„Was ist so lustig?“, wollte Richard wissen.
Frank winkte ihn um den Schreibtisch herum, zeigte mit dem Finger auf einen Namen in der Liste. Richard konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
„Denkst du wirklich, das ist er?“
„Hundertprozentig. Somit würde er, wenn es denn in diese Richtung läuft, auch als Verdächtiger gelten. Den würde ich nur allzu gern verhaften. Du glaubst nicht, was für einen Spaß ich dabei hätte.“
Der Name hinter der Nummer einhundertzweiundfünfzig lautete: Hans-Jürgen Engler. Einlage: fünfundvierzigtausend Euro.
Frank druckte sich die mehrere Seiten umfassende Liste aus und beschloss, den PC als Beweismittel der Spurensicherung zu übergeben. Vorher machte er sich von einigen Dateien, die er für wichtig zu erachten schien, eine Kopie auf einen USB Stick.
Kurz darauf verließen sie das Haus und fuhren nach Esslingen, um der Ex-Frau von Kai Uwe Metzinger die traurige Nachricht vom gewaltsamen Tod ihres Mannes zu überbringen.
Egal wie man diese Angelegenheit drehte, es war auch für die Ermittler jedes Mal eine psychische Belastung jemandem mitzuteilen, wenn ein naher Angehöriger gewaltsam aus dem Leben gerissen wurde. Die Dramen, die sich zuweilen abspielten, wollte man niemanden zumuten, aber so banal es klingen mochte, war es nun einmal bittere Realität.
Sie einigten sich während der Fahrt auf Frank, der dieses Mal den Part übernehmen sollte. Er überlegte, wie jedes Mal, welches die schonendste Arte war. Freilich mit dem Ergebnis, diese Art der Übermittlung gab es nicht.
Die Ex-Frau von Metzinger hieß Sarah, wohnte oberhalb von Esslingen im Stadtteil Rüdern, in der Uhlbacher Straße.
Als sie vor dem frisch renovierten Haus standen, in dem Frau Metzinger lebte, überlegte Frank noch einmal kurz, hielt für einen Moment inne, und drückte die Klingel mit dem Namensschild.
Eine Weile tat sich nichts, dann fragte eine Stimme durch die Sprechanlage: „Ja, bitte?“
„Hier sind Frank Jonas und Richard Bauer von der Kripo Stuttgart. Spreche ich mit Frau Sarah Metzinger?“
„Ja, das bin ich. Was kann ich für sie tun? Hat mein Ex-Mann wieder Mist gebaut? Damit habe ich nichts zu tun. Wir sind seit einem Jahr geschieden.“
„Wir würden gern mit ihnen persönlich sprechen, wenn es ihnen nichts ausmacht“, antwortete Frank.
„Nur nicht allzu lang. Ich habe noch etwas vor. Kommen sie rein.“
Der Türöffner summte und beide gingen durch die Tür. Sarah Metzinger wohnte im Erdgeschoss in einer geräumigen lichtdurchfluteten Drei Zimmer Wohnung. Auf den ersten Blick konnte Frank erkennen, dass auch, wie bei Kai Uwe Metzinger, bei der Einrichtung an nichts gespart worden war. Geld war also genug vorhanden. Die Frage, die zu klären blieb, war, woher dieses kam.
Sie bot den beiden Kommissaren einen Platz im Wohnzimmer auf der Couch an.
„Möchten sie einen Kaffee?“, fragte sie.
„Wenn es nicht allzu viel Mühe macht, gern“, entgegnete Richard.
„Mir nicht. Der Kaffeemaschine schon“, lachte sie.
Nachdem sie beiden einen Kaffee serviert hatte, setzte sie sich zu ihnen auf die Couch und schlug ihre Beine übereinander. Sie hatte kurze, schwarze Haare, trug eine randlose Brille, die erst auf den zweiten Blick zu erkennen war. Sarah Metzinger war etwas jünger als ihr Ex-Mann und hatte eine schlanke Figur.
„So, was kann ich für sie tun? Hat er wieder Probleme mit der Steuer? Oder hat ihn ein Kunde angezeigt?“, fragte sie mit einem leicht genervten Unterton in ihrer Stimme.
„Nichts dergleichen“, begann Frank nach einigem Zögern. Er hatte sich für die Direktmethode entschieden.
„Ihr Mann ist gestern ermordet worden.“
„Ermordet? Von wem?“, fragte sie entgeistert.
„So weit sind wir noch nicht. Wir dachten, vielleicht könnten sie dazu uns etwas sagen. Hatte er Feinde?“, erkundigte sich Richard.
