Ich warf mich aufs Bett und heulte wie ein Schlosshund, weil mir die Szene im Minsker Gefängnis mit Macht wieder in Erinnerung kam, die ich längst überwunden glaubte. Ich hatte mich ja sicher gefühlt, dachte, ich sei die Herrin über die Männer, und nun hatte mir dieses Schwein gezeigt, dass ich doch nur eine schwache Frau bin. Obwohl ich mit ihm fertig geworden war, fühlte ich mich abgrundtief gedemütigt, und schlagartig wurde mir klar, dass diese Tätigkeit auf Dauer kein Leben für mich wäre. Als ich mich beruhigt hatte, rief ich die Agentur an, ich sei an weiteren Vermittlungen nicht mehr interessiert und buchte über das Internet einen Selbstverteidigungskurs. Dann erinnerte ich mich an eine Buchbesprechung über ‚Die Republik der Frauen‘. Da wurde erzählt, dass die Frauenregierung Vergewaltiger eine Woche lang nackend in Käfigen auf dem Marktplatz ausstellt mit einem tätowierten V auf der Stirn. Ich wusste, dies Buch würde mich ein wenig aufbauen. Nach der Arbeit ging ich heute zu Thalia, um erst mal hinein zu schauen und war begeistert, es war genau das Richtige für mich. Dadurch haben Sie mich getroffen und ich bin froh darüber.“
Kaffee und Kuchen waren alle, Ferdinand bestellte noch einen Cognac, den sie schweigend tranken, dann zahlte er. Beim Herausgehen hängte Tanja sich plötzlich bei ihm ein und er legte den Arm um ihre Schulter. Nach ein paar Schritten fiel sie ihm um den Hals und drückte sich eng an ihn, er strich ihr sanft über die Haare. Da küsste sie ihn heftig, was er gerne erwiderte. „Ich glaube, du bist der erste feine Kerl, der mir in den letzten Jahren begegnet ist“, sagte sie, während ihr die Tränen aus den Augen strömten. Ferdinand war völlig perplex über diesen plötzlichen Ausbruch, doch er sah, dass sie einen Menschen brauchte, dem sie vertrauen konnte. Der wollte er gerne sein, sie war ihm ja schon ans Herz gewachsen. „Ich will für dich da sein und du kannst mir alles sagen, was dich bedrückt“, flüsterte er ihr ins Ohr. „Danke“, antwortete Tanja und küsste ihn noch einmal herzlich.
Jetzt durfte er nichts überstürzen. „Soll ich dich irgendwo hin bringen?“, fragte er vorsichtig. „Ja bitte, zu meinem Wagen“, schluchzte sie immer noch, „er steht in der Tiefgarage vom Stachus Einkaufszentrum.“ „Da stehe ich auch, das ist ja bei Thalia.“ Tanja beruhigte sich und hängte sich wieder bei Ferdinand ein. Vor ihrem Porsche küsste sie ihn noch einmal und gab ihm einen Zettel. „Das ist meine Telefonnummer, ruf’ mich doch mal an, wenn du magst und entschuldige bitte mein unbeherrschtes Benehmen vorhin.“ „Kein Grund zur Entschuldigung, ich will dir gerne ein wenig helfen, wenn du mich brauchst und werde mich bald mal melden.“, tröstete er sie und schaute ihr nach. Glücklich fuhr er nach Hause. Er musste sich ja dringend mit dem neuen Linux beschäftigen, damit er die Anlage für den Kunden aufbereiten konnte.
Im Apartment zeigte ihm sein Telefon eine Nummer an, die er nicht kannte. Als er sie anrief, traf ihn beinahe der Schlag, Ingeborg Hacker, seine frühere Freundin und Geliebte meldete sich. „Ich wollte mal hören, wie es dir geht“, sagte sie etwas verlegen. „Die Wirtschaft hat sich ja ziemlich gebessert, vielleicht hast du ja auch wieder ordentlich Fuß gefasst.“ Ferdinand wusste überhaupt nicht, was er sagen sollte, und die Gedanken jagten ihm durch den Kopf. Gerade war er Tanja etwas näher gekommen und setzte große Hoffnung auf eine Freundschaft mit ihr, da meldet sich Inge wieder, mit der er wunderschöne Zeiten erlebt hatte, bis sie ihn dann abrupt verließ. Offenbar wollte sie wieder Kontakt mit ihm aufnehmen. Ganz sicher wollte er jetzt nicht mit zwei Frauen zu tun haben, eine von ihnen musste er aufgeben. „Bist du noch dran?“, hörte er Inges Stimme aus dem Hörer. „Ja“, antwortete er langsam und musste sich jedes Wort überlegen, „dein Anruf überrascht mich etwas, immerhin haben wir drei Jahre nichts voneinander gehört.“ „Können wir uns nicht mal treffen und in Ruhe über alles reden?“, fragte die Frau und Ferdinand konnte nicht so hart sein, diese Bitte abzulehnen. „Ich arbeite zur Zeit bis in die Nächte an einem Auftrag“, antwortete er. „Sonntag Nachmittag habe ich Zeit. Wo wollen wir uns treffen?“ „Sei um 16 Uhr im Englischen Garten an der Brücke von der Osterwaldstraße, da können wir ein bisschen plaudern.“ Inge war ganz begeistert, als Ferdinand zustimmte. „Jetzt habe ich drei Tage Zeit für eine wohl überlegte Entscheidung zwischen diesen beiden Frauen“, dachte er erleichtert.
