Sein Haus lag an einem leicht abfallenden Hang am Untersee des Bodensees und verfügte über zwei Stockwerke. Im oberen Stockwerk wohnte ein älteres Ehepaar. Die Frau kümmerte sich, wenn er mal wieder nicht da war, um sein Haus. Frank wohnte im Erdgeschoss, seine Wohnung verfügte über eine große Terrasse, die einen wunderbaren Blick über den See hinüber auf die Schweizer Seite offenbarte. Zu seinem Haus führte eine kleine Zufahrtsstraße, die allerdings schwer einzusehen war. Richard war bereits mehrere Male vorbeigefahren. Neben seinem Haus hatte sich Frank noch eine geräumige Garage bauen lassen, die zudem über eine kleine Werkstatt verfügte, wo er sein Fahrrad parkte und gegebenenfalls auch reparieren konnte.
In der eigentlichen Garage stand Franks Prunkstück. Ein E-Klasse Kombi von AMG, der über stattliche sechshundert Pferdestärken verfügte.
„Alle Achtung“, sagte Richard, „du bist schon da. War wohl doch nicht so anstrengend heute.“
„Ich wäre noch schneller gewesen, wenn mich nicht so ein Idiot fast von der Straße abgedrängt hätte“, schimpfte Frank.
Lisa musste lachen. Irgendwie musste sie immer an Walldorf und Statler, die ewig bruddelnden Herren in der Loge von der Muppet-Show denken, wenn die beiden schimpften. Trotzdem mochte sie die beiden, Frank besonders, und war froh darüber, nun in diesem Team zu sein.
Er schob sein Rad durch das Tor in die Garage.
Richard wartete mit Lisa derweil draußen auf Franks Terrasse, während dieser sich unter der Dusche frischmachte. Sie hatte es sich in der übergroßen Hollywoodschaukel bequem gemacht, während jener im Liegestuhl vor sich hindöste.
„So, ich bin hungrig. Wie sieht es bei euch aus?“, fragte Frank, nachdem er eine viertel Stunde später ebenfalls auf der Terrasse erschien.
„Hungrig aber fertig“, gähnte Richard „Hier auf deiner Terrasse kann man es aushalten.“
Frank lachte, stimmte ihm zu und sie gingen gemeinsam den einen Kilometer hinunter in sein Stammlokal, der Traube .
Wie üblich saß Herr Häberle, der Mieter, an diesem Freitag wieder mit seinen Altersgenossen am Stammtisch um über seine Gattin, sowie deren gefürchtetes Mundwerk zu lästern. Frank ging zu ihm, klopfte zur Begrüßung auf den Tisch. Nach einem kleinen Small Talk setzte er sich zu Richard und Lisa.
„Gibt’s was Neues in der Landeshauptstadt?“, erkundigte sich Frank, während die Kellnerin der Traube ihnen das kühle Gerstengold servierte.
„Alles ruhig. Ist aber auch nicht verwunderlich. Sind ja alle im Urlaub. Manfred ist mit seiner Familie nach Frankreich gefahren und kommt auch erst am Montag wieder. Unser Chef, der Rothaarige, na ja, der ist die ganze Zeit im Büro, weil er sonst mit seiner Alten immer einkaufen muss.“
Der Rothaarige war Kriminaldirektor Hans-Jürgen Engler. Beide verband nur die gegenseitige Abneigung. Frank konnte Engler nicht leiden, weil dieser seiner Meinung nach immer auf der Suche danach war, wo er die meisten Lorbeeren für sich einheimsen konnte. Dafür buckelte er nicht selten bei seinem nächsthöheren Vorgesetzten, dem Polizeipräsidenten. Doch seid Walter Rudolph, mehr oder weniger freiwillig, aus dem Leben geschieden und ein neuer Polizeipräsident ernannt worden war, gestaltete sich dieses Buckeln als etwas schwieriger. Denn dieser hielt von dieser Art Speichelleckerei nicht viel.
Engler wiederum konnte Frank nicht leiden, weil dieser allseits sehr beliebt war, sowie über einen messerscharfen Verstand verfügte. Zudem nahm der auch kein Blatt mehr vor dem Mund, um ihm zu sagen, wenn er falsch lag. Außerdem verfügte Frank über die seltene Gabe, sich am Tatort in die Situation des Opfers, als auch des Täters hineinzuversetzen. Er hatte den Blick für noch so kleine Details, die anderen erst später auffielen.
Nach dem letzten Fall hatten sich beide zwar ausgesprochen, es herrschte seitdem auch so etwas wie Waffenstillstand, doch wie lange dieser halten würde, war fraglich.
