Was jedoch zeichnet den Beruf eines Bartenders aus? Welche Anforderungen stellt er an Physis und Psyche? Welche Gefahren und Vorzüge bietet er? Welche Menschen und Situationen begegnen einem? Was ist die Essenz seines wahren Wesens?
Es existieren mehrere Wege, diesen Fragen auf den Grund zu gehen. Schlägt man z. B. auf der Homepage der Bundesagentur für Arbeit unter dem Stichwort "Barmixer/in" nach, so erscheint folgender knapper Text:
Barmixer/innen und Barkeeper/innen mixen alkoholische und alkoholfreie Cocktails und schenken diese sowie andere Getränke aus. Zudem bereiten sie kleine Imbisse oder Snacks vor, die an der Bar serviert werden. Barmixer/innen und Barkeeper/innen arbeiten in der getränkegeprägten Gastronomie, wie z. B. in Hotelbars, Restaurants, Diskotheken oder Lokalen mit Barbetrieb. Barmixer/in und Barkeeper/in ist eine Weiterbildung (...). Die Lehrgänge unterschiedlicher Dauer (...) dauern je nach Art der Lehrgänge und Bildungsanbieter zwischen 5 Wochen und 6 Monaten.
Diese knappe, durchaus nicht unzweckmäßige Berufsbeschreibung unterschlägt dem ahnungslosen Interessenten auf der einen Seite, was es tatsächlich bedeutet, als Barmann oder Barfrau zu arbeiten. Mit keinem Wort ist die Rede von Nacht-, Schicht- oder Wochenendarbeit, wenn die Freundin längst alleine (so wollen wir jedenfalls hoffen) im Bett liegt oder die Kumpels gemeinsam (jedoch ohne uns) freudig um die Häuser ziehen. Unerwähnt bleiben ebenfalls die oft miserable Bezahlung, die nicht selten praktizierte Schwarzarbeit sowie die allgegenwärtige Gefahr, die Kontrolle über den ständig verfügbaren Alkohol zu verlieren und irgendwann als nachtaktiver Zombie zu enden.
Auf der anderen Seite offenbart sie aber auch eine große Schwäche dieser Branche: kaum einer der allerorts anzutreffenden Barmänner verfügt über eine fundierte Ausbildung, der absolute Großteil von ihnen wurde lediglich im Verlauf mehrerer Tage angelernt oder mit Hilfe eines behelfsmäßigen Crashkurses in die unausgereiften Grundzüge des Barbetriebs eingeweiht. Nahezu das gesamte Repertoire ihres Wissens und Könnens erwerben die meisten der international operierenden Barmänner und Barfrauen im Verlauf ihrer Tätigkeit hinter dem Tresen, also während des sprichwörtlichen learning by doing. Der berüchtigte Wurf ins kalte Wasser gilt in dieser Branche noch immer als probates Mittel, um neues Personal auf Herz und Nieren zu prüfen – und auch als fragwürdige Art einen Neuling „anzulernen“ und „einzuarbeiten“.
Dabei gleichen die ersten Tage nicht selten der allerersten Autofahrt, sind doch viele von der Vielfalt der Arbeiten, auch von den multiplen Dingen, die gleichzeitig erledigt oder doch wenigstens im Auge behalten werden müssen, überrascht, von den ungewohnten Arbeitszeiten und dem permanenten Umgang mit fremden Menschen und bisweilen anstrengenden Gästen überfordert. Von vielen wird der Beruf des Barmannes unterschätzt: was kann schon Großes daran sein, denkt so mancher, ein paar Getränke einzuschenken, selbige zu kassieren, ein paar Zutaten zusammenzumischen und zum Dienstschluss den Tresen ein wenig zu putzen? Das alles klingt zunächst sehr einfach – und das ist es bis zu einem gewissen Grad auch, sofern man über die nötige Routine, Sachkenntnis und innere Einstellung verfügt. Aber das gilt letztlich auch für jeden anderen Beruf. Dennoch bietet das Gastgewerbe Herausforderungen, die einem in dieser Form wohl in keiner anderen Branche begegnen.
Einen kleinen Einblick in das alltägliche Geschäft des Bartenders möchte ich Ihnen mit diesem Buch aus erster Hand bieten. Der Inhalt ist das komprimierte Ergebnis von rund fünfzehn Jahren Erleben, Staunen, Stutzen, Schmunzeln, Ärgern, Langweilen, Lernen und Freuen – und das alles zu etwa gleichen Teilen in einem Shaker kräftig geschüttelt und ohne Eis serviert. Für eventuelle Unverträglichkeiten übernehme ich selbstverständlich keine Haftung.
Die größte Auszeichnung für dieses Buch muss es naturgemäß sein, wenn Sie sich während des Konsums dieses literarischen Cocktails ebenfalls abwechselnd in Staunen versetzt fühlen, gelegentlich stutzen, öfter mal schmunzeln, manchmal ärgern, hoffentlich nie langweilen, manches dazu lernen, ständig etwas Neues erleben und am Ende mit einem heiteren Ausdruck auf dem Gesicht die letzte Seite zuschlagen.