Tanja dachte in ihrer Wohnung über den Nachmittag nach. Es war wohl mehr als ein glücklicher Zufall, dass sie Ferdinand bei Thalia begegnet war und sich ihm gegenüber öffnen konnte. Das hatte sie bisher noch bei keinem Mann getan, warum fiel es ihr bei ihm so leicht? Irgendwie hatte sie schon bei der ersten Begegnung Vertrauen zu ihm gefasst und wie es schien, war das Vertrauen gerechtfertigt. Nur wenige andere Männer hätten so zurückhaltend reagiert wie er, als sie ihm um den Hals gefallen war. Sicherlich hatte er ihre Küsse erwidert, das war doch ganz natürlich, aber er hatte ihre Stimmung in keiner Weise ausgenutzt, sondern versucht, sie zu verstehen. War sie leichtsinnig gewesen, ihm ihre Telefonnummer zu geben und ihm damit ihr Refugium zu öffnen? Nein, instinktiv spürte sie, dass dieser Mann ihr einen neuen Weg in jenes Leben zeigen könnte, vor dem sie sich bisher so gefürchtet hatte, ein Leben in einer Gemeinschaft mit einem Mann. Nachdem sie zu Abend gegessen hatte, ging sie dankbar ins Bett und schlief bald ein. Insgeheim hoffte sie, dass Ferdinand sie irgendwann anrufen würde, doch wusste sie auch seine Zurückhaltung zu schätzen. Wenn er sich bis zum Ende der nächsten Woche nicht meldete, würde sie die Initiative ergreifen.
Ferdinand stellte an den nächsten Tagen bis spät abends das Linux-System zusammen und spielte die Anwenderprogramme ein. Samstag war er fertig. Natürlich hatte er immer wieder über Ingeborg nachgedacht und sich an die schönen Stunden mit ihr erinnert, aber diese Erinnerung mündete stets in die abgrundtiefe Verlassenheit, die er nach ihrem Verschwinden gefühlt hatte. Sonntag Vormittag nahm er Papier und Bleistift und stellte die positiven und negativen Aspekte der beiden Frauen einander gegenüber:
Ingeborg
- Plus:Liebevolle Frau, lange schöne Gemeinschaft, intime Kenntnis aller Eigenschaften.
- Minus:Abruptes Ende mangels Vertrauen ohne Rücksicht auf meine Lage. Fühle keine Liebe mehr zu Ihr.
Tanja
- Plus:Wohl liebevoll, scheint mich zu brauchen, Behutsamkeit notwendig, große Hoffnung und schon ein bisschen Liebe.
- Minus:Möglicherweise traumatisiert, unsicher, ob daraus eine Gemeinschaft werden kann.
Lange saß er über diesen Daten ohne zu einer Entscheidung zu kommen, denn die positiven und negativen Aspekte der beiden Frauen waren eigentlich gar nicht vergleichbar. Schließlich fuhr er in die Stadt, ohne zu wissen, was er Inge sagen sollte. Sie wartete schon an der Brücke. Als sie ihn sah, lief sie auf ihn zu und rief „Schön, dass du gekommen bist, lass uns ein bisschen laufen.“ Sie hängte sich bei ihm ein und plauderte drauf los, wie es ihm gehe und was sein Geschäft mache. Ferdinand war froh über dieses harmlose Gespräch, er hatte sie viel emotioneller in Erinnerung. Doch das änderte sich sehr schnell, als sie ein Stück querwaldein gegangen waren und auf einer kleinen Wiese zwischen dichten Büschen standen. Da fiel ihm Ingeborg um den Hals und küsste ihn leidenschaftlich. Die Erinnerung an ihr inniges Miteinander brachte ihn dazu, ohne nachzudenken auch ihren Körper eng zu umarmen und die Küsse ebenso leidenschaftlich zu erwidern.
Alles war wieder da, was er mit ihr an Schönem erlebt hatte, ihre bezaubernde Zärtlichkeit, ihre ständige Bereitschaft zur Liebe mit animalischer Wildheit und das herrliche Gefühl, wenn sie ihn mit dem Mund liebte. Das hatte er schon lange nicht mehr gefühlt und wünschte es im Innersten. Ingeborg wusste das und als sie seine Erregung fühlte, kniete sie vor ihm nieder und öffnete ihm den Reißverschluss. Doch als danach seine Spannung schlagartig verflog, kam er ebenso schnell zur Besinnung. Er schloss seine Hose und überlegte, wie er Ingeborg das Nötige sagen konnte, ohne sie zu kränken, immerhin hatte sie ihm etwas Schönes gegeben, was er sich auch gewünscht hatte. „Du hast es mir so schön gemacht wie früher“, sagte er langsam und musste über jedes Wort nachdenken, „und ich danke dir, denn ich glaube, du liebst mich wieder. Ich weiß jetzt aber genau, dass ich das nicht hätte zulassen dürfen, denn ich kann dich nicht mehr lieben. Ich habe nicht vergessen, wie du mich damals verlassen hast. Ich war in einer verzweifelten Lage, und anstatt mir zu helfen, nicht mit Geld, sondern seelisch, hast du mich Knall und Fall verlassen. So etwas hinterlässt Spuren, die sich nur schwer tilgen lassen“ Ingeborg sah ihn verständnislos an. „Was ist mit dir, hast du wieder eine Frau?“, fragte sie irritiert und erhob sich. „Bisher weiß ich es noch nicht genau“, antwortete Ferdinand langsam, „aber ich werbe um sie und habe große Hoffnung, dass etwas daraus wird. Auch wenn es diese Frau nicht gäbe, könnte ich mit dir nicht einfach weiter machen, als ob nichts gewesen wäre. Entschuldige bitte, dass ich dir das so hart sage, aber du weißt, dass ich dich nie belogen habe.“
Читать дальше