„Wir nicht. Soweit ich es beurteilen kann, nur die Haushälterin und der Polizeibeamte“, meinte Frank, „Aber die ist durch den Wind. Warten wir ab, bis der Arzt kommt.“
„Dann kann er den gleich mitnehmen.“ Walter deutete mit seinem Daumen auf Richard, „Ich zähle die Tage, bis du bei mir auf dem Tisch landest. Das, nur das gibt mir Motivation.“
„Da wirst du noch eine Weile warten müssen“, lachte Richard. „Jetzt schau dir erst mal die Leiche an. Wir kommen gleich nach.“
„Aber nur mit Schutzausrüstung. Ihr macht mir sonst meinen ganzen Tatort kaputt und ich habe dann wieder die Arbeit“, schimpfte eine Stimme aus dem Hintergrund.
Die Stimme gehörte Adelbert Herzog, seines Zeichens Chef der Spurensicherung. Er galt in Stuttgart als einer der besten seines Faches, dozierte regelmäßig an verschiedenen Universitäten. Sein einziges Manko war, er verfiel bei Vorträgen sehr schnell in eine monotone, einschläfernde Stimmlage, was dazu führte, dass seine Zuhörer meist einschliefen. Deshalb verpasste ihn Frank den Spitznamen Valium Berti.
Nachdem sie den Anweisungen von Herzog Folge geleistet hatten, gingen sie gemeinsam hinein. Wie es auf den ersten Blick aussah, musste der Besitzer über einen beträchtlichen Reichtum verfügen. Die Tür am Eingang bestand aus massiver Eiche, kein billiges Furnier wie bei den meisten Türen stellte Frank fest. Im großen, ausladenden Flur war der Boden mit Marmorplatten gefliest, die Wände mit einem edlen Putz überzogen. Ein älteres Bild mit einer nackten Frau, die aus einer Muschel emporzusteigen schien und von mehreren engelsgleichen Wesen umgeben war, hing an der Wand.
„ Die Geburt der Venus “, sagte Walter Riegelgraf.
„Ich weiß, das Original wurde 1486 von Botticelli gemalt und hängt in den Uffizien in Florenz. Wert: Unbezahlbar“, antwortete Frank.
„Ein Kunstkenner“, erwiderte Richard.
„Wenn hier ein Original hängen würde, hättest du ausgesorgt“, fügte sein Kollege hinzu.
Vom Flur führte ein ausladender Gang ins Wohnzimmer, dessen Boden ebenfalls durch einen teuren Marmor bestach. Die edle Ledercouch vor dem Panoramafenster rundete das teure Ambiente, welches der Raum ausstrahlte, ab. An der gegenüberliegenden Wand hing zudem ein großer Fernseher.
„Also so ein großes Fenster ist ja schön und gut, aber da kann ja jeder reinschauen“, brummte Richard.
„Wo liegt denn jetzt die Leiche? Oder ist die wieder gegangen?“, schimpfte Walter Riegelgraf.
„Die liegt, die Treppe hoch, oben links in dem Büro.“ Der Beamte der in der Tür stand deutete mit dem Finger nach oben.
Im Flur führte eine Treppe in den ersten Stock. Auf der rechten Seite befanden sich ein großes Bad sowie eine separate Toilette.
Linkerhand schien besagtes Büro zu sein. Die Tür stand halb offen.
Walter Riegelgraf und Adelbert Herzog betraten den Raum als erstes.
„Donderlattich“, rief Walter, „Da hat aber jemand ganze Arbeit geleistet. Da kann ich zwei Dinge auf den ersten Blick sagen: Definitiv tot und kein Selbstmord.“
Frank schaute vorsichtig durch die Tür.
Der Anblick ließ ihn erschaudern. Vor ihnen lag ein Mann, wahrscheinlich im Alter von Richard, in einer riesigen, fast schon getrockneten Blutlache. Überall am Schreibtisch, als auch auf dem Boden war Blut zu sehen, teilweise waren die Blutspritzer bis an die gegenüberliegende Wand verteilt. Frank spürte beim Anblick des Mannes, mit welch einem großen Hass der Täter seine Tat ausgeführt hatte. Ihm fröstelte bei dem Gedanken, wozu Menschen in der Lage waren.
„Du meine Güte. Da hat aber jemand eine Wut gehabt.“
Trotz seiner langjährigen Ermittlungsarbeit bei der Mordkommission war Richard, den so leicht nichts schocken konnte, beim Anblick des Toten sichtlich schockiert, ob der Barbarei zu der Menschen fähig waren.
