Er log nicht, um eine Fehltat abzustreiten, sondern um eine aufzubauen. Die Blume mit dem Namen Narzisse war erblüht.
Wir heirateten und anfangs waren wir glücklich, lebten zufrieden unseren Alltag und blickten hoffnungsvoll in die Zukunft.
Hugo arbeite außerhalb, ich war für das Management innerhalb des Hauses zuständig. Dazu bekam ich Beratung. Wann und wo hätte ich bei meiner Herkunft auch putzen und kochen lernen sollen?
Hugo demonstrierte mir männliche Logik, an der es mir leider mangelte, und meine Schwiegermutter ließ sich lang und breit über die Wichtigkeit von Sauberkeit, Ordnung und das Führen eines Haushaltsbuches aus.
Damit ich auch verstand, wie ein Haushaltungsbuch in etwa aussehen sollte, kaufte sie mir ein Exemplar. Allerdings verlangte sie dessen Kosten zurück.
Nach drei Jahren kam unser Sohn Alexander zu uns. Er war zu diesem Zeitpunkt nicht geplant gewesen, aber wir freuten uns umso mehr über ihn.
Eine Transformation fand statt und die Welt bestand nur noch aus drei Kilo 750 Gramm. Ich konnte mich mit einer Mischung aus Glückseligkeit und Furcht um ihn, die mich bis an mein Lebensende begleiten wird, nicht sattsehen an ihm. Immerzu wollte ich ihn aus der Wiege nehmen, ihn streicheln und beschnuppern. Nur nachts, da wollte ich nicht, da musste ich ihn aus der Wiege nehmen. Darauf war ich nicht vorbereitet gewesen. Unglaublich, wie ein so kleines Wesen einem Erwachsenen jede Kraft rauben kann.
Der letzte Rest meiner Fähigkeit, selbständig zu denken, wurde von Müttern mit Erfahrung niedergewalzt. Alles, was meinen Alltag hätte vereinfachen können, galt als tabu. Geregelte Zeiten für alles und jedes und nur zum Wohle des Kindes zählten noch. Dazu sind Mütter ja da: ausschließlich für die Zufriedenheit ihrer Kinder.
Ich machte alles falsch und war umgeben von erfolgreichen, gepflegten Müttern, deren Leben exakt so wundervoll war, wie sie es anstrebten, und die vor Glück strahlten, wenn ihr Baby nachts schrie.
Hugo entpuppte sich als liebevoller Vater und übernahm viele Pflichten. Nur auf einen ungestörten Schlaf bestand er, da er tagsüber alle Ressourcen für seine wichtige berufliche Position benötigte. Das verstand ich.
Wie es die Tradition verlangte, bauten wir uns ein Nest und schlugen den üblichen Weg ein. Haus mit Garten, Samstagsausflug zum Gartenmarkt, Grillieren auf der Terrasse, einen Hund und Erfolg im Beruf. Das Letztere ließ er so verlauten, und bezweifelte auch niemand, denn er strickte fleißig am Mythos seiner heroischen Person.
Aber ein strahlendes Bild zu erhalten benötigt viel Kraft. Je höher der Sockel wurde, auf den er sich stemmte, desto anstrengender wurde es für ihn, sich oben zu halten.
Unser zweiter Sohn Philipp war sechs Tage alt, als Hugo wiederum Barbara traf, und mit ihr im Hotel verschwand.
Wer weiß, was wirklich geschah. Ob ja oder nein ist nicht von Belang. Nur die Tatsache zählt, dass ich ihm glaubte.
Niemand ist so verletzlich wie die Mutter eines neugeborenen Kindes. Ihr Körper ist durch das Trauma der Niederkunft geschwächt, wild gewordene Hormone flitzen durcheinander und das Stillen rund um die Uhr erschöpft sie.
Abends kam Hugo von der Arbeit nach Hause und leerte einen Kübel Verachtung über mich. Mein Aussehen wurde bemängelt, darauf aufmerksam gemacht wie hässlich, wie wertlos ich war, dumm und dick, und wie schlecht mir meine Haushaltsführung sowie meine Kindererziehung gelang.
Anfangs wehrte ich mich, was unverzeihlich war, denn ein Narzisst braucht eine Partnerin, die ihn als göttliche Fügung ansieht. Er reagierte mit Drohungen und alles, was ich zu meiner Verteidigung vorbrachte, wurde überheblich abgeschmettert.
Ich war ihm klar unterlegen. Selbst als ich schon am Boden lag, trat er mich weiter mit Füssen. „Du kannst nichts“ und „Du bist nichts“ kannte ich schon seit meiner Kindheit. Er modifizierte lediglich die Formel. Im einen Augenblick konnte ich nichts richtig machen, im anderen überschüttete er mich mit Fürsorge und Zärtlichkeiten. Zuckerbrot und Peitsche.
