sind alle diese Bedürfnisse wohl die Ursache dafür, dass es schon seit Jahrhunderten Berufe gibt, deren scheinbare Hauptaufgabe darin besteht, anderen Menschen Alkohol ins Glas zu gießen und unter die Nase zu stellen.
Dem Barmann kommt demzufolge nicht nur die Aufgabe zu, legale Drogen unters Volk zu bringen, er ist auch Dreh- und Angelpunkt eines wichtigen Bereiches des sozialen Lebens. Egal ob Szenebar, Kiezkneipe oder Nobelrestaurant, hier treffen sich die Menschen, pflegen Freundschaften, lamentieren über Nichtigkeiten und verbringen ihre Freizeit mit Gesprächen und der Benebelung der Sinne. Der Barmann steht im Zentrum all dieser Aktivitäten, er ist Dealer, Dirigent, Zuhörer und Redner in einer Person. Durch seinen Charakter hat er entscheidenden Einfluss darauf, wer in diesem Lokal regelmäßig verkehrt, wer gelegentlich wiederkommt und wer erfolgreich die zeitraubende und das Portemonnaie nicht unwesentlich belastende Metamorphose zum Stammgast durchmacht. Er gibt der Bar ihr eigentliches Gesicht und verleiht der Lokalität ihren unverwechselbaren, aber auch empfindlichen und auswechselbaren Charakter.
Undenkbar, dass bei aller Technisierung der verschiedensten Lebensbereiche einmal der Tag kommen könnte, an dem der Mann hinter dem Tresen durch einen seelenlosen Schankautomaten ersetzt werden soll. Man kennt solcherart verstörende Zukunftsvisionen aus Sci-Fi-Filmen wie „Das fünfte Element“, wo ein Roboter die gewünschten Getränke unter perfekter Einhaltung der vorgegebenen Maße kredenzt und dabei stets gleichmütig und unempfindlich gegenüber jedweder Beleidigung höflich und korrekt seinen Gästen gegenübertritt. Wie unglaublich langweilig und alles andere als wünschenswert.
Bei aller Perfektion lassen Maschinen einen alles entscheidenden Faktor vermissen: das Menschliche, das Imperfekte, ja das Unberechenbare. Und alle diese Science-Fiction-Filme missachten oder übergehen den unverrückbaren Umstand, dass ein Barmann nicht nur ein bloßer Schankautomat ist, der Getränke zubereitet und serviert. Menschen möchten sich nicht mit Maschinen unterhalten und von ihnen bedienen lassen – schließlich wissen wir spätestens seit „Star Wars“, dass selbst künstliche Persönlichkeiten wie C3PO oder R2D2 nur allzu oft von ihren humanoiden Zeitgenossen mit Missachtung und Geringschätzung gestraft werden, nicht etwa weil sie dumm oder im übertragenen Sinne seelenlos wären, sondern weil sie eben nicht aus Fleisch und Blut sind.
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