„Jemand, der so etwas macht, muss eine rasende Wut gehabt haben. Der hat bestimmt mehr als einmal auf den Kopf geschlagen. Wenn ich mir so auf den ersten Blick die Hände anschaue, sieht es mir auch nach einem Kampf aus. Aber das ist nur eine erste Einschätzung. Den Rest bekommt ihr von mir wie üblich nach der Obduktion.“
Walter Riegelgraf war ein sehr gewissenhafter Rechtsmediziner, der nur weitergab, von dem er sich absolut sicher war. Er hielt nicht viel von den sogenannten Rechtsmedizinern im Fernsehen, die bei Opernmusik die Leichen sezierten. Bei ihm und seiner Kollegin Yvonne lief vorzugsweise Hardrock.
„Weiß man denn schon um, wen es sich bei dem Toten handelt. Auf dem Namensschild stehen nur die Initialen K.U.M.“, fragte der Polizeibeamte, der auf der Treppe stand, es aber augenscheinlich nicht vorzog, den Tatort noch einmal zu begutachten.
Kurze Zeit später gab Adelbert Herzog von der Spurensicherung seine erste Einschätzung an Frank und Richard ab: „Der Korrespondenz nach zu urteilen heißt der Tote Kai-Uwe Metzinger. Zumindest sind die ganzen Briefe hier alle an ihn adressiert.“
„Ein Ausweis wäre nicht schlecht, zur eindeutigen Identifikation“, maulte Richard, der anscheinend mit der ersten Einschätzung von Herzog nicht ganz konform ging.
„Wir sind erst fünf Minuten hier und du willst schon wieder alles wissen. Gib mir doch mal etwas Zeit. Je mehr du drängelst, desto länger brauche ich. Schaut euch im Haus um. Vielleicht findet ihr was. Aber bringt mir um Himmels willen nichts durcheinander.“
Richard wusste, dass es nach seiner vorigen Aussage, nun besser war Adelbert Herzog in Ruhe arbeiten zu lassen. Zudem hatte er recht. Vielleicht konnten sie im Haus brauchbare Hinweise finden.
Tatsächlich fand Frank in der imposanten Küche, in der es an nichts zu fehlen schien, auf der Granitplatte eine Brieftasche mit einem Personalausweis, der den Toten eindeutig als Kai-Uwe Metzinger identifizierte. Interessiert schaute er auf einen Umschlag, der neben dem Geldbeutel lag. Er öffnete ihn, um zu sehen, was sich darin befand und staunte nicht schlecht, als ihn ein großes Bündel fünfhundert Euro Scheine anlachte.
„Richard, komm mal her. Ich habe was gefunden“, rief er.
Wenig später standen sie in der Küche vor der schwarzen Granitplatte. Frank hatte die Scheine, nachdem er Handschuhe angezogen hatte, um nicht seine Fingerabdrücke auf dem Geld zu hinterlassen und sich somit den Zorn von Adelbert Herzog zuzuziehen, gezählt.
„Exakt fünfzigtausend Euro. Raubmord scheidet also schon mal aus, so offensichtlich wie das Geld hier rumliegt.“
„Nicht unbedingt. Manchmal sieht man ja den Wald vor lauter Bäumen nicht“, widersprach ihm Richard.
„Es ist nichts durchwühlt worden. Alles scheint auf den ersten Blick da, wo es hingehört“ erwiderte Frank, „Ich schätze, er hat seinen Mörder gekannt, denn an der Tür sind keine Einbruchsspuren zu sehen.“
Ihm kam es reichlich komisch vor, dass sich ein Umschlag mit so viel Geld hier befand. Meistens, um nicht zu sagen fast immer, deutete so etwas auf dunkle Geschäfte hin.
„So ich bin jetzt soweit fertig“, sagte Adelbert Herzog, während im Hintergrund die Herren vom Bestattungsunternehmen mit dem grauen Sarg vorbeiliefen.
Walter Riegelgraf gesellte sich zu ihnen in die Küche.
„Nicht schlecht. Der Mann hat Schotter“, stellte er fest, als er den Umschlag mit dem Geld erblickte.
„Hatte“, korrigierte ihn Richard.
„Oder auch nicht“, fügte Frank hinzu.
„Hä? Wie meinst du das?“, wollte Walter wissen.
„Ich finde es komisch, wenn jemand, der ein Haus mit allem Gedöns hat, fünfzigtausend Euro auf dem Küchentisch liegen lässt.
„Was stört dich daran?“, wollte Adelbert Herzog wissen, stellte seinen silberfarbenen Alukoffer wieder ab, holte eine Plastiktüte hervor, um den Umschlag mit dem Geld als Beweismittel an sich zu nehmen.
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