Sarah Metzinger war erstaunlich gefasst. Kein Zusammenbruch, keine Tränen, kein Gefühlsausbruch. Sie schien sich im Griff zu haben oder realisierte noch gar nicht, was Frank ihr gerade eben gesagt hatte.
„Ich habe nur noch selten Kontakt zu meinem Ex-Mann. Daher kann ich ihnen hier nicht weiterhelfen. Dass er Investor ist, oder war und sein Geld mit dem Ausnehmen anderer Leute verdient hat, werden sie bestimmt schon in Erfahrung gebracht haben. Aber mit diesen Geschäftsmethoden habe ich nie etwas zu tun gehabt“, gab sie nüchtern und gefasst von sich.
Frank beobachtete sie die ganze Zeit. Selten hatte er jemand erlebt, der sich so unter Kontrolle hatte, nachdem man ihm die Nachricht vom Tod eines nahen Angehörigen überbracht hatte. Waren da tatsächlich keine Gefühle mehr im Spiel, oder spielte sie ihnen, wenn dann ziemlich gekonnt, etwas vor. Er war sich nicht sicher, was er glauben sollte.
„Was war der Grund für ihre Trennung?“, wollte er wissen.
„Es hat halt nicht mehr gepasst. Wie das im Leben so ist. Er hat sich nur noch mit seinen Finanzaktivitäten beschäftigt. War die ganze Zeit unterwegs. London, Frankfurt, New York und was weiß ich wo.“
Frank hatte berechtigte Zweifel an ihrer Aussage. Ein leichtes Zucken in ihrer Augengegend verriet sie. Aber heute war nicht der geeignete Zeitpunkt, die Sache zu vertiefen.
Sie verabschiedeten sich und Richard gab ihr seine Visitenkarte, mit dem Hinweis sich zu melden, falls ihr noch etwas einfiele, was ihnen weiterhelfen könnte.
„Ich denke, wir sollten uns die finanziellen Aktivitäten unseres Opfers mal genauer ansehen. Da scheint einiges im Argen zu liegen“, konstatierte Richard.
„Da bin ich ganz deiner Meinung“, pflichtete Frank ihm bei, als sie ins Auto stiegen.
Sarah Metzinger beobachtete die beiden hinter dem Vorhang. Als sie losfuhren, griff sie zum Hörer, um zu telefonieren.
Nachdem Frank mit Richard noch die Tochter von Kai Uwe Metzinger, Sabine, ausfindig gemacht hatte, mussten sie nun auch ihr die Nachricht vom Tod ihres Vaters überbringen. Sabine Metzinger reagierte ähnlich kühl und abweisend wie ihre Mutter. Um die Bande in der Familie schien es, da waren sich beide Kommissare auf der Fahrt zurück weitestgehend sicher, nicht zum Besten zu stehen. Frank wusste, solche Taten, wie der überaus brutale Mord an Kai-Uwe Metzinger, fußten meist auf einem persönlichen Hintergrund. Seiner Meinung nach reagierte Sabine Metzinger noch eine Spur abweisender als ihre Mutter. Außerdem hatte er das Gefühl, dass sie etwas verheimlichte. Damit wurde der Kreis der Verdächtigen nicht kleiner, sondern immer größer.
Nach dem kurz gehaltenen Besuch bei Sabine Metzinger im Stuttgarter Süden, fuhren sie, auch weil aktuell keine Befragung oder Ähnliches mehr auf der Agenda stand, wieder zu Manfred ins Büro, der sie im Beisein einer frischen Tasse duftenden Kaffees schon erwartete.
„Da seid ihr ja wieder. Gibt’s was Neues?“, erkundigte er sich.
„Allerdings“, lachte Frank. Er erzählte Manfred, nicht ohne Häme und Spott im Unterton seiner Stimme, die Geschichte von Englers Investition.
„Das wird der gar nicht gern hören“, stellte dieser fest. „Zum Glück ist er auf dem Weg nach Hamburg.“
„Mal sehen wie lange. Wenn der Staatsanwalt mitkriegt, wer da investiert hat, wird er ihn sowieso nicht mit ermitteln lassen. Aber irgendwie find ich´s prima“, freute sich Frank.
Es war für ihn immer wieder eine Genugtuung zu sehen, wie sich Engler selbst ein Bein stellte. Seine arrogante, selbstgefällige Art, mit der er bisweilen auftrat, kostete ihn im Präsidium viele Sympathiepunkte. Falls sich nun bald herumsprechen würde, dass Engler bei dem toten Finanzjongleur mehrere Zehntausend Euro verloren hatte, Frank würde seinen Teil dazu beitragen, wäre ihm die Schadenfreude gewiss.
Richard sah auf die Uhr.
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