Wohl bekomms!
Thomas Majhen
Berlin, 23.07.2015
Wer nix wird, wird Wirt
Volksweisheit
Beginnen wir zunächst einmal mit den grundlegendsten Dingen und der einfachen Frage, was so ein Barmann den ganzen Tag über macht. Die Antwort ist: vermutlich schlafen, denn sein „Tag“ beginnt meist erst dann, wenn andere sich in den Feierabend begeben, sich durch den üblichen Berufsverkehr quälend nach Hause fahren oder noch auf ein Bier mit den Kumpels in ihrer Stammkneipe einkehren, wo ebenjener Bartender soeben seine Schicht angetreten hat. Ein Barmann ist also schon von Berufs wegen kein Frühaufsteher, sein Tag ist buchstäblich die Nacht. Meist schläft er bis in die Mittagsstunden, rollt sich sodann gerädert und zerknittert, nicht selten auch böse verkatert, aus dem Bett und plant mit einem eingekniffenen Blick auf die Uhr seine weitere taktische Vorgehensweise bis zum unweigerlich nächsten Schichtbeginn im Laufe des Abends oder späten Nachmittags . . .
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An der Arbeits- und Wirkstätte angekommen, die in nicht wenigen Fällen zugleich auch Theaterbühne, soziale Auffangstation und die speisende Plutoniumquelle des verstrahlten und grotesk mutierten Egos ist, wird die Schicht erst einmal mit einer großen und kräftigen Tasse Kaffee eingeläutet - wahlweise auch mit einem Schnaps oder einer Nase Koks. Ich bevorzuge Kaffee, denn er ist billiger, bei weitem unschädlicher und außerdem in rauen Mengen jederzeit verfügbar. Okay, fast dasselbe könnte man auch über den von Bartendern kaum weniger geschätzten Schnaps sagen, jedenfalls im Verhältnis zum Kokain. Davon abgesehen war ich aber im Zuge einer Handvoll Selbstversuche immer von der überaus kurzen Wirkdauer des weißen Pulvers enttäuscht, und ich bin keineswegs bereit, geschweige denn habe ich die Zeit, während meiner Schicht im Viertelstundentakt auf die Toilette oder ins Lager zu springen, um mir die halb taube und rotzlaufende Nase nachzupudern. Kaffee ist, und in dieser Hinsicht bin ich typisch deutsch, weitaus besser.
Viele Barleute sind, und mich selbst nehme ich hiervon keineswegs aus, ohne den ersten Schuss Koffein kaum ansprechbar, sondern bewegen sich wie im Delirium mechanisch an den Barstationen vorbei hin zur Kaffeemaschine, dieser Spenderin des Erwachens, der Zapfstation des sehnlichst benötigten schwarzen Treibstoffes. Was wären wir nur ohne diese wunderbare technische Errungenschaft, dieser vielleicht wichtigsten menschlichen Erfindung seit der Entdeckung des Rads, des Schießpulvers und der Tiefkühlpizza? Bestenfalls willenlose Zombies!
Kaum dass man nun also die erste Tasse des Drehzahlbeschleunigers intus hat, prasseln mit hoher Wahrscheinlichkeit auch schon die ersten Bestellungen des Abends auf einen ein. Ein Bier hier, eine Piña Colada da, ein entkoffeinierter Soja-Latte Macchiato mit Karamell-Topping dort. Alles wunderbar. Die nächste entscheidende Hürde des Tages muss genommen werden, wenn endlich eines dieser lästigen aber zwangsläufigen Individuen am Tresen die Dreistigkeit besitzt, einen schon jetzt, noch weit vor Erreichen eines wenigstens halbwegs „wach“ zu nennenden Zustandes anzusprechen.
„Haben Sie auch eine Toilette?“, „Gibt’s hier was zu essen?“, „Ist der Tisch dort wirklich reserviert?“, hört man da einige besonders unerschrockene Exemplare fragen, zeitraubende und überflüssige Höflichkeitsfloskeln geflissentlich übergehend. Es sind immer wieder dieselben Fragen, die man mit routiniert emotionslosem Ton mit den ebenfalls immer gleichen Antworten abschmettert: „Die Treppe hinunter.“, „Nein, nur Getränke.“, „Ja, der ist reserviert.“. Hat man während dieses halbwachen ferngesteuerten Zustandes nun wahlweise besonders gute oder aber ausgesprochen schlechte Laune, so lässt man sich gelegentlich auch einmal zu Variationen hinreißen wie „Nein, eine Toilette haben wir nicht. Gehen Sie einfach auf die andere Straßenseite.“, „Wir verkaufen ausschließlich Flüssignahrung.“ oder „Wo denken Sie hin, das Reserviertschild steht da selbstverständlich nur, weil es so schön aussieht!“.
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