Dann nur noch Peitsche.
Ich weiß nicht, warum ich mich nicht wehren konnte. Worte besitzen Macht, ich glaubte ihm. Die Botschaft war verinnerlicht: Ich war wertlos, dumm und dick.
Ängstlich lotete ich seine Stimmung aus und versuchte, ihm immer einen Schritt voraus zu sein, um Unheil abzuwenden, versuchte alle glücklich zu sehen außer mich, redete mir ein, dass wir alle glücklich würden, wenn nur er glücklich war. Wer war ich denn, dass ich mich meinem Ehemann entgegenstellen durfte? Er, beruflich erfolgreich, und ich, zu nichts imstande. Dumm und dick eben.
„Kannst du nicht wenigstens versuchen, ein wenig sauber zu machen, bevor ich nach Hause komme? Du erwartest doch nicht, dass ich das auch noch erledige! Meine schwerwiegende Arbeit erfordert bereits all meine Aufmerksamkeit und Kraft.“ Dabei hatte er einen verächtlichen Ausdruck im Gesicht, als wollte er mich noch ein letztes Mal verwarnen.
Unentwegt lag ich im Schatten seiner mentalen Angriffe. Nie wusste ich, wann der Nächste kam. Er brauchte keinen
Grund dazu. Schon ein unbewusster Blick, eine Geste, eine leise Freude meinerseits reichte dazu aus.
„Aha. Wie ich sehe, warst du schon wieder beim Friseur. Im Gegensatz zu dir habe ich dazu keine Zeit. Ich arbeite hart für euch, damit ihr ein schönes Leben habt. Das ist mein Ziel. Nicht meins ist wichtig, nur eures.“
Seine Verachtung war unübersehbar. Alles drehte sich nur noch darum, ihm zu gefallen. Er weidete sich an meiner Angst und ernährte sich davon. Je mehr ich davon zeigte, umso mehr begehrte er sie, und umso größer wähnte er sich. Sie half ihm, seine negativen Gefühle zu überwältigen. Einige tranken in seiner Situation, andere schlugen ihre Frauen, traten die Katze oder bewältigten den inneren Schmerz, indem sie die nächst Schwächeren psychisch misshandelten.
Ein schleichendes Gift breitete sich aus, nur konnte dieses Gas niemand riechen. Es war leicht, so zu tun, als existierte es nicht.
Er war doch ein guter Vater. Wie könnte ich die Kinder von dem wegreißen, was ihnen Stabilität gab. Wir verbrachten doch auch schöne Zeiten zusammen, diese würden bestimmt den Weg zurückfinden, das eine oder andere nette Wort würde er mir sagen, wenn ich mich nur ein Bisschen anstrengte, weniger an mich und mehr an sein Wohlbefinden dachte.
Meine Persönlichkeit wurde mir ausgetrieben, meine Lebensfreude ausradiert, meine Freundinnen weggetrieben, eine eigene Meinung stand mir nicht zu. Für ihn gab es ohnehin nur zwei: seine oder die falsche. Selbst Wasser war nicht nass, wenn er es so wollte. Er presste mich immer mehr in die Form, die ihm genehm war.
Nahte Besuch, malträtierte er mich im Vorfeld, bis ich in Tränen ausbrach. Danach begrüßte er die Gäste mit dem Schwung eines Siegers und kommentierte mit verächtlichem Schnauben das Lob, das an mich gerichtet war: „Ja. Kochen kann sie.“ Um ihm zu gefallen, bewies ich einen Intellekt, der nicht über die Küche hinausging.
Großzügig spielte er den fürsorglichen Ehemann, berührte mich zärtlich und sah liebevoll auf mich herab. Die blitzschnellen Wechsel zwischen fröhlichem Lächeln, mit dem er seinen Besuch beglückte und der verachtenden Grimasse, wenn er sich mir zuwandte, sah nur ich.
Für mein Umfeld war ich die unzufriedene Gattin, die nicht dankbar war für ihren außerordentlichen Partner. Beklagte ich mich, meinten sie: „Hör auf. Jetzt übertreibst du aber massiv.“ Dabei war es noch untertrieben.
Er hatte sie auf seine Seite gezogen und ihr Mitgefühl galt ihm. Auf meine ständig gereizte Laune angesprochen, antwortete er lächelnd: „Ach weißt du, ich habe Geduld. Was soll ich denn machen? Da sind ja noch die Kinder.“
Beinahe hätte er mich ausgelöscht.
Alexander war 12 Jahre alt, als er sich das erste Mal zwischen uns schob, und seinen Vater mit einem einzigen Satz vom Sockel stürzte.
Читать дальше