Als sie mit dem Essen fertig waren, war es bereits dunkel geworden und so mussten sie den Weg im Finsteren zurücklegen. Am Haus angekommen, ging plötzlich das Licht an. Kurz darauf rief eine schrille Stimme in die Nacht: „Hermann, bist du´s? Wann hab´ ich dir gesagt, solltest du daheim sein? Guck mal auf die Uhr. Es geht auf zehn Uhr zu. Sieh zu, dass du hochkommst.“
„Hier ist nicht Hermann, Frau Häberle. Ihr Mann sitzt noch unten in der Traube. Wird wohl noch eine Weile dauern“, lachte er.
„Na, der soll mir heimkommen“, schimpfte sie und schloss das Fenster wieder.
„Da bekommt jemand Ärger heute Abend“, stellte Lisa amüsiert fest.
„Davon geh ich aus. Aber in der Regel schlägt sie ihn nicht, wenn er zu spät kommt“, erwiderte Frank lakonisch.
Sie setzten sich noch eine Weile auf die Terrasse. Frank öffnete zur Feier des Tages eine Flasche Rotwein.
„Auf die nächsten zwanzig Jahre.“
Er hob sein Glas um gemeinsam anzustoßen.
„Zwanzig Jahre werden es bei mir nicht mehr. Höchstens zehn“, lachte Richard.
„Aber mit mir wirst du es ja dann auch noch ein paar Jahre aushalten“, feixte Lisa.
„Da sehe ich keine Probleme, Frau Kommissarin.“
„Ich lege mich hin“, sagte Richard, nachdem sie die dritte Flasche Wein gemeinsam geleert hatten. „Macht euch noch einen schönen Abend ihr zwei.“
Er gähnte und schlurfte gemächlich ins Gästezimmer, welches sich im hinteren Teil der Wohnung befand.
„Ich denke, ich werde es ihm gleichtun“, sagte Frank, „Morgen früh hole ich frische Brötchen für uns.“
Lisa sah ihn mit ihren rehbraunen Augen an.
„Wo schläfst du?“, fragte sie ihn.
„Auf der Couch natürlich. Du kannst mein Bett haben“, erwiderte er und war im Begriff ins Haus zu gehen. Sie hielt ihn sanft am Arm fest.
„Ich möchte nicht, dass du auf der Couch schläfst“, flüsterte Lisa ihm ins Ohr, als sie hinter ihm stand.
„Außerdem wollte ich mich schon lange bei dir bedanken, wegen der Aktion. Du weißt schon.“
Dann nahm sie ihn an der Hand und zog ihn ins Schlafzimmer.
Der Sonntagmorgen zeichnete sich durch ein graues Regenband, welches über Öhningen hing, aus. Es goss in Strömen und sah auch in absehbarer Zeit nicht danach aus, dass es wieder aufhörte.
„Na prächtig“, brummte Frank, als er am Fenster seines Schlafzimmers stand um über die Terrasse auf den See zu schauen. Die gegenüberliegende Seite war durch die tief hängenden Wolken bereits nicht mehr zu sehen.
Lisa schaute ihm vom Bett aus an.
„Brötchen musst du trotzdem holen.“
Frank drehte sich lachend um.
„Ja, dann halt mit dem Auto.“ Er zog sich an und fuhr mit dem Auto, sehr zum Unmut der umweltbewussten Nachbarn, die kurze Strecke zum Bäcker.
Richard musste durch das Starten des V8 geweckt worden sein, denn als Frank zurückkam, saßen beide bereits im Esszimmer an dem großen Eichentisch, der von Lisa mit allerlei Leckereien aus Franks großem Kühlschrank, von denen er gar nichts wusste, gedeckt war.
„Nur Duschen ist schöner“, grummelte er genervt, war er doch tatsächlich trotz der wenigen Meter bis auf die Haut durchnässt.
Sie diskutierten während des Frühstücks und waren sich einig, dass es in der Landeshauptstadt wahrscheinlich nicht regnen würde.
Es war Sonntag und somit Franks letzter freier Tag, bevor er morgen wieder nach seinem Urlaub an seinem Schreibtisch in der Kriminaldirektion eins in der Eberhardt Straße Platz nahm.
„Willst du bei diesem Wetter wirklich mit deinem Motorrad nach Stuttgart fahren? Oder sollte ich schwimmen sagen?“, fragte Frank besorgt.
Lisa zögerte einen Moment und dachte nach.
„Vielleicht ist es besser, ihr nehmt mich mit. Mein Motorrad kann ich bei dir der Garage lassen. Daheim steht ja noch eins.“
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